Скачать книгу

Ruhe erblicke. Diese Stunden des Zweifels und der Unrast sind vielleicht notwendig; sie lehren mich wenigstens, nach dem Aufschwung, der mich bis in den Himmel erhoben hat, wo ich mit vollen Händen nach den Ideen greife, nicht stolz zu werden. Denn immer, wenn ich lange die weiten Felder des Geistes durchwandert und wenn ich mich in lichten Gedanken bewegt habe, dann stürze ich, müde und erschöpft, in diese Hölle zurück. In solchen Augenblicken, mein Engel, müßte eine Frau an meiner Liebe zweifeln, sie könnte es wenigstens. Oft, wenn sie verstimmt wäre, elend oder traurig, würde sie die Wohltat einer erfinderischen Zärtlichkeit verlangen, und ich hätte nicht einmal einen Blick, um sie zu trösten. Ich schäme mich, Pauline, es einzugestehen, daß ich dann wohl mit Dir weinen könnte, aber nichts würde mir ein Lächeln entreißen. Eine Frau findet freilich in ihrer Liebe die Kraft, ihre Schmerzen zu stillen! Für ihr Kind, für den Geliebten kann sie leidend lächeln. Kann ich denn für Dich, Pauline, es der Frau nicht gleich tun in ihrer himmlischen Zartheit? Seit gestern zweifle ich an mir selbst. Wenn ich Dir einmal habe mißfallen können, so muß ich fürchten, öfter durch meinen verhängnisvollen Dämon aus unserer schönen Sphäre entführt zu werden. Wenn ich viele solcher schrecklichen Augenblicke hätte, wenn meine grenzenlose Liebe die schlechten Stunden meines Lebens nicht wettmachen kann, wenn es mein Schicksal ist, so zu bleiben, wie ich bin? … Verhängnisvolle Frage! Die Macht ist ein unheilvolles Geschenk, wenn das, was ich in mir fühle, Macht ist. Pauline, gehe fort von mir; verlasse mich! Ich möchte lieber alle Qualen des Lebens ertragen als den Schmerz, Dich durch mich unglücklich zu sehen. Aber vielleicht hat der Dämon nur so viel Macht über meine Seele bekommen, weil keine sanften und weißen Hände bei mir waren, um ihn zu verjagen. Noch nie hat mir eine Frau den Balsam des Trostes gereicht, und ich weiß nicht, oh, wenn in solchen Augenblicken der Mattigkeit ihre Flügel über mir rauschten, sich nicht neue Kräfte in meinem Herzen entfalten würden. Vielleicht ist diese grausame Melancholie nur eine Frucht meiner Einsamkeit, einer der Schmerzen der verlassenen Seele, die klagt und ihre Schätze mit ungekannten Schmerzen bezahlt. Den leichten Freuden die leichten Leiden, dem unermeßlichen Glück die unerhörte Qual! Was für ein Urteilsspruch! Wenn er wahr wäre, sollten wir nicht für uns zittern, die wir so übermenschlich glücklich sind? Wenn uns die Natur die Dinge nach ihrem Wert verkauft, in welchen Abgrund müssen wir fallen? Ach, die Liebenden sind am besten daran, die mitten aus Jugend und Liebe heraus zusammen sterben! Welch eine Traurigkeit! Ahnt meine Seele eine böse Zukunft voraus? Ich prüfe und frage mich, ob etwas in mir ist, was Dir den leisesten Kummer bereiten könnte. Ich liebe Dich vielleicht als Egoist. Ich lege auf Dein liebes Haupt vielleicht eine Last, die schwerer ist, als meine Liebe Deinem Herzen wohltun kann. Wenn in mir eine unerbittliche Macht ist, der ich gehorche, wenn ich fluchen muß, wo Du die Hände zum Gebet faltest, wenn traurige Gedanken mich beherrschen, wo ich doch lieber zu Deinen Füßen säße, um mit Dir zu spielen, wie ein Kind, wirst Du dann nicht eifersüchtig sein aus diesen fordernden und unheimlichen Dämon? Verstehst Du denn auch, Du mein Herz, daß ich fürchte, Dir nicht ganz zu gehören, und daß ich gern auf alle Macht, auf allen Ruhm der Welt verzichten möchte, um Dich zu meinem ewigen Gedanken zu machen, um in unserer wundervollen Liebe ein schönes Leben und eine schöne Dichtung zu sehen; um meine ganze Seele in sie hineinzulegen, meine Kräfte in sie zu vergraben, und von jeder Stunde die Freuden zu fordern, die sie uns schuldig ist? Aber sieh, in dem Maße, wie die Erinnerung an unsere Liebe mir zurückkommt, verteilen sich die Wolken meiner Traurigkeit. Leb wohl! Ich verlasse Dich, um Dir noch mehr anzugehören. Mein geliebtes Herz, ich erwarte ein Wort, ein Zeichen, das mir den Frieden des Herzens zurückgibt. Wenn ich nur wüßte, ob ich meine Pauline wirklich traurig gemacht habe, oder ob nur ein unbestimmter Ausdruck Deines Gesichtes mich irre geführt hat. Ich möchte mir nicht vorzuwerfen haben, nach einem glücklichen Leben zu Dir gekommen zu sein, ohne ein Lächeln voller Liebe, ohne ein gutes Wort. Die Frau, die man liebt, betrüben, ist – für mich – ein Verbrechen, Pauline. Sage mir die Wahrheit, sage mir keine großmütige Lüge, aber nimm Deiner Verzeihung alle Grausamkeit.

