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andere wieder ein Zeichen für zarte Keuschheit und stolze Leidenschaft sind. Sobald Lambert Fräulein von Villenoix sah, ahnte er den Engel in dieser Gestalt. Die reichen Gaben seiner Seele, seine Neigung zur Ekstase, alles in ihm löste (ich in eine grenzenlose Liebe auf, in die erste Liebe des jungen Mannes, eine Leidenschaft, die schon bei anderen gewaltig ist, die aber bei der lebhaften Glut seiner Sinne, der Natur seiner Ideen und seines Lebens wohl zu unberechenbarer Gewalt führen mußte. Diese Leidenschaft war ein Abgrund, in den der Unglückliche alles hineinwarf, ein Abgrund, in den sein Denken hinunterzusteigen sich fürchtete, da es sich, biegsam und stark, wie es war, darin verlor. Hier wird jetzt alles Mysterium, denn was geschah, geschah in der geistigen Welt, die den meisten Menschen verschlossen ist und deren Gesetze ihm vielleicht zu seinem Unglück offenbar wurden. Als der Zufall mich mit seinem Onkel in Verbindung brachte, führte mich der alte Mann in das Zimmer, das Lambert zu jener Epoche bewohnt hatte. Ich wollte einigen Spuren seiner Werke, wenn er welche hinterlassen hatte, nachgehen. Zwischen den Papieren, deren Unordnung der Greis mit dem edlen Gefühl des Schmerzes respektiert hatte, wie es alten Leuten eigen ist, fand ich einige Briefe, die zu unleserlich waren, als daß sie an Fräulein von Villenoix hätten abgeschickt worden sein können. Da ich Lamberts Schrift kannte, konnte ich mit der Zeit die Hieroglyphen dieser Kurzschrift entziffern, die Ungeduld und unsinnige Leidenschaft erfunden hatten. Von seinen Gefühlen hingerissen, schrieb er, ohne zu merken, wie unleserlich seine Schrift wurde, die für sein Denken viel zu langsam ging. Er hatte seine formlos hingeworfenen Versuche, bei denen die Reihen oft ineinander gingen, gewiß abschreiben müssen. Aber vielleicht hatte er auch Furcht, seine Gedanken nicht klar genug ausgedrückt zu haben, so daß er anfangs seine Liebesbriefe zweimal schrieb. Wie dem auch sei, es brauchte meinen ganzen Eifer, den ich für den Kult zu Ehren seines Gedächtnisses aufbrachte, und eine Art Fanatismus, den solch ein Untersangen mit sich bringt, um den Sinn der folgenden fünf Briefe zu erraten und zu ergänzen. Diese Papiere, die ich mit einer Art Pietät aufbewahre, sind das einzige greifbare Zeugnis seiner glühenden Leidenschaft. Fräulein von Villenoix hat die an sie abgesandten Briefe wohl vernichtet, diesen beredten Ausdruck eines Rausches, den sie in ihm entfacht hatte. Der erste Brief, der augenscheinlich ein Entwurf war, zeugt in seiner Form und seiner Weitschweifigkeit von dem Zögern, der Verwirrung des Herzens, den unzähligen Befürchtungen, die der Wunsch, zu gefallen, in ihm erweckte, jenen Wechsel im Ausdruck und die Unsicherheit im Gedanken, die einen jungen Mann überfällt, der zum ersten Mal Liebesbriefe schreibt: Briefe, die man nie mehr vergißt, bei denen jeder Satz die Frucht eines Traumes ist, bei denen jedes Wort zu langem Nachdenken anregt, in denen das ungebändigste aller Gefühle die Notwendigkeit der bescheidensten Redewendung einsieht und sich wie ein Riese, der sich bückt, um in eine Hütte einzutreten, demütig und klein macht, um die Seele eines jungen Mädchens nicht zu erschrecken. Nie hat ein Altertumsforscher seine Pergamente mit mehr Ehrfurcht gehandhabt als ich diese Dokumente, die ich studierte und zusammensetzte, und die ein tiefes Leid und eine heilige Freude offenbaren, die beide für alle diejenigen geheiligt sind, die die gleiche Glückseligkeit gekannt haben.

