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auch erstaunt. Ich fragte ihn, oh er nicht in seiner Kindheit nach Rochambeau gekommen wäre; meine Frage bestürzte ihn, aber nachdem er sein Gedächtnis geprüft hatte, antwortete er mir verneinend.

      Dieses Ereignis, das sich im Schlaf vieler Menschen ähnlich zutragen mag, macht die Hauptbegabung Lamberts verständlich. Er konnte in der Tat ein ganzes System davon ableiten, indem er, wie es Cuvier auf einem anderen Gebiet tat, aus einem Gedankenbruchstück eine ganze Schöpfung rekonstruierte. In jenem Augenblick setzten wir uns beide unter eine alte abgebrochene Eiche. Nach ein paar Augenblicken des Nachdenkens sagte Lambert zu mir: »Wenn die Landschaft nicht zu mir gekommen ist, was absurd zu denken wäre, dann bin ich eben zu ihr gegangen. War ich also hier, während ich in meinem Alkoven schlief, setzt dann diese Tatsache nicht eine völlige Trennung meines Körpers von meinem inneren Wesen voraus? Bezeugt sie nicht irgend eine Bewegungsfähigkeit des Geistes oder Wirkungen, die den Bewegungen des Körpers entsprechen? Vermag sich also im Schlaf mein Geist von meinem Körper zu trennen, warum soll ich beide nicht ebenso gut im Wachen voneinander scheiden können? Ich sehe keine Zwischenglieder zwischen diesen beiden Behauptungen. Aber gehen wir weiter, dringen wir in die Einzelheiten tiefer ein. Entweder haben sich diese Dinge kraft einer Fähigkeit vollzogen, die ein zweites Wesen in Tätigkeit setzt, dem mein Körper als Hülle dient – denn ich war in meinem Alkoven und sah die Landschaft, und das stößt viele Systeme um – oder diese Dinge haben sich entweder in irgend einem Nervenzentrum zugetragen, in dem sich die Gefühle bewegen, und dessen Namen wir noch erst erfahren müssen, oder aber in dem Gehirnzentrum, in dem sich die Gedanken bewegen. Diese letzte Hypothese hat die merkwürdigsten Fragen im Gefolge. Ich bin gegangen, ich habe gesehen, ich habe gehört. Die Bewegung vollzieht sich nicht ohne Raum; der Ton reagiert nur in Winkeln oder auf Oberflächen und die Farbe existiert nur durch das Licht. Wenn ich des Nachts mit geschlossenen Augen farbige Gegenstände gesehen habe, wenn ich in der absoluten Stille Geräusche gehört habe, und dies alles, ohne die notwendigen Vorbedingungen für die Entstehung des Tones, wenn ich in vollkommenster Unbeweglichkeit den Raum durchmessen habe, dann besitzen wir innere Kräfte, die unabhängig sind von den äußeren physikalischen Gesetzen. Der Geist muß also die materielle Natur durchdringen können. Wie haben die Menschen bis heute so wenig über die Vorgänge des Schlafes nachdenken können, die ein Doppelleben im Menschen andeuten? Liegt in diesem Phänomen nicht eine neue Wissenschaft?« fügte er hinzu und schlug sich heftig gegen die Stirn. »Und wenn es nicht der Anfang einer Wissenschaft ist, so verrät es doch gewaltige Kräfte im Menschen; es offenbart zum mindesten die häufige Trennung unserer beiden Naturen, eine Tatsache, über die ich seit langem nachgedacht habe. So habe ich endlich einen Beweis für die Überlegenheit unserer verborgenen Sinne über unsere sichtbaren Sinne gefunden. Homo duplex! – Aber« – fuhr er nach einer Pause fort und machte dabei eine Bewegung des Zweifels, »vielleicht leben gar nicht zwei Naturen in uns? Vielleicht sind wir ganz einfach mit geheimen und vervollkommnungsfähigen Kräften begabt, deren Übung und Entwicklung noch bisher unbeobachtete Erscheinungen der Bewegung, der Durchdringung, des Schauens hervorbringen. In unserer Vorliebe zum Wunderbaren – einer Leidenschaft, die von unserm Stolz erzeugt wird – haben wir diese Wirkungen in Phantasiegebilde verwandelt, weil wir sie nicht verstanden haben. Es ist so bequem, dem Unbegreiflichen zu mißtrauen! Ich muß gestehen, ich würde den Verlust meiner Illusionen beweinen. Mir ist es ein Bedürfnis, an eine doppelte Natur und an die Engel von Swedenborg zu glauben! Diese neue Wissenschaft wird sie also töten? Ja, die Prüfung unserer unbekannten Fähigkeiten schließt eine anscheinend materialistische Wissenschaft in sich; denn ›der Geist‹ gebraucht, zerteilt, belebt die Substanz, aber er zerstört sie nicht.«

      Er blieb nachdenklich, fast traurig. Vielleicht sah er seine Jugendträume vor sich wie Kinderschuhe, die er bald ausziehen mußte.

