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sagte.

      Kapitel 2

       09:19 Uhr – Kwajalein, Marshallinseln

      Als wir mit unserem Boston Whaler an einem Segelboot vorbeirauschten, sah ich einen bedauernswerten Jungen zur Backbordseite stürzen und sich ins Meer übergeben. Nachdem er sich erbrochen hatte, fuhr er sich mit dem Handrücken über den Mund und sackte dann auf dem Deck zusammen. Den linken Arm ließ er über die Bordwand hängen, sodass seine Finger das klare Wasser streiften, als das Boot schaukelte.

      Mir fiel plötzlich die Rot-Pest ein – Gedanken aus einem Winkel meines Oberstübchens, über den ich keine Kontrolle hatte, doch ich verdrängte sie sofort. Der Kleine war einfach nur seekrank. Seine Eltern gingen zu ihm hinüber, um ihn zu trösten und ihm etwas hinzuhalten, bestimmt Tabletten gegen Reiseübelkeit. Aber dafür war es längst zu spät.

      Ich konnte mich nicht in ihn hineinversetzen, da ich nur zwei Mal in meinem ganzen Leben seekrank gewesen war, wenn auch jeweils ebenfalls auf einem Segelschiff. Selbst schwacher Wind entwickelt eine große Kraft, wenn er auf die gesamte Angriffsfläche von Tuch und Rumpf trifft, weshalb man bei entgegengesetzter Strömung glaubt, gleichzeitig in alle Richtungen zu schlingern. Das hatte mir bereits genügt – und diesem Jungen anscheinend auch. Kein Zweifel, er würde für den Rest des Segeltörns an genau diesem Platz kauern.

      Ich heiße übrigens Matthew Anderssen, und zwar wegen des Apostels Matthäus, worauf ich mir aber niemals etwas eingebildet habe. Da ich auf keinen anderen Rufnamen höre außer auf Matt, nennen mich alle so. Ich war leitender Meteorologe des RTS und jetzt auf Kwajalein stationiert – Kwaj, wie man die größte Formation des gleichnamigen Korallenrings gerne abkürzte.

      Nachdem meine Freunde und ich das Segelboot auf Steuerbord hinter uns gelassen hatten, nahmen wir Kurs auf Bigej – »Bidschi« ausgesprochen –, eine andere Insel des Atolls. Wir wollten ein paar Stunden in der dortigen Lagune ausspannen, weil an dieser Stelle das warme Wasser ideal zum Baden war, anschließend schnorcheln und ein paar kalte Coronas trinken. Auf dem Rückweg nach Kwaj entlang des Ostriffs hatten wir außerdem vor, ein paar Fische zu fangen. Den Sonntag – für uns der Anfang vom Wochenende – so zu verbringen, war einfach wunderbar. Auf hundertsiebenundsechzig Grad östlicher Länge – dreizehn Grad westlich der internationalen Datumsgrenze – hatten wir der USA fast einen ganzen Tag voraus, also verabschiedeten wir uns immer zeitversetzt ins Wochenende, um uns den Werktagen auf dem Festland anzugleichen.

      Mein Kumpel Jeff Riggins steuerte das Boot. Da er der Hauptsicherheitsbeauftragter unserer Gruppe und absolut technikbegeistert war, haftete ihm stets etwas Spleeniges an, doch dem Klischee des Computerfreaks entsprach er dennoch nicht, denn ob Außenborder oder Motherboard – er kam mit beidem fantastisch zurecht. Als ausgebildeter Segler, der obendrein auch noch zu den Wenigen auf Kwaj gehörte, die ein eigenes Boot besaßen, war er ruppig und sah auch so aus. Jeff zählte zu jenem Schlag Mensch, der einen sowieso schon entspannten Bootstrip am Wochenende allein durch sein Fachwissen und seine Verlässlichkeit zu einem regelrechten Erholungsausflug für die übrigen Teilnehmer machen konnte. Komme, was wolle: Er wusste immer genau, was zu tun war und auch wie.

      Ich beobachtete Jeff jetzt am Ruder, weil ich mir ein paar seiner Kniffe abschauen wollte.

      Die schulterlangen, blonden Haare unter seiner Milwaukee-Brewers-Baseballmütze flatterten im Wind, und die Sonnenbrille trug er, als wenn er Lesen wollte auf der Nasenspitze. Sein schlabbriges T-Shirt spannte sich vor der Brust, während sich der Stoff am Rücken aufblähte und wie eine ausschlagende Flagge schnalzte. Er war ein klein wenig größer als ich und hatte einen sehr dunklen Teint, der von den vielen Stunden auf hoher See zeugte. Ich schaute ihm dabei zu, wie er sich nach vorne lehnte, wenn wir über eine Welle fuhren und wieder aufrichtete, sobald wir in ihr Tal sackten; so blieb sein Oberkörper während der ganzen Fahrt senkrecht.

