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und sprach hinein, doch niemand meldete sich. Es klingelte weiter, während ich den Hörer in der Hand hielt und es anschaute.

      Auf einmal spürte ich, wie ich in die Luft aufstieg, so als würde ich mich aus einem sehr tiefen Abgrund erheben. Das Klingeln wurde jetzt immer lauter und kam mir nun auch näher vor, je höher ich schwebte.

      Als es irgendwann nicht mehr weiterging, öffnete ich die Augen. Ich hatte heftiges Herzklopfen, und die Härchen auf meiner feuchtkalten Haut hatten sich aufgerichtet. Als ich mich zur Seite drehte, um auf den Wecker schauen zu können, blieben die durchgeschwitzten Laken zunächst ein wenig an meinem Körper kleben.

      Das Läuten des Telefons – zwei Mal kurz hintereinander, also handelte es sich dabei um einen Anruf, der nicht von der Insel kam – versetzte mir einen erneuten Schrecken. Während ich mich nach dem Gerät ausstreckte, schaute ich wieder auf die Uhr, deren Display in Blutrot 2:34 Uhr anzeigte. Abermals wurde ich panisch, denn dafür, dass mich Kate mitten in der Nacht weckte, konnte es nur einen Grund geben: Etwas Schreckliches war passiert.

      Ich ging ran und sagte leise: »Hallo?«

      »Hast du die Nachrichten gesehen?«, fragte Kate mit beunruhigter Stimme.

      Mein Körper verkrampfte sich, als ich mich auf das unangenehm kühle, feuchte Spannbetttuch zurückwälzte.

      »Was?«, erwiderte ich verwirrt.

      »Die Nachrichten? Hast du den Fernseher eingeschaltet?«

      »Es ist halb drei morgens. Warum sollte ich zu dieser Zeit fernsehen?«

      In meinem entnervten Übereifer brachte ich die Sachen auf meinem Nachttisch in Unordnung und warf deshalb die Fernbedienung auf den Boden. Nachdem ich die Lampe wieder gerade und den Wecker im richtigen Winkel hingestellt hatte, hob ich das Ding auf. Anschließend schaltete ich den Fernseher ein und wartete, bis sich meine Augen langsam an die Helligkeit gewöhnt hatten.

      Als sie sich auf den Bildschirm eingestellt hatten, erkannte ich, dass ich den »Roller« erwischt hatte, wie wir den Sender nannten, der abwechselnd Bildtafeln mit Informationen über die Ereignisse in der Region um das USAKA einblendete. Die Buchstaben standen für das United States Army Kwajalein Atoll, wo sich das wiederum mit RTS abgekürzte Reagan-Raketentestgelände der Marshallinseln befand. Diese lagen ungefähr auf halbem Weg zwischen Hawaii und Australien. Dort lebten wir seit nunmehr sieben Jahren.

      Ich schaltete schnell auf den anderen Kanal um (wir hatten leider nur zwei), wo ein Baseballspiel wiederholt wurde, das ich mir am Abend zuvor bereits angeschaut hatte. Meine Lieblingsmannschaft hatte gespielt, die Seattle Mariners, doch ich ärgerte mich, weil gerade jetzt, wo offensichtlich etwas Wichtiges auf der Welt im Gange war, keine Nachrichten gezeigt wurden.

      »Ich habe hier leider nur Baseball und den Roller«, erklärte ich ihr.

      Kates Seufzer, der daraufhin folgte, hörte sich an, als sei sie bei mir, obwohl sie mit unseren drei Kindern gerade bei ihren Eltern in Seattle zu Besuch war.

      »Es geht um die Rot-Pest. Sie ist außer Kontrolle geraten.«

      Die Medien schlachteten das Aufkommen der Rot-Pest, wie man dieses bisher unbekannte Virus getauft hatte, schon seit ungefähr einer Woche aus. Es handelte sich dabei um einen hämorrhagischen Erreger – äußerst tödlich und sehr ansteckend. Doch außerhalb von Florida, wo er ausgebrochen war, hatte sich bisher niemand damit infiziert, und der Bundesstaat stand eigentlich unter strenger Quarantäne. Aber natürlich sprach man momentan trotzdem über kein anderes Thema.

      »Du weißt doch, wie die Journalisten sind: Der Tod lässt die Einschaltquoten in die Höhe schießen«, entgegnete ich. »Ist jetzt auch woanders jemand krank geworden?«

      »Viel schlimmer als das – es ist jetzt überall!«

      Als Rechtsanwältin war Kate stets schlagfertig, hart im Nehmen und bei Streitgesprächen eine sichere Bank, neigte aber auch gerne zu Übertreibungen. Ich hingegen kam aus der Wissenschaftsecke und zog deshalb stets Rationalität gegenüber Emotionalität vor.

