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glänzenden Flügel beschnitt.

      »Der Himmel«, sagte er zu mir, »ist nach alledem das ›Überleben‹ unserer vervollkommneten Fähigkeiten, die Hölle ist das Nichts, in das die unvollkommenen Fähigkeiten zurückfallen.«

      Wie konnte man sich aber auch in Jahrhunderten, in denen der Verstand die religiösen und spiritualistischen Vorstellungen beibehalten hatte, wie sie in der Zeit zwischen Christus und Descartes, zwischen Glauben und Zweifel geherrscht haben, dagegen wehren, die Geheimnisse unserer inneren Natur anders zu erklären als durch ein göttliches Dazwischentreten?

      Von wem anders, als von Gott selbst konnten die Gelehrten Rechenschaft fordern über ein unsichtbares Wesen, das so spürbar in Wirkung und Gegenwirkung ist und ausgestattet mit so weitgehenden, durch Übung so vervollkommnungsfähigen oder unter der Herrschaft gewisser okkulter Vorbedingungen so mächtiger Eigenschaften, und von dem sie sahen, wie es bald durch das Phänomen der Vision oder der Ortsveränderungsfähigkeit den Raum in den beiden Modi von Zeit und Entfernung, deren eine der geistige, deren andere der physische Raum ist, aufhob, wie es bald die Vergangenheit wieder aufrichtete, sei es durch die Macht rückwärtigen Schauens, sei es durch das Geheimnis der Wiedergeburt, die der Gabe gleicht, die ein Mensch besitzt, der in den Linien, Umhüllungen und Umrissen eines Samenkornes dessen frühere Blüten in den unzähligen Verschiedenheiten ihrer Farben, ihres Duftes und ihrer Formen wiedererkennt; und wie es schließlich die Zukunft ungefähr vorausahnt, sei es durch die Wahrnehmung der primären Ursachen, sei es durch das Phänomen physischen Vorgefühls.

      Andere Männer, die weniger phantasievoll religiös als vielmehr kalt und vernünftig sind, Scharlatane, Enthusiasten, nicht des Herzens sondern des Gehirns, und die einige dieser aus dem Zusammenhang gelösten Phänomene anerkennen, hielten sie für wahr, ohne dieselben als Ausstrahlungen eines gemeinsamen Mittelpunktes anzusehen. Jeder von ihnen wollte eine einfache Tatsache in eine Wissenschaft verwandeln. Hieraus entstanden die Dämonologie, die Astrologie, die Zauberei, mit einem Wort die ganzen Wahrsagereien, die im wesentlichen aus vergänglichen Zufällen beruhen; denn sie wechseln je nach den Temperamenten und den noch vollständig unbekannten Umständen. Aber aus diesen Irrtümern der Wissenschaft und aus den Kirchenprozessen, denen so viele Märtyrer ihrer eigenen Fähigkeiten unterliegen, gehen auch wieder schlagende Beweise hervor für die wunderbare Macht, über die das »wirkende Wesen« verfügt, das, nach Lambert, sich völlig vom »gegenwirkenden Wesen« trennen kann, indem es die Hülle sprengt und die Mauern vor dem allmächtigen Blick niederreißt. Ein Phänomen, das, nach Aussagen der Missionare, die Hindus »Tokeiade« nannten. Dann besitzt dieses Wesen noch eine andere Fähigkeit, nämlich die: im Gehirn, trotz dessen dicksten Umhüllungen, die Ideen, die sich dort gebildet haben, oder sich dort bilden, sowie das ganze vergangene Bewußtsein zu erfassen.