      »Gesicht und Gehör«, sagte er und lächelte über seine Ausdrucksweise, »sind zweifellos die Hüllen eines wunderbaren Werkzeugs.«

      Immer, wenn er mir von Himmel und Hölle sprach, pflegte er die Natur als Meisterin anzusehen; aber bei diesen letzten Worten, die voller Wissen waren, schwebte er noch kühner als sonst über der Landschaft und seine Stirn schien fast zerspringen zu wollen unter der Macht des Genies: seine Kräfte, die man bis zu einer neuen Sprachordnung »geistige« Kräfte nennen muß, schienen aus den Organen herauszuquellen, die dazu bestimmt waren, sie hervorzubringen. Seine Augen schleuderten den Gedanken hervor, seine erhobenen Hände, seine stummen und zitternden Lippen waren beredt; sein brennender Blick leuchtete; sein Kopf endlich, zu schwer oder zu müde von allzu heftiger Erregung, fiel ihm auf die Brust. Dieses Kind, dieser Riese, beugte sich herab, nahm meine Hand, preßte sie in der seinen, die feucht war, so fieberte er in der Suche nach der Wahrheit. Dann sagte er nach einer Pause: »ich werde berühmt werden. – Aber du auch«, fügte er lebhaft hinzu. »Wir werden beide die Chemiker des Willens sein.«

      Edles Herz! Ich erkannte seine Überlegenheit an, er aber hütete sich, mich sie je fühlen zu lassen. Er teilte die Schätze seines Denkens mit mir, maß auch mir innerhalb seiner Entdeckungen eine Bedeutung bei und überließ mir meine unbedeutenden Gedanken. Er war, wie eine liebende Frau, stets freundlich und besaß die ganze Zurückhaltung des Gefühls und die ganze Zartheit der Seele, die das Leben so schön und so angenehm machen.

      Schon am nächsten Tage begann er seine Arbeit, die er »Abhandlung über den Willen« benannte; seine Überlegungen änderten zwar oft Plan und Methode; aber das Erlebnis jenes feierlichen Tages hatte doch den Keim dazu gelegt, wie der elektrische Strom, den Meßmer stets bei der Annäherung eines seiner Diener empfand, der Ursprung für seine Entdeckungen auf dem Gebiete des Magnetismus wurde, einer Wissenschaft, die einstmals in den Tiefen der Mysterien der Isis, von Delphi, in der Höhle des Trophonius verborgen gewesen war und nun von diesem genialen Menschen in nächster Nähe von Lavater, dem Vorgänger Galls, wieder aufgefunden wurde. Lamberts Ideen nahmen, durch dieses plötzliche Licht erleuchtet, größere Dimensionen an; er erkannte in diesen Errungenschaften weit auseinanderliegende Wahrheiten, die er miteinander verband; dann schmolz er alles wie ein Gießer zusammen. Nach sechs Monaten andauernden Fleißes erregten die Arbeiten Lamberts die Neugier unserer Mitschüler und waren der Gegenstand grausamen Spottes, der einen unheilvollen Ausgang nehmen sollte. Eines Tages nämlich wurde einer der Quälgeister durch einen unserer Verfolger, der durchaus unsere Manuskripte sehen wollte, aufgewiegelt und bemächtigte sich gewaltsam eines Kastens, in dem der Schatz lag, den Lambert und ich mit unerhörtem Mut verteidigten. Der Kasten war verschlossen und es war unsern Angreifern unmöglich, ihn zu öffnen; da versuchten sie, ihn in dem Kampf zu zerbrechen, eine niedrige Gemeinheit, die uns lautes Schreien entlockte. Ein paar Kameraden, die von Gerechtigkeitssinn erfüllt waren oder denen unser heldenhafter Widerstand imponierte, rieten, uns in Ruhe zu lassen, und überschütteten uns mit einem geradezu beleidigenden Mitleid. Plötzlich fuhr Pater Haugoult, durch den Lärm des Kampfes angelockt, dazwischen und fragte nach dem Grund unseres Streites. – Unsere Gegner hatten uns von unsern Strafarbeiten abgehalten, der Aufseher mußte seine Sklaven schützen. – Zu ihrer Entschuldigung verrieten unsere Angreifer das Vorhandensein der Manuskripte. Der entsetzliche Haugoult befahl uns, ihm den Kasten auszuhändigen: wenn wir uns dem widersetzten, konnte er ihn aufbrechen lassen. Lambert gab ihm den Schlüssel, der Lehrer nahm die Papiere heraus, blätterte in ihnen und sagte dann, sie an sich nehmend: »Das sind also die Dummheiten, um deretwillen Sie Ihre Arbeiten vernachlässigen!« Aus Lamberts Augen rannen dicke Tränen, die ihm sowohl das Bewußtsein seiner geistigen Überlegenheit entlockt hatte wie auch die unverdiente Beleidigung und der Verrat, dem wir unterlegen waren. Wir warfen unsern Angebern einen vorwurfsvollen Blick zu: hatten sie uns nicht dem gemeinsamen Feind verkauft? Wenn sie uns schon nach Schülerart verhauen durften, hätten sie nicht über unser Vergehen Schweigen bewahren müssen? Sie schämten sich auch einen Augenblick lang über ihre Feigheit. – Pater Haugoult aber hat wahrscheinlich später die »Abhandlung über den Willen« an einen Krämer in Vendôme verkauft, ohne die Bedeutung des wissenschaftlichen Schatzes zu kennen, dessen unausgetragene Keime von unwissenden Händen zerstreut wurden. Sechs Monate später verließ ich die Anstalt. Ich weiß nicht, ob Lambert, den unsere Trennung in eine tiefe Melancholie versetzte, seine Arbeit wieder aufgenommen hat. In Erinnerung an das Schicksal, das Louis' Buch ereilte, habe ich in der Arbeit, mit der diese »Studien« beginnen, für ein fingiertes Werk den wahren von Lambert selbst erfundenen Titel gewählt und habe den Namen einer Frau, die er liebte, einem aufopferungsvollen jungen Mädchen gegeben.

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