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wie oft ich mir am College fast die Zähne an diesen hartnäckigen Miststücken ausgebissen habe – und selbst diejenigen, die du gerade so eben aufkriegst … Ohne Scheiß, an den Dingern schneidest du dich dann oder brichst dir 'nen Fingernagel ab, wenn du nicht aufpasst.«

      Sonny erweckte den Eindruck, gründlich über meine Worte nachzudenken, und schien sie eine Weile sacken zu lassen, bevor er endlich todernst antwortete: »Pistazien sind eine sehr gefährliche Steinfrucht.«

      Ich nickte zustimmend. »Jepp, ich werde deshalb fortan nur noch die essen, die sich leicht öffnen lassen, doch falls sie sich auch nur im Geringsten dagegen sträuben …« Ich hielt beispielhaft eine praktisch rundherum verschlossene Hülse hoch und schnippte sie ins Wasser. »… weg damit!«

      »Ihr zwei könntet glatt bei Seinfeld mitspielen«, sagte Jeff grinsend.

      Er kannte den nahezu konstant sarkastischen Unterton meiner Gespräche mit Sonny schon zur Genüge, doch Nichteingeweihte könnten uns schlichtweg für bescheuert halten.

      Sonny war ein Kwaj-Kid, das hieß, er war auf der Insel groß geworden, und hatte die Kwajalein Senior Highschool besucht. Studiert hatte er hingegen wie sein Dad an der Technischen Universität in Georgia. Gleich nach seinem Abschluss war er aber an eine Stelle auf Kwaj geraten und sofort wieder zurückgezogen. Mir gegenüber rechtfertigte er das häufig mit den Worten: »Hey, ich habe mein Soll in den Staaten geleistet. Es war einfach nichts für mich.«

      Seine Eltern waren zwar Angloamerikaner, doch das sah man ihm kein bisschen an. Da er fast sein ganzes bisheriges Leben auf Kwaj verbracht hatte, war seine Haut dunkel und ledrig und er trug kein Gramm Fett zu viel an seinem schmächtigen Leib, obwohl er mindestens einen Sechserpack Bier am Tag zischte. Er hatte volles Haar, das am Ansatz pechschwarz war, aber zu den Spitzen hin von der Sonne ausgebleicht hellorange war. Und natürlich deckte sich sein Sinn für Humor mehr oder weniger mit meinem.

      Bevor er der Aufforderung der Hafenbehörde nachkam, zur Insel zurückzufahren, wandte sich Jeff mir zu. Weil ich der leitende Meteorologe auf dem Atoll war, erwartete man irgendwie immer von mir, stets in allen Fragen über das Wetter Bescheid zu wissen.

      »Nenn mir doch noch einmal die Kriterien für ein Fahrverbot von Kleinschiffen.«

      »Andauernde Windgeschwindigkeit von zwanzig Knoten oder Böen bis zu dreißig«, antwortete ich, während ich eine Fliege vor meinem Gesicht wegschlug. »Das dürfte aber unsere kleinste Sorge sein, so wie es aussieht.« Ich drehte mich um und zeigte auf die nunmehr gewaltigen Wolken. Sogenannte Mammaten – Ausformungen, deren Bezeichnung sich von »mammatus« ableitete, dem lateinischen Wort für »Brust« – hingen wie Beutel an der Unterseite der Ambosse, was nichts Gutes verhieß.

      »Wie lange werden wir ungefähr brauchen, was meinst du?«, fragte Jeff, womit er andeutete, dass er sich doch lieber auf meine Einschätzung verließ als auf jene der Zuständigen im Hafen.

      »Na ja, der Wind wird schon deutlich früher auffrischen, bevor es richtig stürmt, und oft ist es so, dass sich konvektive Wolken schneller vorwärtsbewegen als das gesamte Gebilde.«

      »Und was bedeutet das für unsere voraussichtliche Ankunftszeit, Einstein?«, hakte Jeff nach.

      Die anderen Jungs lachten daraufhin.

      »Wenn das Radar neunzig Minuten angab und sie eine Viertelstunde versucht haben, uns zu erreichen, würde ich sagen, dass es bereits in fünfundvierzig bis sechzig Minuten ungemütlich werden wird.«

      Jeff drückte die Sprechtaste am Funkgerät und sagte: »Hafenkontrolle, hier Kilo-six-five.«

      »Kilo-six-five, hier Hafenkontrolle, fahren Sie fort.«

      »Es ist zu gefährlich, und wir halten Ihr Zeitfenster außerdem für falsch. Deshalb werden wir in der Nähe Schutz suchen, over.«

      »Wie Sie wollen, Kilo-six-five. Wir raten Ihnen aber zur sofortigen Rückkehr, sobald das Unwetter vorbei ist. Over.«

      »Roger, wird gemacht. Kilo-six-five, Ende.«

      Mit diesen Worten hängte Jeff das Sprechteil wieder auf das Funkgerät.