Fragment

      Ist eine so tiefe Zuneigung ein Glück? Ja, denn Jahre des Leids wiegen nicht eine Stunde der Liebe auf. Gestern huschte Deine Traurigkeit wie ein Schatten über meine Seele. Warst Du traurig oder hast Du gelitten? Ich habe gelitten. Woher kam dieser Schmerz? Schreibe mir schnell. Warum habe ich es nicht erraten? So sind wir also noch nicht vollkommen durch den Gedanken vereinigt? Ich sollte in einer Entfernung von zwei Meilen oder von tausend Meilen Deinen Kummer und Deine Schmerzen fühlen. Ich werde so lange nicht glauben, Dich zu lieben, solange mein Leben nicht so eng mit dem Deinen verbunden ist, daß wir ein und dasselbe Leben, ein und dasselbe Herz, ein und denselben Gedanken haben. Ich muß da sein, wo Du bist, sehen, was Du siehst, fühlen, was Du fühlst, und Dir in Gedanken folgen. Habe ich nicht als erster gewußt, daß Dein Wagen umgefallen, daß Du verletzt warst? Aber auch an jenem Tage hatte ich Dich nicht verlassen, ich sah Dich. Als mein Onkel mich fragte, warum ich so blaß geworden sei, sagte ich zu ihm: »Fräulein von Villenoix ist soeben gestürzt.« Warum habe ich da gestern nicht in Deiner Seele lesen können? Wolltest Du mir die Ursache Deines Kummers verbergen? Ich glaube erraten zu haben, daß Du bei dem gefürchteten Salomon, bei dem es mir eiskalt über den Rücken läuft, vergebliche Anstrengungen zu meinen Gunsten gemacht hast. Dieser Mann stammt nicht aus unserm Himmel. Warum willst Du, daß unser Glück, das in nichts dem Glück der anderen gleicht, sich den Gesetzen der Welt anpaßt? Aber ich liebe Deine tausend Bedenken, Deine Religion, Deine Gewissenhaftigkeit zu sehr, als daß ich nicht dem geringsten Deiner Einfälle gehorchen sollte. Was Du tun mußt, muß gut sein; es gibt nichts Reineres als Deine Gedanken, wie es nichts Schöneres gibt als Dein Antlitz, in dem sich Deine edle Seele widerspiegelt. Ich werde Deinen Brief abwarten, ehe ich mich auf den Weg mache, dem holden Augenblick entgegen, den Du mir gönnst. – Ach, wenn Du wüßtest, wie ich beim Anblick der Türme zittere, wenn ich sie endlich im Lichte des Mondes sehe, unseres Freundes, unseres einzigen Vertrauten.

