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verdanke, von größtem Wert. Diese Erzählung soll ein bescheidener Gedenkstein sein, der von dem Leben dessen Kunde gibt, der mir sein ganzes Gut: seine Gedanken hinterlassen hat.

      In dieser Kinderarbeit legte Lambert Mannesideen nieder. Zehn Jahre später, als ich ernsten Gelehrten begegnete, welche sich mit Phänomenen abgaben, wie sie uns damals beschäftigten, und wie sie Lambert so wunderbar analysierte, begriff ich erst die ganze Bedeutung seiner Arbeiten, die ich schon wie Kinderspiel vergessen hatte. Ich brauchte mehrere Monate, um mir die Hauptentdeckungen meines armen Freundes wieder ins Gedächtnis zurückzurufen. Jetzt, nachdem ich in meiner Erinnerung alles wieder zusammengestellt habe, kann ich bestätigen, daß er vom Jahre 1812 ab in seiner Abhandlung mehrere wichtige Fakta aufgestellt, erraten, erörtert hatte, die, wie er mir sagte, früher oder später bewiesen werden würden. Seine philosophischen Spekulationen hätten ihn gewiß in die Reihe der großen Denker gestellt, wie sie in verschiedenen Zeiträumen unter den Menschen erscheinen, um ihnen die nackten Anfänge irgend einer zukünftigen Wissenschaft zu enthüllen, deren Wurzeln langsam wachsen und eines Tages im Reiche des Geistes schöne Früchte tragen werden. So hatte einst ein armer Handwerker, Bernard, der die Erde durchwühlte, um das Geheimnis der Metallfarben zu finden, im sechzehnten Jahrhundert mit der unfehlbaren Autorität des Genies geologische Tatsachen behauptet, deren Darlegung heute den Ruhm eines Buffon und eines Cuvier ausmachen. Ich glaube eine Vorstellung von Lamberts »Abhandlung« geben zu können, wenn ich in der Hauptsache die Grundzüge derselben darlege. Aber ich entkleide sie dabei unwillkürlich der Gedanken, in die er sie hüllte und die ihnen unentbehrlich sind. Denn da ich einen anderen Weg ging als er, griff ich von seinen Forschungen nur das auf, was zu meinem System am besten paßte. Ich weiß daher nicht, ob ich, sein Schüler, seine Gedanken treu wiedergeben kann, nachdem ich sie mir in der Weise angeeignet habe, daß ich ihnen die Farbe der meinen gab.

      Für neue Ideen braucht man entweder ganz neue Worte oder erweiterte, umfassendere, besser definierte Anwendungen der alten; Lambert nun hatte, um die Grundbegriffe seines Systems darzulegen, allgemein bekannte Worte gewählt, die ungefähr seinen Gedanken entsprachen. Das Wort »Willen« bedeutet das »Milieu«, in welchem sich der »Gedanke« entwickelt, oder, weniger abstrakt ausgedrückt: die Summe von Kräften, durch die der Mensch die Handlungen, aus denen sein äußeres Leben besteht, außerhalb seiner hervorbringen kann. Das »Wollen,« ein Wort, das wir den Reflexionen Lockes verdanken, drückt den Akt aus, durch den der Mensch seinen »Willen« anwendet. Das Wort »Denken«, für ihn das wesentliche Resultat des Willens, bezeichnet auch das Milieu, in dem die Ideen entstehen, denen der Wille als Substanz dient. Die »Idee«, ein Name, der allen Schöpfungen des Gehirns gemeinsam ist, begründet den Akt, durch den der Mensch sein Denken anwendet. So waren der Wille und das Denken die beiden zeugenden Mittel; das Wollen und die Idee die beiden Erzeugnisse. Das Wollen schien ihm die Idee zu sein, die aus ihrem abstrakten Zustand in den konkreten übergeht, von einem flüssigen zu einem nahezu festen, wenn diese Worte überhaupt so schwer zu verstehende Gedanken wiedergeben können. Nach seiner Auffassung sind das Denken und die Ideen Bewegungen und Auswirkungen unseres inneren Organismus, wie das Wollen und der Wille die des äußeren Lebens sind. Er hatte den Willen vor das Denken gesetzt. – »Um zu denken, muß man wollen«, sagte er. »Viele Wesen leben in einem Zustand des Willens, ohne jedoch in den des Denkens zu gelangen. Im Norden finden wir eine lange Lebensdauer, im Süden ein kurze; dagegen ist im Norden Stumpfheit, im Süden eine dauernde Angespanntheit des Willens; bis zu dem Punkt, wo durch allzu große Kälte oder allzu große Hitze die Organe fast vernichtet sind!« Sein Wort »Milieu« war ihm durch eine Beobachtung gekommen, die er in seiner Kindheit gemacht hatte, deren Bedeutung er damals wohl kaum ahnte, deren Merkwürdigkeit seiner so leicht beeindruckbaren Phantasie aber aufgefallen sein mußte. Seine Mutter, eine schmächtige und nervöse Frau, ganz zart und liebevoll, war eines von jenen Geschöpfen, die dazu bestimmt sind, die Frau in ihrer höchsten Vollendung darzustellen, die aber das Schicksal aus Irrtum auf eine tiefe soziale Stufe verpflanzt hat. Sie war ganz Liebe und daher ganz Leid und starb jung, nachdem sie all ihre Fähigkeiten in der Mutterliebe hatte aufgehen lassen. Lambert, der als Kind von sechs Jahren in einer großen Wiege neben dem Bett der Mutter gelegen hatte, aber nicht immer schlafen konnte, hatte gesehen, wie elektrische Funken aus dem Haar der Mutter sprangen, wenn diese sich kämmte. Mit fünfzehn Jahren benutzte er diese Tatsache, die dem Kind ein Spiel gewesen war, für die Wissenschaft, eine unwiderlegbare Tatsache, für die all die Frauen zahllose Beweise liefern, die durch eine Tücke des Schicksals verkannte Gefühle auf diese Weise leidenschaftlich auswirken oder sonst einen Überschuß an Kraft verlieren.