      Die Hafenbehörde hatte nichts eingewendet. Die lokalen Schiffverkehrsbestimmungen gewährten dem Kapitän stets volle Verfügungsgewalt. Er stand in keinerlei Pflicht, irgendwelchen Befehlen zu gehorchen, die er als gefährlich für sein Boot oder seine Besatzung erachtete. Die Männer an Land wussten außerdem, dass wir uns zurzeit an einer Stelle aufhielten, wo wir relativ gut vor dem Sturm geschützt waren – nämlich auf der Seite der Lagune, also im Windschatten von Bigej, und viel besser war man während eines Unwetters woanders auch kaum aufgehoben. Aus diesem Grund steuerte man diesen Bereich auch besonders gern zum Tauchen und Schnorcheln an, denn dort herrschte weitgehend Flaute, sodass an ihren Ankerplätzen unbeaufsichtigte Kähne nicht einfach wegtrieben und dank des schwachen Wellenganges auch keine Sedimente aufgeschwemmt wurden, welche die Sicht unter Wasser erschwert hätten.

      Wir lichteten deshalb unseren Anker, näherten uns dem Ufer ein Stück und bereiteten uns dann darauf vor, den Sturm in Ruhe auszusitzen. Dass er gänzlich an uns vorbeizog, war allerdings auch durchaus möglich. Vertikal emporsteigende Warmluft ist dermaßen leicht von willkürlichen Umweltvorgängen beeinflussbar, dass sich Wolken fast ununterbrochen verdichten, auflösen und neu bilden, ihre Flugrichtung aber nie lange beibehalten. Was sich allerdings gerade anbahnte, sah wirklich schlimm aus.

      Ich begann langsam, mir Sorgen um Kate und die Kinder zu machen. Wir hatten unsere zwei Töchter, schon sehr früh in unserer Ehe bekommen. Elaine war zuerst geboren worden, Kelly so schnell wie menschenmöglich hinterher. Darum lagen die beiden kein ganzes Jahr auseinander, und da sie sich unglaublich ähnelten, hielten die meisten Fremden sie irrtümlicherweise für Zwillinge. Auch wenn das nicht stimmte, verhielten sie sich gerne so.

      Danach war zunächst nichts mehr gelaufen. Wir hatten zwei Jahre lang versucht, den Sohn zu zeugen, den ich gern haben wollte, und hatten uns zusehends Gedanken über Unfruchtbarkeit gemacht, obwohl ich unsere Bemühungen natürlich durchaus genoss. Gerade als wir in Erwägung zogen, einen Arzt aufzusuchen, wurde Kate mit Charlie schwanger.

      Es heißt ja, ein Neugeborenes würde normalerweise stets seinem Vater ähneln, weil die Natur auf diese Weise zeigen wollte, dass das Kind von ihm stammt, damit er bei Frau und Kind bleibt, das finde ich allerdings mehr als nur lächerlich. Nichtsdestotrotz sah Charlie schon bei seiner Geburt aus wie ich und tut es noch immer.

      Ich erkannte noch viele andere Gemeinsamkeiten zwischen uns. So hörte ich später beispielsweise von keinem anderen Zehnjährigen, dass er sich für die Nachrichten interessierte. Deshalb musste ich auch immer aufpassen, wenn ich den Fernseher in seiner Anwesenheit laufen ließ, denn er bekam beinahe alles mit. Aufgrund seines neugierigen Wesens wusste er deshalb auch mit ziemlicher Gewissheit von der Pest, und ich war mir sicher, dass er sich fürchtete.

      »Was haltet ihr denn von dieser Rot-Pest?«, fragte ich interessiert in die Runde.

      »Ich finde den Rummel darum vollkommen überzogen«, kam es wie aus der Pistole geschossen von Bill, als habe dieser meine Gedanken gelesen.

      Die Jungs nickten einhellig, alle … außer Jeff.

      Je dunkler es am Himmel wurde, desto weniger sprachen sie, und Jeff, der sich am Ruder befand, wirkte nervös. Selbst Sonny, der ansonsten immer cool blieb, starrte besorgt die Wolken an. Niemand von uns sah ein solches Naturschauspiel zum ersten Mal, allerdings saßen wir jetzt in einem Boot und konnten uns nirgendwo unterstellen.

      Draußen mitten auf dem Ozean konnte man mit einer Uhr genau abstoppen, wie viel Zeit vom einsetzenden Wind bis zum extremen Wolkenbruch verging, nämlich im Schnitt fünf Minuten.

      Die Sturmfront traf uns wie eine Wand. Wir lagen weniger als fünfzig Yards vor dem Strand und bemerkten den Zug erstmals am Rauschen der Wipfel der Bäume an Land. Palmwedel verbogen sich, knickten um und flatterten wie die Flügel erlahmter Vögel, als der Wind immer mehr zunahm. Ganze Kronen, die bei den Palmen im Allgemeinen an Pilzhüte erinnerten, wurden umgestülpt wie minderwertige Regenschirme. Pflanzenteile lösten sich und flogen in unsere Richtung. Im

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