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sie herausfordert, hat eine Bewunderung zur Folge, wie sie ausgearbeitete Werke hervorrufen. Bald entstehen die Ideen in Schwärmen, eine zieht die andere nach sich, sie verketten sich ineinander, sind herausfordernd, übersprudelnd, wie toll! Bald erheben sie sich: blaß, verwirrt und vergehen, weil ihnen die Kraft oder die Nahrung, kurz, die zeugende Substanz fehlt. An bestimmten Tagen stürzen sie sich in die Abgründe, um die unermeßlichen Tiefen zu erhellen; sie erschrecken uns und ermatten unsere Seele. Die Ideen sind ein vollständiges System in uns, wie eines der Naturreiche, eine Art Blüte, die einst ein Genie beschreiben wird, das man dann vielleicht für verrückt hält. Ja, alles in uns und außer uns bezeugt das Leben dieser bezaubernden Geschöpfe, die ich mit Blumen vergleichen möchte, wobei ich einer Offenbarung der Natur gehorche. Daß ihre Entstehung der Zweck des Menschen sei, ist übrigens nicht erstaunlicher, als es Duft und Farbe der Pflanze sind. Vielleicht sind Düfte Ideen. Wenn man bedenkt, daß an der Stelle, wo unser Fleisch aufhört und der Nagel beginnt, das unerklärliche und unsichtbare Geheimnis der dauernden Umwandlung unserer weichen Säfte in Horn liegt, dann muß man erkennen, daß nichts unmöglich ist in den wunderbaren Verwandlungen der menschlichen Substanz. Aber begegnet man denn nicht in der geistigen Natur der Phänomene auch Bewegung und Schwere, wie in der körperlichen? Die »Erwartung«, um ein Beispiel zu wählen, das jeder deutlich verstehen kann, ist nur so schmerzhaft durch die Wirkung des Gesetzes, nach welchem die Schwere eines Körpers durch seine Schnelligkeit vervielfacht wird. Wächst die Schwere des Gefühls, die die Erwartung hervorbringt, nicht durch ein dauerndes Hinzuzählen der vergangenen Leiden zu dem gegenwärtigen Schmerz? Auf was sonst als auf eine elektrische Substanz kann man schließlich die Kraft zurückführen, mittelst der der Wille so gebieterisch in die Blicke dringt, um die Hindernisse auf Befehl des Genies niederzureißen, in der Stimme zum Ausdruck kommt oder, trotz aller Heuchelei, durch die menschliche Hülle hindurchdringt? Die Strömung dieses erhabenen Fluidums, das unter dem hohen Druck des Gedankens oder des Gefühls sich in Wogen verbreitet oder sich verringert und schwindet und sich dann aufsammelt, um in Blitzen vorzuschießen, ist das okkulte Werkzeug, dem sowohl die verhängnisvollen wie die wohltuenden Wirkungen von Kunst und Leidenschaft zuzuschreiben sind, ebenso der Ton der Stimme, die abwechselnd rauh ist oder sanft, furchtbar, wollüstig; schauerlich, verführerisch und je nach unserem Willen im Herzen, in den Eingeweiden oder im Gehirn vibriert; wie auch alle Zauber des Tastsinns, aus denen die inneren Verwandlungen so vieler Künstler herrühren, deren schöpferische Hände nach tausend leidenschaftlichen Studien die Natur heraufzubeschwören imstande sind, und wie schließlich die unendlichen Abstufungen des Auges, von seiner matten Lebensäußerung an bis zu dem Schleudern schreckenerregender Blitze. Bei diesem System verliert Gott nicht eines seiner Rechte. Der materielle Gedanke hat mir vielmehr erneut Großes von ihm enthüllt.«

