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den Gürtel seiner Hose und berührte die Oberschenkel. Er stieß einen leisen Seufzer aus.

      »Mir gefällt das überhaupt nicht«, antwortete er.

      Ich fühlte mich, als würden sich meine Gedanken überschlagen – Vorstellungen von Sturmfluten, Überreaktionen, Windschäden und irrtümlicher Prognosen rasten durch meinen Kopf. Meine Aufgabe bestand darin, Entscheidungen im Angesicht der Ungewissheit zu fällen, und ein aufziehender Tropensturm ist in der Meteorologie grundsätzlich ein Inbegriff des Ungewissen. Ob man über handfeste, vage, widersprüchliche Daten oder null Informationen verfügt, spielt dabei keine Rolle. Experten müssen Vorhersagen anhand dessen treffen, was ihnen vorliegt. Ich ahnte allerdings, was Chris und das JTWC glaubten. Unter Berücksichtigung der Jahreszeit wusste ich genau, was das Ganze bedeutete. An dem, was ich sah und aus Erfahrung wusste, ließ sich nicht rütteln. Binnen eines Augenblicks war ich imstande, alles gegeneinander abzuwägen, den Grad der Unsicherheit und das Risiko zu beurteilen, damit ich berechnen konnte, was auf dem Spiel stand. Manchmal jedoch traf man die genaueste Vorhersage trotzdem einfach aus dem Bauch heraus.

      »Okay, ich rufe TCCOR 2 aus«, sagte ich.

      »Ich bestelle noch jemanden her«, entgegnete Chris daraufhin, denn Tropical Condition of Readiness 2, also die zweite Bereitschaftsstufe bei Tropensturmwarnungen, erforderte einen zusätzlichen Meteorologen und Aktualisierungen rund um die Uhr, ganz zu schweigen davon, dass nun zahlreiche Standardmethoden in Kraft traten.

      »Danke – und würdest du bitte den Schichtplan für die nächsten drei Tage umschreiben? Der Urlaub ist erst einmal für alle gestrichen.«

      Chris stimmte mir zu, woraufhin ich mich mit der 24-Stunden-Einsatzzentrale des Reagan-Raketentestgeländes in Verbindung setzte und darum bat, den Krisenstab einzuberufen. Anschließend telefonierte ich mit Lieutenant Colonel (LTC) Sam Polian, dem Einsatzleiter der Einrichtung, und ließ das Notfalloperationszentrum – kurz EOC – herrichten.

       18:30 Uhr – Notfalloperationszentrum (EOC) Kwajalein

      Als ich den Raum betrat, war der Krisenstab bereits versammelt.

      Im Gegensatz zum schillernden Hightech-Kontrollzentrum für die Raketen sah das EOC auf Kwaj eher so aus, als laufe es ganz nebenher, was wohl auch mehr oder weniger der Wahrheit entsprach, weil es nur so selten gebraucht wurde. Es verfügte über eine Funkkonsole mit einem Kurzwellengerät, eine externe Wetterstation zur Beobachtung der Wind- und Temperaturentwicklung sowie ein paar Computern und besaß ein einzelnes kleines Fenster, das allerdings zu hoch in der Wand lag, als dass kleinere Leute hätten hindurchschauen können, und eine jener auffällig mit Draht verstärkten Scheiben hatte. Zur Besprechungsrunde fand man sich an vier zusammengeschobenen, braunen Klapptischen zusammen, die genauso gut für ein Buffet in einer Kirchengemeinde hätten aufgestellt sein können, zu dem jeder Gast etwas mitbrachte. Bei den Stühlen ringsherum handelte es sich um den gesamten Ausschuss der Anlage, einige hatten zerfetzte Polster oder fehlende Teile, andere waren extrem wacklig – Möbel also, auf denen niemand täglich zu sitzen bereit war, doch ausrangieren wollte die Leitung der Anlage sie auch nicht. In einer kleinen Nische mit Spülbecken standen eine Kaffeemaschine und ein Mikrowellengerät.

      »Also gut, fangen wir an«, begann LTC Polian. Nachdem er mich kurz vorgestellt hatte, teilte ich dem Team mit, was ich wusste.

      »Eine tropische Depression 01-W hat sich heute Nachmittag etwa dreihundert Meilen südöstlich von Kwaj gebildet. Alles deutet darauf hin, dass sie das Ausmaß des Hurrikans Ele von 2002 annehmen wird. Die Winde, die wir heute beobachtet haben, sind vermutlich Feeder-Bänder, die darauf hindeuten, dass der Sturm rasch anziehen wird. Er wird voraussichtlich in den nächsten zwölf Stunden Tropensturmstärke erreichen, und morgen um diese Zeit dürfte er dann schon fast Taifunstärke haben.«

      »Ist es nicht ein bisschen früh dafür? Wir haben schließlich erst Mai«, warf einer der Vertragsnehmer der Anlage ein.