      Unerwartet riss Jeff plötzlich das Steuerrad nach backbord herum und gleich darauf wieder in die Gegenrichtung. Ich schaute erschrocken nach steuerbord und sah gerade noch eine Meeresschildkröte, die gemütlich auf der Stelle schwamm, während wir nur wenige Fuß rechts neben ihr vorbeirasten. Das Tier planschte jetzt hektisch im Wasser, weil es von unserer Heckwelle überrascht worden war, hielt dann aber inne und reckte seinen Hals, um uns hinterherschauen zu können. Dabei schien es sich allmählich wieder zu beruhigen und trieb weiter vor sich hin.

      Ungefähr eine Viertelstunde später fuhren wir in den Bigej-Kanal ein, der die Kwajalein Lagoon – die größte Lagune der Welt – mit dem mächtigen Pazifik verband. In den Tropen ließen sich die Jahreszeiten praktisch nicht unterscheiden. Es gab keinen Temperaturanstieg oder -sturz, und Luftfeuchtigkeit und Windstärke schwankten auch immer nur geringfügig. Auf Kwaj war der Sand so weiß und pulverig wie Babypuder, während das Wasser der Korallen wegen so herrlich blaugrün schimmerte, dass ein nicht unbedingt vollkommener Mensch durchaus Schuldgefühle bekommen konnte, nur weil er einen Blick darauf geworfen hatte.

      Weil der Wind an jenem Tag nur schwach wehte, musste die ungewohnt bewegte See von einem Unwetter in der Ferne herrühren. Das Manövrieren fiel dank des langen Wellengangs aber leicht, sodass wir, auch weil der Wind nicht wechselhaft war, den Kanal so mühelos passieren konnten, als würden wir mit einer Bummelbahn fahren – was meinen Kids bestimmt gut gefallen hätte.

      Wir mochten Bigej von allen Inseln des Atolls am liebsten. Von Kwaj aus dauerte die Fahrt dorthin nur eine Dreiviertelstunde, und trotzdem lag sie so weit entfernt wie keine andere. Im Gegensatz zum vergleichsweise urbanen Flair auf Kwajalein, wo sich das weltgrößte Raketentestgelände befand, stand auf Bigej kein einziges Gebäude. Kaum etwas deutete darauf hin, dass irgendein Mensch je einen Fuß an Land gesetzt hatte. Nichts als Wald, lange Sandstrände und eine unberührte, türkisblaue Lagune.

      Als wir uns der Stelle näherten, wo wir am liebsten schnorchelten, waren wir schon im Begriff, uns nach allen Regeln der Kunst zu entspannen, treiben und volllaufen zu lassen. Wir legten uns beim Trinken nämlich genauso fleißig ins Zeug wie auf der Arbeit, und weil wir gut verdienten, ließen wir uns Ersteres auch gern etwas kosten.

      Was von Osten her am Himmel aufzog, beunruhigte mich allerdings ein wenig. Denn laut Vorhersage hatte es größtenteils sonnig bleiben sollen, doch nicht allzu weit entfernt machte ich Cumulonimben am Himmel aus, die für Unwetter typischen Amboss-Wolken. Dort, wo sie sich zusammenbrauten, konnte man mit Gewittern rechnen, und wenn man auf dem Wasser eines fürchten musste, dann Blitze. Auf dem flachen Ozean ragt selbst ein kleiner Mensch so hoch auf wie nichts anderes im weiten Umkreis, und Blitze schlagen bekanntlich stets an den höchsten Punkten ein. Andererseits plagten uns wie immer pausenlos die Mücken, also konnte ein kurzer Wolkenbruch vielleicht gar nicht schaden, denn solange er andauerte, brauchten wir nicht fortwährend um uns zu schlagen.

      Zu unserer Gruppe gehörten auch mein Freund Bill Callaway, der als Bezirkssheriff arbeitete, ein Bekannter von Jeff namens Ed und Sonny Sanders, mit dem wir beide ganz dicke waren.

      ***

      Keiner von uns hatte mehr als zwei Bier getrunken, als unsere Stimmung allmählich umschlug. Denn die bedrohliche Wolkenbank am Himmel im Osten näherte sich immer mehr.

      Wir kletterten deshalb wieder an Bord, wo sich Jeff per Funk mit der Hafenleitung in Verbindung setzte, um sich über das Wetter zu erkundigen. Dort hieß es, man versuche schon seit fünfzehn Minuten, uns zu kontaktieren und uns mitzuteilen, dass eine Warnung für kleine Wasserfahrzeuge herausgegeben worden sei. Er fragte den Mann daraufhin, was wir denn zu unserer Sicherheit jetzt am besten machen sollten … hier vor Ort einen Unterschlupf suchen oder uns noch schnell auf den Rückweg machen. Die Leute von der Behörde rieten uns zu Letzterem. Die Strecke ließ sich ja in fünfundvierzig Minuten bewältigen, und ihrer Aussage zufolge dauerte es garantiert noch eineinhalb Stunden, bis der Sturm richtig losbrach.

      Ich setzte mich neben Sonny und aß Pistazien, während er Corona trank, eines der beliebtesten Biere auf dem Atoll. Ich knackte eine Frucht, warf die Schalen über Bord und steckte sie mir in den Mund.

      »Weißt du«, begann ich mit einer hochgezogenen Augenbraue, die Sonny, wie ich wusste, richtig interpretieren würde. »Irgendwann

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