      I

      Gnädiges Fräulein, wenn sie diesen Brief gelesen haben – wenn Sie ihn überhaupt lesen – liegt mein Leben in Ihren Händen, denn ich liebe Sie, und für mich ist die Hoffnung, geliebt zu werden, gleichbedeutend mit leben. Ich weiß nicht, ob andere, wenn sie mit Ihnen von sich sprachen, sich schon der Worte bedient haben, die ich gebrauche, um Ihnen von dem Zustand meiner Seele zu sprechen; glauben Sie jedoch an die Wahrheit meiner Äußerungen, sie sind schwach, aber aufrichtig. Vielleicht ist es Unrecht, auf diese Weise meine Liebe einzugestehen. Ja, die Stimme meines Herzens riet mir, still zu warten, bis meine Leidenschaft Sie gerührt hätte, um sie dann zu vernichten, wenn ihr stummer Ausdruck Ihnen mißfiel, oder aber, bis ich Gnade vor Ihren Augen gefunden hätte. Aber nachdem ich lange auf die Klugheit gehört habe, vor der ein junges Herz sieh scheut, habe ich, indem ich Urnen schreibe, dem Instinkt gehorcht, der noch dem Sterbenden nutzlose Schreie entreißt. Ich brauche meine ganze Kraft, um dem Stolz des Unglücks Schweigen zu gebieten und um die Hindernisse zu überschreiten, die das Vorurteil zwischen Sie und mich aufgerichtet hat. Ich mußte viele Bedenken unterdrücken, um Sie trotz Ihres Vermögens zu lieben! Mußte ich nicht, um Ihnen zu schreiben, der Verachtung die Stirn bieten, die die Frauen oft der Liebe gegenüber haben, deren Geständnis nur wie eine Schmeichelei mehr ausgenommen wird? Man muß sich mit allen Kräften dem Glück entgegenwerfen, muß zur Liebe hingezogen werden wie eine Pflanze zum Licht, muß sehr unglücklich gewesen sein, um die Qualen und Ängste dieser geheimen Erwägungen zu besiegen, in denen die Vernunft uns tausendfach die Unfruchtbarkeit der im Grunde des Herzens verborgenen Wünsche zeigt, wo jedoch die Hoffnung uns allem Trotz bieten läßt. Ich war so glücklich, während ich Sie im stillen bewunderte, ich war so ganz versunken in die Betrachtung Ihrer schönen Seele, daß, während ich Sie ansah, ich mir fast nichts Höheres mehr vorstellen konnte. Nein, ich hätte noch nicht gewagt, zu Ihnen zu sprechen, wenn ich nicht von Ihrer Abreise gehört hätte. Welchen Qualen hat dieses eine Wort mich ausgesetzt! Mein Kummer hat mich die ganze Größe meiner Zuneigung zu Ihnen erkennen lassen, sie ist grenzenlos. Gnädiges Fräulein, kaum werden Sie – ich wünschte es wenigstens – den Schmerz empfinden, der durch die Furcht hervorgerufen wird, das einzige Glück verlieren zu müssen, das für uns auf dieser Erde sich erschloß, das einzige, das ein wenig Licht in die Dunkelheit des Elends geworfen hat. Gestern fühlte ich, daß mein Leben nicht mehr in mir ist, sondern in Ihnen. Es gibt nur mehr eine Frau für mich auf der Welt, wie es nur noch einen Gedanken in meiner Seele gibt. Ich wage nicht, es Ihnen zu lagen, vor welche Alternative mich die Liebe zu Ihnen gestellt hat. Da ich Sie nur Ihnen selbst verdanken möchte, muß ich es vermeiden, mich Ihnen mit allem Nimbus des Unglücks zu zeigen. Ist dieser Nimbus auf edle Seelen nicht wirksamer als der des Glücks? Ich werde Ihnen also viel verschweigen. Ja, ich habe einen zu schönen Begriff von der Liebe, als daß ich sie mit Gedanken, die ihrer Natur fremd sind, entweihen möchte. Wenn meine Seele der Ihren würdig ist, wenn mein Leben rein ist, dann wird Ihr edles Herz es schon empfinden und Sie werden mich verstehen! Es liegt in der Bestimmung des Mannes, sich derjenigen anzutragen, die ihn an das Glück glauben läßt; aber Ihr Recht ist es, auch das wahrste Gefühl zurückzuweisen, wenn es nicht mit den wirren Stimmen Ihres Herzens sich vereinbaren läßt; das weiß ich. Wenn das Schicksal, das Sie mir bereiten, meiner Hoffnung entgegen ist, so rufe ich, gnädiges Fräulein, die Zartheit Ihrer jungfräulichen Seele an und das wundertätige Mitleid der Frau. Auf den Knien flehe ich Sie an: verbrennen Sie meinen Brief, vergessen Sie alles. Spielen Sie nicht mit einem ehrfürchtigen Gefühl, das sich zu tief in die Seele eingegraben hat, als daß es je wieder darin verwischt werden könnte. Brechen Sie mein Herz, aber zerreißen Sie es nicht. Möge die Äußerung meiner ersten Liebe, einer jungen und reinen Liebe, nur in einem jungen und reinen Herzen widerklingen! Mag sie darin sterben, wie ein Gebet sich in dem Busen Gottes verliert! Ich bin Ihnen Dankbarkeit schuldig: ich habe köstliche Stunden damit zugebracht, Sie anzuschauen und mich dabei den süßesten Träumen meines Lebens hinzugeben; krönen Sie dieses lange und vergängliche Glück nicht mit ein paar Mädchenspötteleien. Begnügen Sie sich lieber damit, mir nicht zu antworten. Ich werde mir Ihr Stillschweigen auszulegen willen und Sie werden mich nicht mehr wiedersehen. Wenn ich dazu verdammt sein soll, das Glück für immer zu begreifen und es für immer zu verlieren; wenn ich wie der vertriebene Engel bin, der das Gefühl der himmlischen Freuden bewahrt hat, aber für immer an eine Welt des Schmerzes gebunden ist, dann werde ich das Geheimnis meiner Liebe bewahren wie das meines Elends. Und somit Gott befohlen! – Ja, ich vertraue Sie dem an, zu dem ich für Sie beten will, Ihnen ein schönes Leben zu bereiten. Denn wenn ich auch aus Ihrem Herzen vertrieben bin, in das ich ohne Ihr Wissen heimlich eingedrungen war, will ich Sie doch nie mehr verlassen. Was für einen Wert hätten sonst die heiligen Werte dieses Briefes, meines ersten und vielleicht letzten Gebetes? Wenn ich eines Tages aufhörte, an Sie zu denken, Sie glücklich oder unglücklich zu lieben, verdiente ich da nicht meine Ängste?

      II

      Sie reisen nicht? So bin ich also geliebt, ich armes, unscheinbares Geschöpf? Meine liebe Pauline, Sie kennen die Macht des Blickes nicht, an den ich glaube und den Sie mir zugeworfen haben, um mir zu sagen, daß Sie mich erwählt haben, Sie, die Sie jung und schön sind und die Welt zu Ihren Füßen sehen. Damit Sie mein Glück verstehen, müßte ich Ihnen mein Leben erzählen. Hätten Sie mich zurückgestoßen, es wäre alles für mich zu Ende gewesen. Ich habe zu viel gelitten!

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