      »Ja, aber das ist nicht vollkommen ungewöhnlich. Wegen des El Niños im vergangenen Jahr ist sehr warmer Wasserdampf über dem Zentralpazifik verblieben, also würde ich einfach von einer unglücklichen Verkettung meteorologischer Phänomene zum falschen Zeitpunkt sprechen. Die Formation bewegt sich aktuellen Schätzungen zufolge mit fünf Knoten in Richtung Westen. Der steuernde Strom ist recht schwach, doch er wird auf einem subtropischen Hochdruckrücken zwischen Johnston und Hawaii nach West-Nordwest ziehen.«

      »Folglich also genau über uns hinweg, oder?«, fragte Sam.

      »Den exakten Weg von Tropenstürmen während der ersten vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden abzusehen ist äußerst schwierig …«

      »Reden Sie hier nicht um den heißen Brei herum«, unterbrach mich Blaine, der Kommandant des Testgeländes. »So wie sich das Ganze anhört, bleibt uns kein ganzer Tag mehr, um diese Anlage gegen einen Taifun zu rüsten. Wir haben also keine Zeit für irgendwelches Geplänkel. Sie erinnern sich doch bestimmt noch daran, was auf Wake geschah.«

      Er meinte damit Ioke, einen Wirbelsturm der Kategorie 5, der 2006 das Atoll Wake nur fünfhundert Meilen nördlich von Kwajalein erfasst hatte. Es wurde dabei verwüstet, und wäre der Sturm nicht stark nach Norden ausgeschert, kurz bevor er die Landmasse erreicht hatte, hätte er bestimmt nichts weiter als ein paar Sandbänke im Meer zurückgelassen.

      »Selbstverständlich erinnere ich mich noch daran, Sir, doch man sollte auch nicht unter den Tisch kehren, dass dort noch alle Gebäude stehen. Die Bewohner hätten es also überlebt.«

      Er schaute mich skeptisch über seine Brille hinweg an.

      »Sie hatten allerdings genug Zeit, um das Atoll zu verlassen, und wir beide wissen, dass sie von Glück reden konnten, Matt. Die Vorhersage der JTWC war wahnsinnig gut und gab ihnen fünf Tage Zeit, um Vorkehrungen treffen und verschwinden zu können. Diesen Luxus haben wir nicht. Wir brauchen deshalb den besten Rat, den Sie uns ohne Umschweife geben können.«

      Dass jemand Colonel Blaine widersprach, geschah nur selten, nicht nur wegen seiner Führungsposition, sondern auch deshalb, weil er ein großer Schwarzer war, der ein imposantes Bild abgab, obwohl er stark humpelte. Seine rasierte Glatze und seine krumme Nase, der stechende Blick und die tiefe Stimme trugen noch zu diesem schroffen Eindruck bei. Auf der US-Militärakademie in West Point hatte er zur Footballmannschaft gehört – als Linebacker. Gerüchten zufolge soll ihm im ersten Quarter seines ersten Spiels als Junior die Kniescheibe herausgesprungen sein, doch sein Team bemerkte es erst in der Halbzeit. Im zweiten Quarter schaffte er trotz des kaputten Gelenks noch zwei Tacklings und machte einen Angriff aus der Defensive heraus, nachdem er den Ball gefangen hatte. Aufgrund seiner Verletzung war er zu keinem Spiel für die Armee angetreten, jedoch prompt zur Legende geworden. Auch der Umstand, dass er kraft seines Amtes jedermann ohne triftigen Grund von der Insel werfen konnte, trug zur Befangenheit derer bei, die mit ihm zu tun hatten. Doch ich verstand etwas von meiner Tätigkeit.

      »Sir, ich rede bestimmt nicht um den heißen Brei herum, sondern möchte nur klarstellen, dass ich kein allzu großes Vertrauen in die laufende Vorhersage setze. Wir haben offensichtlich nicht damit gerechnet, und es ist wirklich sehr schwierig, die exakte Bewegung eines sich entwickelnden Sturmes vorauszusagen. Seine genaue Stärke und Position in diesem Stadium zu bestimmen, bereitet uns einige Mühe, mal ganz abgesehen davon, Ihnen seinen weiteren Kurs darzulegen, da er sich im Augenblick kaum bewegt. Ich kann deshalb nur spekulieren, dass er Kwajalein sehr nahe kommen wird, also sollten wir uns auf jeden Fall darauf gefasst machen, direkt getroffen zu werden, denn das ist auf keinen Fall auszuschließen.«

      Man hätte die Luft im Raum jetzt schneiden können. Ich hörte nur die Wanduhr ticken, während wir allesamt den Kommandanten anstarrten.

      »Entschuldigung, ich habe mich zu weit aus dem Fenster gelegt«, sagte er nun.

      Ich bemerkte, dass einige am Tisch daraufhin erstaunte Blicke wechselten.

      »Wie viel Zeit haben wir denn noch ungefähr?«, fragte er scheinbar unbeeindruckt von der Wende der Ereignisse.

      »Wie bereits erwähnt, ist der steuernde Strom noch schwach, doch ich rechne damit, dass er gemeinsam mit dem subtropischen

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