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nicht.

25. November

      Glaube mir, lieber Onkel, es ist schwer, ohne Schmerz auf ein Leben zu verzichten, das uns gemäß ist; ich kehre mit einer heftigen Erregung des Herzens nach Blois zurück. Ich werde dort sterben und nützliche Wahrheiten mit mir ins Grab nehmen. Keine persönlichen Interessen entwürdigen mein Bedauern. Bedeutet der Ruhm demjenigen etwas, der in eine höhere Sphäre gelangen zu können glaubt? Ich empfinde keinerlei Liebe für die beiden Silben ›Lam‹ und ›bert‹; ob sie nun mit Verehrung oder Gleichgültigkeit über meinem Grabe ausgesprochen werden, sie ändern an meinem weiteren Schicksal nichts. Ich fühle mich stark, voller Energie und könnte eine Macht werden; ich fühle ein so strahlendes Leben in mir, daß ich damit eine Welt beleben könnte und bin doch eingeschlossen in eine Art von Mineral wie es vielleicht in der Tat die Farben sind, die wir am Halse der Vögel auf der indischen Halbinsel bewundern. Man müßte die ganze Welt umarmen, sie zusammenpressen, um sie neu zu machen. Aber waren nicht diejenigen, die sie so zusammenpreßten, anfangs nur ein Räderwerk der Maschine? Ich aber werde zermalmt werden. Mohammed gehört der Säbel, Jesus das Kreuz, mir der dunkle Tod; morgen in Blois und ein paar Tage später in einem Sarge.

      Weißt du, warum ich wieder bei Swedenborg gelandet bin, nachdem ich unendlich viel über die Religionen studiert habe und mir durch die Lektüre der Arbeiten, die das fleißige Deutschland, die England und Frankreich seit sechzig Jahren veröffentlicht haben, die tiefe Wahrheit meiner Jugendbemerkungen über die Bibel klar gemacht habe? Swedenborg faßt in der Tat alle Religionen zusammen oder vielmehr, die einzige Religion der Menschheit. Wenn ihre Gottesdienste auch unzählige Formen angenommen haben, ihr Sinn und ihre metaphysische Gestaltung haben sich nie gewandelt. Der Mensch hat also stets nur eine Religion gehabt. Der Schivaismus, der Vischnuismus und der Brahmaismus, die drei ersten menschlichen Kulte, die in Tibet, im Tale des Indus und auf den weiten Ebenen des Ganges entstanden sind, haben ein paar tausend Jahre vor Christus den Krieg untereinander beendet, indem sie die hinduistische Lehre von der Trimurti angenommen haben. Aus diesem Dogma ging in Persien die Religion der Magier hervor, in Ägypten die afrikanischen Religionen und der Mosaismus und endlich der Kabirismus und der griechisch-römische Polytheismus. Während diese Ausstrahlungen der Lehre von der Trimurti die Mythen Asiens den Phantasien jedes Landes anpassen, in das sie durch die Weisen eingeführt wurde, die die Menschen dann in Halbgötter wie Mithra, Bacchus, Hermes, Herkules verwandeln, erhebt sich Buddha, der berühmte Reformator der drei ersten Religionen in Indien und gründet dort seine Kirche, die noch heute zweihundert Millionen Anhänger mehr zählt als das Christentum, und aus der die gewaltigen Gedanken eines Christus und eines Konfuzius Kraft geschöpft haben. Das Christentum erhebt sein Banner; später schweißt Mohammed Judentum und Christentum, Bibel und Evangelium in einem Buche dem Koran, zusammen, und paßte alles dem Geiste der Araber an. Swedenborg nun nimmt aus der Lehre der Magier, aus dem Brahmaismus, dem Buddhismus und dem christlichen Mystizismus, was diese vier großen Religionen Gemeinsames, Wirkliches, Göttliches haben, und gibt ihren Lehren eine sozusagen mathematische Grundlage. Wer sich in diese religiösen Strömungen stürzt, deren Gründer nicht alle bekannt sind, der erkennt, daß Zarathustra, Moses, Buddha, Konfuzius, Jesus Christus, Swedenborg die gleichen Prinzipien haben und daß sie dem gleichen Ziele zustreben. Aber der letzte von allen, Swedenborg, wird vielleicht der Buddha des Nordens werden. So dunkel und weitschweifig seine Bücher auch sein mögen, es sind Stellen von einer geradezu gewaltigen Auffassung darin. Sein Gottesreich ist erhaben und seine Religion die einzige, die einem höheren Geiste Raum läßt. Er allein läßt uns an Gott heranreichen, er flößt uns das Verlangen nach ihm ein, er hat die Majestät Gottes aus den Banden befreit, in die die anderen Kulte ihn eingeschnürt haben. Er hat ihn dort gelassen, wo er ist, und läßt um ihn her seine zahllosen Schöpfungen und Geschöpfe durch dauernde Wandlungen kreisen, die eine viel unmittelbarere, viel natürlichere Zukunft bedeuten, als die Ewigkeitslehre des Katholizismus. Er hat Gott von dem Vorwurf befreit, den zarte Seelen ihm wegen der lang andauernden Rache machen, mit der er die Fehler eines Augenblicks bestraft; ein System ohne Gerechtigkeit und Güte. Jeder Mensch vermag zu wissen, ob es ihm bestimmt ist, in ein anderes Leben überzugehen, und ob jene Welt einen Sinn hat. Diesen Versuch will ich jetzt machen. Dieser Versuch kann die Welt ebensogut retten, wie das Kreuz von Jerusalem und der Säbel von Mekka getan haben. Beide sind sie Kinder der Wüste. Von den dreiunddreißig Jahren, die Jesus alt wurde, sind nur neun bekannt. Sein unbekanntes Leben hatte sein ruhmreiches vorbereitet. Auch ich brauche die Wüste!

