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beschäftigt, ich gehe bestimmten Entdeckungen entgegen, eine unbezwingliche Kraft zieht mich zu einem Licht hin, das schon frühzeitig in der Dunkelheit meines geistigen Lebens gebrannt hat; aber was für einen Namen soll ich der Macht gehen, die mir die Hände bindet, den Mund verschließt und mich in eine meiner Neigung entgegengesetzte Richtung zerrt? Ich muß Paris verlassen, den Büchern, den Bibliotheken Lebewohl sagen, diesen hellen schönen Stätten, den liebenswürdigen, entgegenkommenden Gelehrten, den jungen Geistern, die mir lieb geworden sind. Was treibt mich? Ist es der Zufall, ist es die Vorsehung? Die beiden Ideen, die diese Worte darstellen, sind nicht zu vereinen. Wenn es keinen Zufall gibt, dann muß man den Fatalismus annehmen oder die gewaltsame Koordination der Dinge, die einem allgemeinen Plan unterstellt sind. Warum sträuben wir uns also? Wenn der Mensch nicht mehr frei ist, was wird dann aus dem Gerüst seines Geistes? Und wenn er sich sein Schicksal selbst bereiten kann, wenn er aus freiem Willen die Ausführung eines allgemeinen Planes hindern kann, was wird dann aus Gott? Warum bin ich auf die Welt gekommen? Wenn ich mich prüfe, so weiß ich es: in mir finde ich Gedanken, die zu entwickeln wären. Aber warum besitze ich so große Fähigkeiten, wenn ich sie nicht nutzen kann? Wenn meine Qualen noch jemandem als Beispiel dienen könnten, würde ich sie begreifen; aber ich leide im Verborgenen. Diese Tatsache ist ebenso sehr Vorsehung wie das Schicksal einer unbekannten Blume, die im Grunde eines unbetretenen Waldes verblüht, ohne daß jemand ihren Duft eingeatmet oder ihre Pracht bewundert hätte. Wie sie nutzlos ihren Duft in die Einsamkeit ausströmen läßt, so bringe ich hier in einer Dachkammer Ideen zur Welt, die niemand aufgreift: gestern Abend aß ich zusammen mit einem jungen Mediziner namens Meyraux Brot und Weintrauben an meinem Fenster. Wir sprachen miteinander wie Leute, die durch das Unglück Brüder geworden sind, und ich sagte zu ihm: »Ich gehe jetzt fort, Sie bleiben hier, nehmen Sie meine Gedanken und entwickeln Sie sie.« – »Das kann ich nicht,« antwortete er mir mit bitterer Traurigkeit, »meine allzu schwache Gesundheit würde meinen Arbeiten nicht standhalten; ich muß im Kamps mit der Not jung sterben.« – Wir sahen zum Himmel auf und drückten einander die Hände. Wir hatten uns im Kolleg über vergleichende Anatomie und in den Museen getroffen, beide durch das gleiche Studium der geologischen Zusammenhänge dort hingeführt. Ihn zog das Vorgefühl des Genies, das ausgesandt war, um in den Brachfeldern des Geistes einen neuen Weg zu erschließen; mich die Folgerichtigkeit eines allgemeinen Systems. Mein Gedanke ist, die wirklichen Beziehungen, die zwischen dem Menschen und Gott bestehen können, zu bestimmen. Ist das nicht ein Bedürfnis unserer Zeit? Ohne feste Gewißheit kann man unmöglich die Gesellschaft bändigen, die der Geist des Forschens entfesselt hat und die heute schreit: »Führt uns auf einen Weg, auf dem wir gehen können, ohne auf Abgründe zu stoßen!« Du wirst mich fragen, was die vergleichende Anatomie mit einer für die Zukunft der Gesellschaft so ernsten Frage zu tun hat. Muß man nicht davon überzeugt sein, daß der Mensch der Zweck aller irdischen Mittel ist, um sich dann zu fragen, ob er denn für gar keinen Zweck das Mittel ist? Wenn der Mensch mit allem verbunden ist, gibt es denn nichts über ihm, an das er sich seinerseits bindet? Wenn er das Ende der unerklärlichen Verwandlungen ist, die bis zu ihm hinaufreichen, muß er da nicht das Band zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Natur sein? Das Wirken der Welt ist nicht sinnlos, es hat ein Ziel, und dieses Ziel darf keine Gesellschaft sein, wie die unsere es ist. Zwischen uns und dem Himmel ist eine furchtbare Lücke. In dem gegenwärtigen Zustand können wir nicht immer genießen, nicht immer leiden; braucht es da nicht einer gewaltigen Wandlung, um ins Paradies und in die Hölle zu kommen, zwei Begriffe, ohne die Gott in den Augen der Menge nicht existiert? Ich weiß, daß man sich aus der Verlegenheit geholfen hat, indem man die Seele erfand; aber ich sträube mich dagegen, Gott mit der menschlichen Niedertracht, mit unsern Enttäuschungen, unsern Widerwärtigkeiten, unserm Untergang zu identifizieren. Und wie kann man ein göttliches Prinzip in uns annehmen, wenn ein paar Gläser Alkohol es besiegen können? Wie kann man sich immaterielle Fähigkeiten vorstellen, die die Materie verwandeln, wenn ihre Wirkung durch einen Tropfen Opium aufgehoben werden kann? Wie soll man sich vorstellen, daß wir noch empfinden, wenn wir der Vorbedingungen für unser Empfindungsvermögen beraubt sind? Warum sollte Gott vergehen, weil die Substanz denkend ist? Sind die Beseelung der Substanz und ihre unzähligen Verschiedenheiten – die Wirkungen ihrer Instinkte – weniger unerklärlich als die