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waren, stand unleugbar fest.

      Den Regen hörten wir bereits, ehe er auf uns niederging – ein fernes, leises Rauschen von Reibungselektrizität, während die ersten Tropfen das Laubdach des Waldes durchdrangen, das dann aber schnell zu einem tosenden Lärm anschwoll, als sich Millionen Hektoliter Wasser auf die Insel ergossen.

      Schließlich fegte das Gewitter auch über uns hinweg.

      An Bord liefen wir zwar weniger Gefahr als im Wasser, vom Blitz getroffen zu werden, doch ungeachtet dieses Schutzes vor dem Strom-Tod konnten wir uns dem Schlagregen trotzdem nicht entziehen. Innerhalb von nur wenigen Sekunden waren wir nass bis auf die Knochen, und unsere Bierflaschen füllten sich zusehends mit Wasser, als seien es Miniaturpegelmesser. Tropfen mit dem Durchmesser kleiner Münzen prasselten auf das Meer, ein einziges Gekräusel infolge aufgehobener Oberflächenspannung, das die ganze Lagune aussehen ließ wie den Mantel eines Golfballes.

      Dann zuckte auf einmal der erste Blitz – im Grunde nur unbestimmt gleißendes Licht ohne erkennbaren Ursprung. Er erhellte die gesamte Umgebung, doch da die Sichtweite momentan allerhöchstens ein paar Meter betrug, schien er von allen Seiten auf einmal über uns hereinzubrechen. Ich wollte die Sekunden zählen, kam aber nicht einmal bis zwei, bevor uns der Donner in gleicher Weise durch Mark und Bein ging, wie er das Boot zum Erzittern brachte. Wir spürten die Erschütterung sogar in unseren Eingeweiden, und entweder ließ die elektrisch aufgeladene Luft unsere Haut wirklich kribbeln, oder wir bildeten es uns lediglich ein.

      »Oh Gott!«, rief Bill. »Es ist direkt über uns!«

      Als gebürtiger Inuit war er im Polarkreis aufgewachsen und dann Marine geworden, bis es ihn schließlich nach ärztlicher Entlassung auf Kwaj verschlagen hatte. Die Fitness eines Soldaten hatte er sich aber bis heute bewahrt. Mit 1,92 cm Körpergröße und zweihundertvierzig Pfund war er ein regelrechter Muskelberg. Wegen seiner schulterlangen, schwarzen Haare und einem Schnurrbart, wirkte er auf andere stets bedrohlich, von seinem dunkelhäutigen Gesicht mit dem permanent mürrischen Ausdruck ganz zu schweigen. Eine Schwäche hatte Bill allerdings: Er fürchtete sich vor Blitzen. Denn in seiner Kindheit war er niemals in ein Gewitter geraten, und nachdem er herausgefunden hatte, dass ich Meteorologe bin, hatte er mir eines Tages gestanden, dass sie ihm schreckliche Angst einjagten.

      »Ein paar Hundert Meter«, antwortete ich nach schnellem Kopfrechnen wegen der Differenz von Licht- und Schallgeschwindigkeit.

      »Vielleicht sollten wir doch zurückfahren«, legte uns Bill nahe.

      Jeff ging nicht darauf ein, sondern konzentrierte sich stattdessen auf das Steuer.

      »Beruhige dich, Bill«, sagte ich. »Die Wahrscheinlichkeit, dass wir getroffen werden, ist äußerst gering.«

      »Gering ist aber immer noch viel höher als Null«, seufzte er. Dann tastete er fahrig seine Taschen ab wie ein Raucher, der seine Zigaretten sucht.

      »Außerdem habe ich keine Zahnstocher mehr dabei«, fügte er hinzu. Ohne einen im Mund sah man ihn so gut wie nie.

      Der Regenguss zog jetzt den Wind nach unten, sodass er über die Wipfel brauste und uns bedrängte. Das Boot schaukelte und schwankte so heftig, als wolle der Anker aus dem Meeresboden reißen. Es flackerte erneut, doch dieses Mal sahen wir den Blitz nicht weit nördlich von uns. Ich zählte bis zwei, dann folgte der Donner. Die Sonnenbrille von jemanden rutschte über das Deck.

      Ich beobachtete das Unwetter eine Zeit lang, doch als ich kurz nach unten schaute, bemerkte ich, dass Sonny mit dem Rücken am Seitendeck auf dem Boden saß. Er ließ die Arme über seine Knie hängen, hielt lässig eine halbleere Bierflasche in der rechten Hand und sah so zufrieden aus, wie man nur sein konnte.