      IV

      Leb wohl, Ruhm, Zukunft, Leben, das ich mir erträumte. Jetzt, innig Geliebte, ist mein Ruhm, Dein zu sein, Deiner würdig, meine Zukunft ist einzig die Hoffnung, Dich zu sehen. Und mein Leben? Besteht es nicht darin, zu Deinen Füßen zu sitzen, mich unter Deinen Blicken auszuruhen, in dem Himmel, den Du mir geschaffen hast, aufzuatmen? Alle meine Kräfte, alle meine Gedanken sollen Dir gehören. Dir, die mir jene berauschenden Worte gesagt hat: »Ich fordere Deine Schmerzen.« Hieße es nicht, der Liebe die Freude, dem Glücke seine Augenblicke, Deiner himmlischen Seele Gefühle rauben, wenn ich dem Studium Stunden opferte, der Welt Ideen, den Dichtern Dichtungen? Nein, geliebtes Leben, alles will ich für Dich aufbewahren, ich will Dir alle Blumen meiner Seele bringen. Gibt es etwas, schön, kostbar genug unter den Schätzen der Erde und des Geistes, um ein Herz zu ehren, das so reich und so rein ist wie das Deine, dem ich das meine zu verbinden wage? Ja, zuweilen glaube ich, in meinem Dünkel, daß ich ebenso zu lieben verstünde wie Du. Aber nein, Du bist ein Engel in Frauengestalt: in dem Ausdruck Deiner Gefühle wird immer mehr Reiz, in Deiner Stimme mehr Wohllaut, in Deinem Lächeln mehr Anmut liegen als in dem meinen. Ja, laß mich glauben, daß Du ein Geschöpf aus einer höheren Sphäre bist als der, in der ich lebe; Du hast das stolze Bewußtsein, aus ihr herabgestiegen zu sein, und ich das, Dich verdient zu haben; und vielleicht wirst Du nicht enttäuscht sein, daß Du zu mir Armem und Unglücklichem gekommen bist. Ja, wenn die schönste Wohnung einer Frau ein Herz ist, das ihr ganz gehört, dann wirst Du immer in dem meinen herrschen. Kein Gedanke, keine Tat wird je dieses Herz, dieses kostbare Heiligtum verdunkeln, solange Du darin wohnen willst, aber wohnst Du denn nicht immer darin? Hast Du mir nicht dieses köstliche Wort gesagt: »Jetzt und immer«? »Et nunc et semper!« Ich habe dieses fromme Wort unter Dein Bild eingegraben, es ist Deiner würdig, wie es Gottes würdig ist. Er ist »Jetzt und immer«, wie es meine Liebe sein wird. Nein, nein, nie wird das erschöpft sein, was unermeßlich, unendlich, grenzenlos ist! Und so ist das Gefühl, das ich in mir für Dich empfinde; ich habe dessen unermeßliche Weite geahnt, wie wir den Raum nach dem Maß eines seiner Teile ahnen. Ich habe unaussprechliche Freuden gehabt, ganze Stunden seliger Andacht, wenn ich mich an eine Deiner Bewegungen erinnerte oder an den Ton eines Satzes. Es werden also Erinnerungen aufsteigen, unter deren Wucht ich zusammenbrechen werde, wenn schon das Erinnern einer holden und vertrauten Stunde mich vor Freude weinen läßt, mich ergreift, mir durchs Herz dringt und eine nicht zu stillende Quelle des Glücks wird. Lieben, das ist das Leben der Engel! Ich glaube, nie wird die Freude für mich aufhören, die ich empfinde, wenn ich Dich sehe.

Скачать книгу