      »Wenn Erscheinungen nicht unmöglich sind«, sagte Lambert, »dann müssen sie auf der Gabe beruhen, die Ideen zu schauen, die den Menschen in seiner reinen Wesenheit darstellen und dessen vielleicht unvergängliches Leben unsern äußeren Sinnen entgeht, aber dem inneren Wesen vielleicht bemerkbar wird, wenn dieses auf eine hohe Stufe der Ekstase oder zu einer großen Vollkommenheit des Schauens gelangt.« Ich weiß, wenn auch heute nur ungenau, daß Lambert, nachdem er Schritt für Schritt den Wirkungen des Denkens und des Willens in all ihren Arten nachgegangen war und ihre Gesetze aufgestellt hatte, eine Menge von Phänomenen erklärte, die ihm bis dahin mit vollem Recht als unverständlich erschienen waren. Auf diese Weise waren Zauberer, Besessene, Menschen mit der Gabe des zweiten Gesichts und die Dämonischen aller Art – diese Opfer des Mittelalters – der Gegenstand so natürlicher Erklärungen geworden, daß oft ihre Einfachheit für mich der Stempel der Wahrheit zu sein schien. Die wunderbaren Gaben, die die römisch-katholische Kirche, die auf alle Mysterien eifersüchtig war, mit dem Scheiterhaufen bestrafte, waren nach Louis das Resultat gewisser Verwandtschaften zwischen den Grundelementen der Materie und denen des Gedankens, die beide aus der gleichen Quelle stammen. Der Mensch mit der Wünschelrute in der Hand gehorcht, wenn er Quellen findet, irgend einer Sympathie oder Antipathie, die ihm selbst unbekannt ist. Diese Art Wirkungen mußten schon sehr merkwürdiger Natur sein, sollte ihnen eine historische Bedeutung gegeben werden. Sympathien sind überhaupt selten festgelegt worden. Leute, die so glücklich sind, diese Gabe zu besitzen, sprechen nicht gern öffentlich davon, nur im kleinen Kreise, wo dann alles schnell vergessen wird. Aber die Antipathien, die aus einer Nicht-Verwandtschaft herrühren, sind zum Glück festgehalten worden, wenn sie bei berühmten Menschen anzutreffen waren. So weiß man, daß Bayle Krämpfe bekam, wenn er Wasser sprudeln hörte, daß Skaliger blaß wurde, wenn er Kresse sah, und daß Erasmus Fieber bekam, wenn er Fisch roch. Diese drei Antipathien rühren von den Substanzen des Wassers her. Der Herzog von Epernon wurde beim Anblick eines Hasen ohnmächtig, Tycho de Brahe, wenn er einen Fuchs, Heinrich III., wenn er eine Katze, der Marschall von Albert wenn er ein Wildschwein sah: alles Antipathien, die durch die Ausdünstungen von Tieren hervorgerufen und schon in großen Entfernungen gespürt wurden. Dem Chevalier de Guise, Maria von Medici und mehreren anderen Personen wurde beim Anblick einer Rose, sogar einer gemalten, übel. Ob der Kanzler Bacon von einer Mondfinsternis vorher Kenntnis hatte oder nicht, er bekam einen Schwächeanfall, sobald sie eintrat. Und sein Leben, das während der Dauer dieses Phänomens wie aufgehört hatte, setzte sofort nachher wieder ein, ohne das geringste Gefühl von Unbehagen zurückzulassen. Diese Dokumente authentischer Antipathien, die aus all denen herausgegriffen wurden, die die Laune der Geschichte berühmt gemacht hat, mögen genügen, um die Wirkungen der unbekannten Sympathie zu verstehen. Diese Bruchstücke der Forschung, deren ich mich unter all den Beweisführungen Lamberts noch entsinne, geben einen Begriff von der Methode, nach der er in seinen Werken vorging. Ich glaube nicht noch auf den Zusammenhang hinweisen zu müssen, der zwischen dieser Theorie und den gleichartigen Wissenschaften besteht, die von Gall und Lavater begründet wurden. Sie waren ihre notwendigen Folgen und jeder einigermaßen wissenschaftlich gebildete Geist wird die Stellen erkennen, wo sich notwendigerweise die phrenologischen Beobachtungen des einen und die physiognomischen Dokumente des anderen abzweigen. Die wichtigen, aber bisher wenig geschätzten Entdeckungen Meßmers sind schon ganz und gar in einem einzigen Abschnitt dieser Abhandlung enthalten, obgleich Louis die im übrigen kurzgefaßten Werke des berühmten Schweizer Arztes nicht kannte. Eine logische und einfache Deduktion dieser Grundsätze ließ ihn erkennen, daß der Wille sich durch eine zusammenziehende Bewegung des inneren Wesens konzentrieren, sich dann durch eine andere Bewegung nach außen projizieren und sogar auf materielle Objekte übertragen lassen konnte. Danach mußte der Mensch die Fähigkeit haben, auf die anderen zu wirken und sie mit einer ihnen fremden Essenz zu durchdringen, sobald sie sich gegen diesen Angriff nicht wehrten. Die Beweise dieser Theoreme der Wissenschaft vom Menschen sind naturgemäß zahlreich; aber nichts kann sie authentisch begründen. Es war schon das gewaltige Unglück eines Marius notwendig und seine Rede an einen der Cimbern, der beauftragt war, ihn zu töten, oder der gewaltige Befehl einer Mutter an den Löwen von Florenz, um durch die Geschichte einige dieser gewaltigen Äußerungen des Denkens kennen zu lernen. Für ihn waren also Willen und Denken lebendige Kräfte; und er sprach so davon, daß man seinen Glauben teilen mußte. Für ihn war das Denken langsam oder schnell, schwer oder leicht, hell oder dunkel; er schrieb ihm alle Eigenschaften handelnder Wesen zu, ließ es aufspringen, sich aufrichten, aufwachen, wachsen, alt werden, sich zusammenziehen, absterben, sich wieder beleben. Er belauschte sein Leben, benannte alle seine Äußerungen mit den bizarren Ausdrücken unserer Sprache; er stellte seine Schnelligkeit und seine Kraft, kurz, alle Eigenschaften mit einer Art Intuition fest, mittelst der er alle Phänomene dieser Substanz erkennen konnte.

      »Oft, inmitten von Ruhe und Stille«, so sagte er zu mir, »wenn unsere inneren Kräfte schlafen, wenn wir uns dem Genuß der Ruhe hingeben und sich eine Art Dunkel in uns ausbreitet und wir uns die äußeren Dinge anschauen, dann steigt eine Idee auf, geht blitzschnell durch den unendlichen Raum, den wir durch unser inneres Gesicht wahrnehmen können. Diese leuchtende Idee taucht wie ein Irrlicht auf und verlischt ohne Wiederkehr: vergängliches Dasein, jenen Kindern gleich, die den Eltern eine grenzenlose Freude und einen grenzenlosen Schmerz bereiten; eine Art totgeborene Blüte in den Feldern des Denkens. Zuweilen aber beginnt die Idee, anstatt gewaltsam emporzuschießen und ohne Bestand zu sterben, langsam zu keimen, schwebt in den unbekannten Regionen der Organe, wo sie empfangen wird. Sie braucht unsere Kräfte durch eine lange Schwangerschaft auf, entfaltet sich, wächst, wird fruchtbar und wirkt nach außen durch die Anmut der

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