      Wasser strömte ihm am Gesicht hinunter, tropfte vom Kinn und von seiner Nase. Er trank noch einen Schluck und blickte zu mir hoch. Um nicht zu prusten, schürzte er die Lippen, ließ sich aber zu einem vergnügten Lächeln hinreißen und wies mit einem Nicken nach oben, als wenn er auszudrücken wollte, dass er bis zu einem gewissen Grad seine Freude, aber auch Bedenken hatte, was eine etwaige Gefahr anging. Das Wasser lief ihm in die Augen, also beugte er den Kopf wieder nach vorne und starrte seine Flasche an, furchtlos und scheinbar gänzlich unbeeindruckt von der Situation.

      Plötzlich knackte der Lautsprecher des Funkgeräts. »Kilo-six … uns hören?« Störgeräusche unterbrachen die Verbindung immer wieder.

      »Kilo-six-five hier, bitte wiederholen«, bat Jeff, der sofort zum Sprechteil gegriffen hatte.

      Vorübergehend verstand man den Funker: »Kilo-six-five. Bitte beachten Sie, dass der Wind um fünfundzwanzig Stundenkilometer … und … dass … vierzig bis fünfzig Knoten …« Dann ertönte wieder nur Knistern.

      »Hafenkontrolle, bitte den Schluss wiederholen. Vierzig bis fünfzig Knoten was?«

      »Wiederhole … Knoten … Stundenkilometer. Ist … Anderssen …?«

      Der Zusammenhang fehlte uns aufgrund der Aussetzer komplett. Jeff schaute mich an und zog die Schultern hoch, ich ebenfalls.

      »Ja, er ist hier. Bitte wiederholen Sie den Schluss.«

      »… gebraucht … Station.«

      »Ich würde vermuten, die wollen dich auf der Wetterstation haben«, schlussfolgerte Jeff.

      Da wir praktisch alle für die Regierung arbeiteten, konnte man uns relativ leicht aufspüren, wenn wir gebraucht wurden. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, wozu ich gerade jetzt gebraucht wurde. Es war Mai, und ein ruhiger, trockener Frühling ging zu Ende. Vielleicht hatte sich einer meiner Angestellten verletzt oder krankgemeldet?

      Wieder hörten wir nur Rauschen, nachdem Jeff noch mehrere Male um Klarstellung gebeten hatte. Jetzt blitzte und donnerte es fast simultan, Letzteres lauter als der strömende Regen.

      »Okay, das reicht, wir brechen auf!«, rief Jeff kaum hörbar im Getöse des Unwetters.

      »Aber hier sind wir wenigstens geschützt«, entgegnete Ed nervös. »Draußen im Kanal wird es zehn Mal so schlimm sein.«

      »Ich weiß, aber das mit den vierzig bis fünfzig Knoten ist mir nicht geheuer. Außerdem will ich nicht hierbleiben und darauf warten, dass wir irgendwann vom Blitz getroffen werden. Noch 'ne Stunde, dann ist es dunkel, und bei Nacht dürfte es noch ätzender, als bei Tageslicht sein, durch diesen Scheiß zu segeln, verlass dich drauf.«

      Ich für meinen Teil tat dies durchaus, denn er fuhr schließlich schon jahrzehntelang zur See. Falls es einen Mann gab, der wusste, was man unter diesen Umständen am besten tat, dann er. Ed war jedoch nicht so überzeugt von ihm wie ich und suchte deshalb jetzt Sonnys Blick, wohl weil er dachte, dass dieser und Jeff gelegentlich wegen bestimmter Methoden an Bord aneinandergerieten.

      Sonny reagierte allerdings nicht, sondern genehmigte sich nur einen weiteren Schluck Bier.

      »Ich wollte nur sagen, dass wir meines Erachtens hier sicherer sind, mehr nicht«, fügte Ed hinzu.

      »Ich lasse es lieber auf den Wellengang als auf die Blitze ankommen«, hielt Bill dagegen, als wenn er ihn überstimmen wollte.

      »Wir verschwinden«, entschied Jeff schließlich. »Anker lichten.«

      Ich konnte die Wasseroberfläche kaum erkennen, während ich mich ins Zeug legte, das Boot auf den Anker zu zuziehen. Ed saß hinter mir und übernahm das Aufschießen der Leine. Jeff jagte den Motor hoch, um vorwärtszufahren, und ließ uns über dem Anker ausgleiten, wobei sich dieser nur aus dem Grund löste, weil ich das Boot jetzt nicht mehr gegen den Wind beziehungsweise die Strömung ziehen musste. Danach war es ein Leichtes, das Eigengewicht des Metalls einzuholen und über den Bug an Deck zu hieven.

      Es blitzte weiterhin, während der Wind den Regen mit ungefähr dreißig Knoten herumwirbelte und uns klitschnass machte. Unser einziger Lichtblick bestand darin, dass es dem Sturm zum Trotz immer noch relativ warm war. Die Temperatur fiel selbst bei Starkregen nur selten unter dreiundzwanzig Grad.

      Nachdem ich etwa fünfzig Fuß Nylonleine eingezogen hatte, folgte die Kette mit dem Anker. Ich konnte mein Gleichgewicht

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