      Wenn ich ihn so sprechen hörte und wenn sein Blick wie ein Lichtstrahl in meine Seele fiel, dann war es schwer, nicht von seinen Überzeugungen geblendet, von seinen Überlegungen hingerissen zu sein. So erschien auch mir der Gedanke als eine durchaus physische Macht, begleitet von seinen unermeßlich zahlreichen Produkten. Er war eine neue Menschheit unter einer anderen Form. Diese einfache Darstellung der Gesetze, die Lambert für die Formel unseres Geistes hielt, muß genügen, um sich die wunderbare Aktivität vorzustellen, mit der seine Seele sich selbst aufzehrte. Lambert hatte nach Beweisen für seine Ideen in der Geschichte großer Männer gesucht, deren Leben, wie ihre Biographen es darstellen, merkwürdige Einzelheiten über die Wirksamkeit ihres Verstandes liefern. Sein Gedächtnis setzte ihn in den Stand, sich all dieser Tatsachen zu erinnern, sodaß sie dazu dienen konnten, seine Behauptungen zu illustrieren, und er hatte sie jedem Kapitel, dem sie als Beweis dienten, hinzugefügt, wodurch mehrere seiner Maximen eine fast mathematische Gewißheit erhielten. Die Werke des Cardanus, eines Mannes, der eine eigenartige Sehergabe besaß, lieferten ihm wertvolles Material. Er hatte weder Apollonius von Thyana vergessen, der in Asien den Tod des Tyrannen voraussagte, und dessen Todesstrafe in eben der Stunde schilderte, da dieser sie in Rom erlitt; noch Plotin, der, von Porphyrius getrennt, dessen Absicht sich zu töten fühlte und zu ihm eilte, um ihn davon abzuhalten; noch auch eine Tatsache, die im letzten Jahrhundert, angesichts der spöttischsten Ungläubigkeit, die es je gegeben hat, festgestellt wurde und die all die Menschen in Erstaunen setzte, die daran gewöhnt sind, den Zweifel als einzige Waffe zu führen, die jedoch für einige Gläubige ganz natürlich war: Alphonse-Maria de Liguori, Bischof von Sankt-Agathe, spendete dem Papst Gangenelli Trost, welcher ihn sah, hörte und ihm antwortete; und zur gleichen Zeit wurde der Bischof bei sich zu Hause – weit von Rom entfernt – in seinem Sessel, in dem er nach der Messe zu sitzen pflegte, in Ekstase gesehen. Als er wieder zu sich kam, sah er seine Diener vor sich knien, die ihn für tot hielten – »Freunde», sagte er zu ihnen, »der heilige Vater ist soeben verschieden.« Zwei Tage darauf bestätigte ein Kurier diese Nachricht. Die Todesstunde des Papstes fiel mit derjenigen zusammen, in der der Bischof wieder zu sich gekommen war. Lambert hatte auch das merkwürdige Abenteuer nicht vergessen, das noch kürzlich, erst im vergangenen Jahrhundert, einer jungen Engländerin zugestoßen war, die einen Seemann leidenschaftlich liebte, aus London abgereist war, um ihn aufzusuchen, und ihn allein, ohne Führer, in der Wüste Nordamerikas wiederfand, wohin sie gerade kam, um ihm das Leben zu retten. Außerdem hatte Louis auch die Mysterien des Altertums herangezogen, die Märtyrertaten, die der schönste Ruhm für den menschlichen Willen sind, die Dämonologien des Mittelalters, die Kriminalprozesse, die medizinischen Untersuchungen, indem er überall die wirkliche Tatsache, das wahrscheinliche Phänomen mit bewundernswertem Scharfblick erkannte. Diese reichhaltige Sammlung von wissenschaftlichen Anekdoten, die aus so vielen Büchern gesammelt und zum größten Teil durchaus glaubwürdig sind, wurde sicher zu Papiertüten verwendet; und die zum mindesten eigenartige Arbeit, die von dem außergewöhnlichsten menschlichen Gedächtnis geschaffen wurde, mußte verloren gehen. Unter allen Beweisen, die Lamberts Buch füllten, befand sich auch eine Geschichte, die in seiner Familie vorgekommen war und die er mir erzählte, noch ehe er seine Abhandlung schrieb. Dieses Ereignis, das sich auf die »Nachexistenz« des inneren Wesens bezog (wenn ich ein neues Wort prägen darf, um eine bisher unbenannte Wirkung wiederzugeben), berührte mich so tief, daß es mir im Gedächtnis geblieben ist. Louis' Eltern führten einen Prozeß, der ihre Redlichkeit, das einzige Gut, das sie auf der Welt besaßen, beflecken mußte, wenn sie ihn verloren. Die Aufregung war natürlich groß, als es sich um die Frage handelte: sollte man den ungerechten Angriffen des Klägers nachgeben oder sollte man sich gegen ihn verteidigen? Die Beratung fand eines Herbstabends am Torffeuer statt, in der Stube der Gerbersleute. Zu diesem Familienrat waren auch noch zwei oder drei Verwandte gerufen worden und Louis' Urgroßvater mütterlicherseits, ein alter gebrechlicher Bauer, der aber ein ehrfurchtgebietendes und majestätisches Gesicht hatte, klare Augen und einen mit der Zeit gelb gewordenen Schädel, auf dem noch ein paar spärliche Locken zu sehen waren. Gleich dem »Obi« der Neger und dem »Sagamore« der Wilden war er eine Art Orakel, das man bei wichtigen Gelegenheiten befragte. Seine Felder wurden von seinen Enkeln bebaut, die ihn ernährten und für ihn sorgten. Er prophezeite ihnen Regen und gutes Wetter und bezeichnete ihnen den Zeitpunkt, an dem sie die Felder mähen oder die Ernte einbringen sollten. Die Barometer-Genauigkeit seiner Worte war berühmt geworden und erhöhte das Vertrauen und die Verehrung, die man ihm entgegenbrachte. Er blieb ganze Tage unbeweglich in seinem Stuhl sitzen. Dieser Zustand von Ekstase war ihm seit dem Tode seiner Frau, die er tief und treu geliebt hatte, eigentümlich. Jene Unterredung also fand in seinem Beisein statt, ohne daß er besonders auf sie aufzumerken schien. Als er gebeten wurde, seine Ansicht zu äußern, erwiderte er: »Kinder, diese Angelegenheit ist zu ernst, um sie allein zu entscheiden; ich muß meine Frau um Rat fragen.« Der gute Mann stand auf, nahm seinen Stock und ging zum Erstaunen der Anwesenden, die ihn für kindisch geworden hielten, hinaus. Bald kam er wieder herein und sagte: »Ich brauchte nicht erst auf den Friedhof zu gehen, eure Mutter ist mir entgegengekommen; ich traf sie am Bache. Sie hat mir gesagt, daß ihr bei einem Notar in Blois Quittungen finden werdet, durch die ihr euren Prozeß gewinnt.« Diese Worte wurden mit fester Stimme gesprochen. Haltung und Aussehen des Alten bewiesen, daß diese Erscheinung nichts Außergewöhnliches für ihn war. Und tatsächlich fanden sich die besagten Quittungen und der Prozeß unterblieb.

      Dieses Ereignis spielte sich im väterlichen Hause vor Louis' Augen ab, als er neun Jahre alt war, und trug viel dazu bei, daß er an die wunderbaren Gesichte Swedenborgs glaubte, der zu seinen Lebzeiten mehrere Beweise von der Macht der Visionen seines inneren Wesens gegeben hat. Je älter er wurde

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