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Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band. Оноре де Бальзак
Читать онлайн.Название Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band
Год выпуска 0
isbn 9788026813170
Автор произведения Оноре де Бальзак
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ist eine so tiefe Zuneigung ein Glück? Ja, denn Jahre des Leids wiegen nicht eine Stunde der Liebe auf. Gestern huschte Deine Traurigkeit wie ein Schatten über meine Seele. Warst Du traurig oder hast Du gelitten? Ich habe gelitten. Woher kam dieser Schmerz? Schreibe mir schnell. Warum habe ich es nicht erraten? So sind wir also noch nicht vollkommen durch den Gedanken vereinigt? Ich sollte in einer Entfernung von zwei Meilen oder von tausend Meilen Deinen Kummer und Deine Schmerzen fühlen. Ich werde so lange nicht glauben, Dich zu lieben, solange mein Leben nicht so eng mit dem Deinen verbunden ist, daß wir ein und dasselbe Leben, ein und dasselbe Herz, ein und denselben Gedanken haben. Ich muß da sein, wo Du bist, sehen, was Du siehst, fühlen, was Du fühlst, und Dir in Gedanken folgen. Habe ich nicht als erster gewußt, daß Dein Wagen umgefallen, daß Du verletzt warst? Aber auch an jenem Tage hatte ich Dich nicht verlassen, ich sah Dich. Als mein Onkel mich fragte, warum ich so blaß geworden sei, sagte ich zu ihm: »Fräulein von Villenoix ist soeben gestürzt.« Warum habe ich da gestern nicht in Deiner Seele lesen können? Wolltest Du mir die Ursache Deines Kummers verbergen? Ich glaube erraten zu haben, daß Du bei dem gefürchteten Salomon, bei dem es mir eiskalt über den Rücken läuft, vergebliche Anstrengungen zu meinen Gunsten gemacht hast. Dieser Mann stammt nicht aus unserm Himmel. Warum willst Du, daß unser Glück, das in nichts dem Glück der anderen gleicht, sich den Gesetzen der Welt anpaßt? Aber ich liebe Deine tausend Bedenken, Deine Religion, Deine Gewissenhaftigkeit zu sehr, als daß ich nicht dem geringsten Deiner Einfälle gehorchen sollte. Was Du tun mußt, muß gut sein; es gibt nichts Reineres als Deine Gedanken, wie es nichts Schöneres gibt als Dein Antlitz, in dem sich Deine edle Seele widerspiegelt. Ich werde Deinen Brief abwarten, ehe ich mich auf den Weg mache, dem holden Augenblick entgegen, den Du mir gönnst. – Ach, wenn Du wüßtest, wie ich beim Anblick der Türme zittere, wenn ich sie endlich im Lichte des Mondes sehe, unseres Freundes, unseres einzigen Vertrauten.
IV
Leb wohl, Ruhm, Zukunft, Leben, das ich mir erträumte. Jetzt, innig Geliebte, ist mein Ruhm, Dein zu sein, Deiner würdig, meine Zukunft ist einzig die Hoffnung, Dich zu sehen. Und mein Leben? Besteht es nicht darin, zu Deinen Füßen zu sitzen, mich unter Deinen Blicken auszuruhen, in dem Himmel, den Du mir geschaffen hast, aufzuatmen? Alle meine Kräfte, alle meine Gedanken sollen Dir gehören. Dir, die mir jene berauschenden Worte gesagt hat: »Ich fordere Deine Schmerzen.« Hieße es nicht, der Liebe die Freude, dem Glücke seine Augenblicke, Deiner himmlischen Seele Gefühle rauben, wenn ich dem Studium Stunden opferte, der Welt Ideen, den Dichtern Dichtungen? Nein, geliebtes Leben, alles will ich für Dich aufbewahren, ich will Dir alle Blumen meiner Seele bringen. Gibt es etwas, schön, kostbar genug unter den Schätzen der Erde und des Geistes, um ein Herz zu ehren, das so reich und so rein ist wie das Deine, dem ich das meine zu verbinden wage? Ja, zuweilen glaube ich, in meinem Dünkel, daß ich ebenso zu lieben verstünde wie Du. Aber nein, Du bist ein Engel in Frauengestalt: in dem Ausdruck Deiner Gefühle wird immer mehr Reiz, in Deiner Stimme mehr Wohllaut, in Deinem Lächeln mehr Anmut liegen als in dem meinen. Ja, laß mich glauben, daß Du ein Geschöpf aus einer höheren Sphäre bist als der, in der ich lebe; Du hast das stolze Bewußtsein, aus ihr herabgestiegen zu sein, und ich das, Dich verdient zu haben; und vielleicht wirst Du nicht enttäuscht sein, daß Du zu mir Armem und Unglücklichem gekommen bist. Ja, wenn die schönste Wohnung einer Frau ein Herz ist, das ihr ganz gehört, dann wirst Du immer in dem meinen herrschen. Kein Gedanke, keine Tat wird je dieses Herz, dieses kostbare Heiligtum verdunkeln, solange Du darin wohnen willst, aber wohnst Du denn nicht immer darin? Hast Du mir nicht dieses köstliche Wort gesagt: »Jetzt und immer«? »Et nunc et semper!« Ich habe dieses fromme Wort unter Dein Bild eingegraben, es ist Deiner würdig, wie es Gottes würdig ist. Er ist »Jetzt und immer«, wie es meine Liebe sein wird. Nein, nein, nie wird das erschöpft sein, was unermeßlich, unendlich, grenzenlos ist! Und so ist das Gefühl, das ich in mir für Dich empfinde; ich habe dessen unermeßliche Weite geahnt, wie wir den Raum nach dem Maß eines seiner Teile ahnen. Ich habe unaussprechliche Freuden gehabt, ganze Stunden seliger Andacht, wenn ich mich an eine Deiner Bewegungen erinnerte oder an den Ton eines Satzes. Es werden also Erinnerungen aufsteigen, unter deren Wucht ich zusammenbrechen werde, wenn schon das Erinnern einer holden und vertrauten Stunde mich vor Freude weinen läßt, mich ergreift, mir durchs Herz dringt und eine nicht zu stillende Quelle des Glücks wird. Lieben, das ist das Leben der Engel! Ich glaube, nie wird die Freude für mich aufhören, die ich empfinde, wenn ich Dich sehe.