Wirkungen des Gedankens? Genügt die Bewegung der Welten nicht, um Gott zu beweisen, ohne sich dabei in die von unserem Hochmut erzeugten Unsinnigkeiten zu verstricken? Wenn wir aus einer vergänglichen Form nach mancherlei Prüfungen in eine bessere Welt eingehen, genügt das nicht für eine Kreatur, die sich nur durch einen vollkommeneren Instinkt von allen andern unterscheidet? Wenn es in der Moral kein Prinzip gibt, das nicht ad absurdum führt oder durch den Augenschein nicht widerlegt wird, ist es da nicht an der Zeit, nach Gesetzen zu suchen, die in der Natur der Dinge selbst begründet sind? Sollte man die Philosophie nicht umkehren? Wir beschäftigen uns sehr wenig mit dem sogenannten Nichts, das uns voranging, wir durchsuchen vielmehr nur das sogenannte Nichts, das uns erwartet. Wir machen Gott für die Zukunft verantwortlich und fordern keine Rechenschaft von ihm für das Vergangene. Aber wir müssen ebenso gut wissen, ob wir nicht im Vergangenen wurzeln, wie wir wissen müssen, ob wir dem Zukünftigen fest verbunden sind. Wir waren nur einseitige Deisten oder Atheisten. Ist die Welt ewig? Ist die Welt geschaffen? Wir erkennen kein Mittleres zwischen diesen beiden Behauptungen an: die eine ist falsch, die andere ist richtig; wählt! Was ihr auch wählen möget, Gott muß, so wie unsere Vernunft ihn sich vorstellt, abnehmen, was der Verneinung seiner Existenz gleichkommt. Wenn die Welt ewig ist, so ist die Frage nicht zweifelhaft: Gott ist ihr unterworfen. Wurde die Welt jedoch geschaffen, dann ist Gott nicht mehr möglich. Wie hätte er eine ganze Ewigkeit lang nicht wissen sollen, daß er einst den Gedanken haben würde, die Welt zu schaffen? Wie hätte er nicht im voraus die Resultate wissen müssen? Wo hat er die Substanz hergenommen? Aus sich selbst notwendigerweise. Wenn aber die Welt aus Gott kommt, wie kann man das Böse zugeben? Wenn das Böse aus dem Guten kommt, dann ist alles Unsinn. Wenn es kein Böses gibt, was wird aus der Gesellschaft und ihren Gesetzen? Überall Abgründe für die Vernunft! Es muß also die ganze soziale Wissenschaft von Grund auf neu gestaltet werden! Denn, sicher Onkel, solange ein erhabener Geist keine Rechenschaft gegeben hat von der offenkundigen Ungleichheit der Intelligenzen, solange wird der allgemeine Sinn der Menschheit, wird das Wort ›Gott‹ unablässig umstritten werden, solange ist die Gesellschaft auf Sand gebaut. Das Geheimnis der verschiedenen geistigen Zonen, durch die der Mensch hindurchgeht, wird sich durch die Analyse des Animalischen finden lassen. Das Animalische wurde bisher nur auf seine Verschiedenheiten, nie auf seine Gleichheiten hin betrachtet; nur in seinem äußeren Organismus, nie in seinen inneren Fähigkeiten. Die animalischen Fähigkeiten vervollkommnen sich mehr und mehr, nach Gesetzen, die noch zu suchen sind. Diese Fähigkeiten hängen mit den Kräften zusammen, die sie ausdrücken, und diese Kräfte sind im wesentlichen materiell und teilbar. Materielle Fähigkeiten! Man denke an diese beiden Worte! Stellen sie nicht eine ebenso unlösbare Frage dar, wie es diejenige der Übertragung der Bewegung auf die Materie ist, ein noch unerforschtes Gebiet, dessen Schwierigkeiten durch das System Newtons mehr verschoben als gelöst wurden? Schließlich verlangt die dauernde Verbindung des Lichts mit allem, was auf der Erde lebt, eine neue Prüfung des Erdballs. Das gleiche Tier sieht in den Tropen anders aus als in Indien oder im Norden. Zwischen den senkrechten und den schrägen Sonnenstrahlen entwickelt sich eine ungleiche und doch gleichartige Natur, die in ihren Prinzipien ähnlich, in ihren Resultaten jedoch verschieden ist. Das Phänomen, das uns in der Welt der Zoologie in die Augen fällt, wenn wir die Schmetterlinge von Bengalen mit denen Europas vergleichen, ist in der Welt des Geistes noch viel bedeutsamer. Es ist ein bestimmter Gesichtswinkel notwendig, eine gewisse Menge Gehirnfalten, um einen Kolumbus, einen Raffael, einen Napoleon, einen Laplace oder einen Beethoven zu schaffen. In einem Tal ohne Sonne werden Kretins geboren; ziehe deine Schlüsse daraus. Warum diese Verschiedenheiten, die der mehr oder minder glücklichen Verteilung des Lichtes im Menschen zuzuschreiben ist? Diese großen leidenden Menschenmassen, die mehr oder minder tätig, mehr oder minder ernährt, mehr oder minder aufgeklärt sind, stellen Schwierigkeiten dar, die gelöst werden wollen und die Gott anklagen. Warum wollen wir immer in der höchsten Freude die Erde verlassen, warum möchte sich derjenige emporschwingen, der die ganze Schöpfung erfaßt hat, erfassen wird? Die Bewegung ist eine große Seele, deren Verbindung mit der Materie ebenso schwer zu erklären ist wie die Erzeugung des Gedankens im Menschen. Heute ist die Wissenschaft eine Einheit; es ist unmöglich, die Politik zu berühren, ohne sich mit Moral zu befassen; und wiederum die Moral spielt

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