      Trotz der Schwierigkeit des Unterfangens habe ich doch geglaubt versuchen zu sollen, die Jugend Lamberts zu schildern, dieses verborgene Leben, dem ich die einzigen guten Stunden und die einzigen schönen Erinnerungen meiner Kindheit verdanke. Außer diesen zwei Jahren kannte ich nur Unruhe und Kummer. Wenn später das Glück gekommen ist, so war es immer ein unvollkommenes. Ich bin sicher sehr weitschweifig gewesen; aber wenn man nicht in das Herz und das Hirn Lamberts eindringt, zwei Worte, die nur unvollkommen die unendlich vielen Spielarten seines ›inneren Lebens‹ wiedergeben, wäre es fast unmöglich, die zweite Hälfte seiner Geistesgeschichte zu verstehen, die der Welt und mir gleichermaßen unbekannt ist, dessen geheime Entwicklung sich jedoch während weniger Stunden vor mir enthüllt hat. Wem dieses Buch noch nicht aus den Händen geglitten ist, der wird, hoffe ich, die Ereignisse verstehen, die noch zu berichten sind und die gewissermaßen eine zweite Existenz dieses Geschöpfes darstellen; warum sage ich nicht ›dieser Schöpfung‹, in der alles außergewöhnlich sein mußte, auch das Ende?

      Als Louis wieder in Blois war, bemühte sich sein Onkel, ihm Zerstreuungen zu verschaffen. Aber der arme Geistliche war in dieser frommen Stadt wie ein wirklicher Aussätziger. Keiner wollte einen Revolutionär, einen auf die Verfassung Vereidigten bei sich aufnehmen. Doch die Gesellschaft bestand auch noch aus einigen Personen von sogenannter liberaler, patriotischer oder konstitutioneller Anschauung, zu denen er ging, um seine Partie Whist oder Boston zu spielen. In dem ersten Hause, in das ihn sein Onkel einführte, begegnete Louis ein junges Mädchen, das durch ihre gesellschaftliche Stellung gezwungen war, in diesen Kreisen, die von den Leuten der großen Welt gemieden wurden, zu bleiben, obgleich ihr Vermögen groß genug war, daß man hätte annehmen können, sie würde später eine Verbindung in der hohen Aristokratie des Landes eingehen. Fräulein Pauline von Villenoix war die einzige Erbin eines Vermögens, das ihr Großvater, ein Jude namens Salomon, erworben hatte, der – entgegen den Gebräuchen seines Volkes – in hohem Alter eine Frau katholischer Konfession geheiratet hatte. Er hatte einen Sohn, der im Glauben der Mutter erzogen wurde. Beim Tode des Vaters kaufte der junge Salomon ein Gut, das Adelsvorrechte verlieh, ließ den Grund und Boden von Villenoix zum Lehn erheben und nahm den Namen seiner Besitzung an. Er war unverheiratet gestorben, hinterließ aber eine natürliche Tochter, der er den größten Teil seines Vermögens vererbte, vor allem seine Besitzung Villenoix. Einer seiner Onkel, Joseph Salomon, wurde von Herrn von Villenoix zum Vormund der Waise bestimmt. Dieser alte Jude liebte sein Mündel derart, daß er große Opfer zu bringen gewillt schien, um sie günstig zu verheiraten. Aber die Herkunft von Fräulein von Villenoix und die Vorurteile, die man in der Provinz gegen Juden hatte, gestatteten es ihr nicht, trotz ihres Vermögens und desjenigen ihres Vormunds, in jene ganz exklusive Gesellschaft hineinzukommen, die sich mit Recht oder Unrecht adelig nennt. Doch Herr Joseph Salomon wollte, da er keinen Provinzedelmann fand, daß sein Mündel nach Paris ginge, um unter den liberalen oder monarchisch gesinnten Pairs einen Gatten zu wählen. Ihr Glück glaubte ihr der gute Vormund durch die Abmachungen eines Ehekontraktes garantieren zu können. Fräulein von Villenoix war damals zwanzig Jahre alt. Ihre große Schönheit, die Anmut ihres Geistes waren für ihr Glück bessere Garantien als diejenigen, die ihr ihr Vermögen verschaffen konnte. Ihre Züge zeigten den reinen Typ der schönen Jüdin, jene ovalen, reinen und kühngeschwungenen Linien, die etwas Ideales an sich haben und die die Wunder des Orients ausströmen, die immer gleich bleibende Bläue seines Himmels, den Glanz seiner Erde und die fabelhaften Reichtümer seines Lebens. Sie hatte schöne Augen mit langen Augenlidern, an denen starke und geschwungene Wimpern hingen. Eine biblische Unschuld lag auf ihrer Stirn. Ihr Teint hatte die mattweiße Farbe der Priestergewänder. Gewöhnlich war sie still und zurückhaltend; aber ihre Gesten, ihre Bewegungen bezeugten eine verborgene Anmut, wie auch ihre Worte den sanften und liebevollen Geist der Frau bekundeten. Aber sie besaß nicht die rosige Frische, jene roten Farben, die die Wangen der Frau in ihren sorglosen Jahren schmücken. Bräunliche Farbtöne, von einigen rötlichen Äderchen durchzogen, ersetzten

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