      »Das Virus kann nicht überall sein«, widersprach ich ihr. »Schließlich hast du es nicht.«

      »Die Zahl der Krankheitsfälle ist über Nacht explosionsartig gestiegen«, erzählte sie nun, »und es hat jetzt sowohl Texas als auch Kalifornien und Asien erreicht, vielleicht sogar Europa. Man vermutet mittlerweile sogar, dass es Terroristen entwickelt hätten, und der Präsident lässt sich deshalb schon zu Drohreden hinreißen. Ich habe die Nachrichten auf Fox gesehen und …«

      »Zieh dir die doch bloß nicht rein«, unterbrach ich sie.

      Sie redete fast ohne Pause weiter: »… und die Inkubationszeit beträgt bis zu einer Woche. Wir könnten also alle bereits krank sein, ohne es zu ahnen.«

      »Ich sagte dir doch, das renkt sich alles wieder ein. Bleib schön bei deiner Mom und verlass das Haus nicht – damit meine ich euch alle. Meidet den Kontakt mit anderen, verhaltet euch einfach ruhig und wartet ab, bis das Ganze vorbei ist.«

      »Man zieht sogar bereits in Erwägung, den Luftverkehr komplett auszusetzen. Ich finde, wir sollten deshalb lieber schnell zurück nach Hause kommen.«

      »In einen Flieger steigen?«, fragte ich. »Dafür, dass sie gerade mit dem Gedanken spielen den Flugverkehr einzustellen, gibt es einen guten Grund. Die Gefahr, sich die Rot-Pest einzuhandeln, ist nirgendwo so groß wie auf Flugreisen.«

      »Was sollen wir denn dann machen?«

      »Wie gesagt, vorerst einfach ruhig bleiben und das Haus nicht verlassen. Das Virus kriecht schließlich nicht durch Wände.«

      »Und was, wenn Chaos ausbricht?«

      Darüber hatten wir uns bereits unterhalten. Kate und die Kids verbrachten den Sommer fast jedes Jahr in den Vereinigten Staaten. Ich bekam üblicherweise ein paar Wochen Urlaub, doch wir fragten uns trotzdem oft, was wir tun sollten, falls wir einmal in einer Krisensituation getrennt werden würden und dann plötzlich fünftausend Meilen zwischen uns lagen.

      Ich beschwichtigte sie: »So schlimm wird es schon nicht werden.«

      »Du hast gut reden. Wir sind immerhin hier, und du bist da draußen, wohlbehalten und außer Gefahr.«

      Das stimmte schon. Bei einer weltweiten Katastrophe welcher Art auch immer, hätte es kaum einen sichereren Ort als Kwajalein geben können. Die Insel lag umgeben von mehreren Tausend Seemeilen vollkommen abgeschottet in einer behaglichen und warmen, tropischen Klimazone. Außerdem waren wir dank großer Fischbestände im Meer und der zahlreichen Nutzpflanzen an Land – es gab hier nämlich nicht nur Kokosnüsse – gänzlich unabhängig, was unsere Versorgung anging, und noch dazu horteten wir vermutlich tonnenweise Lebensmittel in irgendwelchen Lagerhäusern.

      »Sollte es wirklich ganz schlimm werden, dann komme ich rüber zu euch«, versprach ich ihr. »Es ist nämlich weitaus besser, wenn ich allein ein Flugzeug nehme, anstatt dass ihr vier es tut.«

      »Falls du es tun kannst«, antwortete sie pessimistisch.

      Ich redete ihr weiter gut zu: »Hör mal, kommt es tatsächlich hart auf hart, bin ich bei euch, versprochen.« Insgeheim war ich aber fest davon überzeugt, dass es niemals soweit ausarten würde.

      Sie erwiderte nichts, weil sie anscheinend gerade gebannt eine News-Sendung verfolgte.

      »Ich muss mich jetzt fertigmachen«, fügte ich hinzu. »Mein Dienst fängt heute sehr früh an.«

      »Ach ja, richtig.« Sie wusste, dass ich an jenem Tag einen Bootstrip mit Freunden geplant hatte.

      Während ich ein paar Sekunden verstreichen ließ, hörte ich sie am anderen Ende der Leitung atmen. In Hinblick auf ihre unbeschreibliche Schönheit und Intelligenz fragte ich mich regelmäßig, welches Karma mir wohl dazu verholfen hatte, eine Frau heiraten zu dürfen, die gleich mehrere Nummern zu groß für mich war.

      »Also gut«, sagte sie schließlich. »Dann lass ich dich jetzt mal machen. »Ich liebe …«

      Die

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