      Um diese Erklärung zu stützen, warf Lambert noch mehrere Probleme auf, schöne Aufgaben, die er der Wissenschaft stellte und deren Lösungen er zu suchen sich vornahm, wobei er sich selbst fragte: »Sollte das grundlegende Prinzip der Elektrizität nicht die Basis für das besondere Fluidum sein, von dem unsere Ideen und unser Wollen ausgehen? Sollte das Haar, das sich entfärbt, weiß wird und ausfällt, je nach den verschiedenen Graden der Verminderung oder Kristallisation der Gedanken, nicht ein System der Kapillarität bekunden, das – sei es aufzehrend oder auswirkend – auf Elektrizität beruht? Sind die fluiden Phänomene unseres Willens, eine in uns erzeugte und nach noch unbeobachteten Bedingungen spontan wirkende Substanz, etwas Ungewöhnlicheres als jenes Phänomen des unsichtbaren, ungreifbaren Fluidums, das entsteht, wenn die Voltasche Säule auf das Nervensystem eines Verstorbenen wirkt? Ist die Bildung unserer Ideen und ihre dauernde Auswirkung weniger unverständlich, als es die Ausdünstungen unsichtbarer und in ihrer Wirkung doch so mächtiger Atome sind, wie zum Beispiel bei einer Moschuskugel, die dabei jedoch nicht an Gewicht verliert? Wenn wir dem System der Haut, die uns umgibt, eine schützende, aufsaugende, ausscheidende und tastende Ausgabe zuschreiben, entspricht dann die Blutzirkulation und ihr ganzer Organismus nicht der Transsubstantiation unseres Willens, wie die Zirkulation des Nervenfluidums derjenigen des Denkens entspricht? Und geht endlich das mehr oder weniger lebendige Zuströmen dieser beiden realen Substanzen nicht aus einer gewissen Vollkommenheit oder Unvollkommenheit der Organe hervor, deren Bedingungen nach allen Richtungen hin studiert werden müßten?«

      Nach diesen einmal aufgestellten Grundsätzen wollte er die Phänomene des menschlichen Lebens in zwei voneinander verschiedene Wirkungsreihen einteilen und forderte für jede von ihnen mit der ganzen Eindringlichkeit des Überzeugten eine besondere Analyse. Nachdem er in der Tat bei fast allem Geschaffenen zwei getrennte Bewegungen beobachtet hatte, wandte er diese Beobachtung auf unsere Natur an und nannte diesen Lebensantagonismus: Wirkung und Gegenwirkung. »Ein Wunsch«, so sagte er, »ist eine in unserem Willen vollzogene Handlung, noch ehe sie äußerlich vollzogen ist.« So stellt auch die Gesamtheit unseres Wollens und unserer Ideen die Wirkung, die Gesamtheit unserer äußeren Handlungen die Gegenwirkung dar. Als ich später die Beobachtungen las, die Bichat über den Dualismus unserer äußeren Sinne machte, war ich wie betäubt, denn ich erkannte eine augenfällige Gleichheit zwischen den Ideen dieses berühmten Physiologen und denen Lamberts. Beide, die vor der Zeit gestorben waren, waren gleichen Schrittes ich weiß nicht welchen Wahrheiten entgegengegangen. Der Natur hat es gefallen, den verschiedenen wesentlichen Organen ihrer Geschöpfe eine doppelte Bestimmung zu geben; und die doppelte Wirkung unseres Organismus, die eine nicht mehr zu bestreitende Tatsache ist, stützt durch eine Anhäufung von Beweisen, die täglich erbracht werden können, die Deduktionen Lamberts, die sich auf Wirkung und Gegenwirkung beziehen. Das »wirkende« oder »innere Wesen« – eine Bezeichnung, die er der unbekannten »species« gab, dem geheimnisvollen Ganzen von Fasern, auf die die verschiedenen noch unvollkommen beobachteten Kräfte des Denkens und des Willens zurückzuführen sind – dieses unbekannte Wesen also, das sieht, handelt, zu Ende führt und vollbringt noch vor jeder körperlichen Darstellung, darf, um sich seiner Natur anzupassen, keiner der physischen Bedingungen unterworfen sein, durch die der »gegenwirkende« oder »äußere«, der sichtbare Mensch in seinen Äußerungen gehemmt wird. Von hier leiteten sich eine Menge logischer Erklärungen über die äußerst merkwürdigen Wirkungen unserer doppelten Natur her, sowie die Berichtigung verschiedener Systeme, die zugleich wahr und falsch sind. Einige Männer, die ein paar Phänomene des natürlichen Spiels des »wirkenden Wesens« geschaut haben, waren, wie Swedenborg, durch eine glühende Seele, die die Poesie liebte und vom göttlichen Prinzip trunken war, über die wirkliche Welt hinausgehoben worden. Alle vergöttlichten also in ihrer Unkenntnis der Ursachen, in ihrer Bewunderung der Tatsachen, diesen geheimen Apparat und errichteten eine mystische Welt.

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