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der Spinnenfrau von der Raumsicherheit rüberreichen soll. Dass sie ihre Versteckspiele aufgeben und dem Großen Lakolar huldigen müsse. Verdammt, warum muss ausgerechnet ich immer wieder so was durchsetzen? Wass Mato presste die Lippen zusammen. Beim Aufgreifen von Niemandskindern hatte er noch nie große Bauchschmerzen gehabt. Meist ließ er sie erst eine Stunde selber suchen, fanden sie in der Stunde keine Verwandten, wurden sie zur Gefahr für das Haus, den Markt. Dann griff er sie auf und übergab sie an freundliche, gut geschulte Pädagogen, die mit Ausreißern umgehen konnten, und sie nicht mit versteckten Waffen bedrohten. Am Lerasischen Tor aber sammelte sich jetzt eine geballte Streitmacht, die ratlos und wütend war, weil sie jetzt so viele Male genarrt wurde, und nun bereit stand, einen Teil der Halle zu räumen und ihm auf Jahre hinaus das Geschäft zu verderben.

      „Geh weg“, sagte er leise. „Geh weg, kleines Mädchen! Hier hast du einen Scanner für Alpha-Strahlen. Damit suchen dich die Leute von der Raumsicherheit. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund sendest du so was aus. Such’ einen Platz, an dem das Gerät ganz stark ausschlägt, verstecke dich dort, da fällst du mit der Energie, die du selbst aussendest, nicht mehr auf. Und bleibst da, bis sich die Lage beruhigt hat.

      Und bitte: Bitte komm’ nie wieder hierher!“

      VIII.

      Sterano floh. Sie dankte Wass Mato und floh. Sie floh vor den Verfolgern, die sie schon mehrfach beschossen hatten, vor dem lauten Geschwätz, dass in ihrem Kopf hochschwoll, wenn sie die Augen schloss, Sterano floh vor ihrer Schwäche und sie floh vor ihrer Orientierungslosigkeit. Das also ist die Heimat der Artesianer. Es wäre so wie hier auf ihrer Insel, hatte Sal Karpi gesagt. Aber es war nicht so. Es war feindlich, dann wieder bot es ihr Wärme und Kraft, direkt aus dem Boden. Dazu kam dieses Geschwätz, diese Bilderflut und diese Musik, die in Wellen stärker und schwächer ihr tieferes Bewusstsein überflutete, und ihr den Zugang zu den schwachen Signalen ihrer eigenen gedanklichen Umwelt versperrten. Die Artesianer hörten das nur, wenn sie spezielle Empfänger dafür einsetzten, aber Sterano hörte und sah es in ihrem Inneren, und war taub, wenn sie in die Tiefe der Traumwelt hinabtauchen wollte, um dort ein Zeichen zu finden. Es gab kein Zeichen. Kein Hinweis, kein Schutz. Nur Einsamkeit und großes Rauschen. Sterano musste weg von diesem Rauschen. Sie wollte leben. Überleben. Sich entwickeln.

      Gedeckt von einer hellblauen Rauchsäule flog sie an der Grenze zwischen Thraxon und Lerasia entlang, hier gab es weniger Häuser und Verkehrswege, hier war auch das Geschwätz leiser, nicht so aufdringlich. Auf der lerasischen Seite der Grenze, an der sie entlang flog, hatte das Gras eine gelblich-grüne Farbe, es war blass-grün-gelb und dazwischen gab es weder Blüten noch Sträucher noch Wildkräuter. Auf der thraxonischen Seite aber war das Gras blaugrün, rotgrün und grüngrün, in Bögen, Linien und geheimnisvollen Kreisen arrangiert und nach einhundert Flügelschlägen kam ein Schild, dass der Thraxoner Tripli Triers diesen Wiesensaum verwirklicht hätte und dass jegliche Abbildung, Vervielfältigung und Veröffentlichung des Musters nur mit Genehmigung des preisgekrönten Künstlers möglich wäre. Inmitten der verwirklichten Kreise ließ sie sich für Minuten nieder, legte sich lang in das kurze Gras, atmete den Geruch der Erde, sie wollte ihn atmen, aber das kurze Gras wurzelte in roten Steinchen. Dicht an dicht, es zitterte ein wenig unter ihrem Atem und es neigte sich, wenn sie darüber strich. Es war unglaublich weiches Gras, aber so ohne Widerstandskraft, es war so voller Angst und als sie sich erhob, wusste sie, warum. Hände und Knie waren voller blaugrüner Flecken und die weichen Grashalme Matsch.

      Ihr könnt nichts dafür, ihr Grashalme. Ich kannte euch vorher auch nicht. Verzeiht mir, ich bin so unwissend. Wo ist der Platz, an dem ich zur Ruhe kommen kann!

      Sie ging müde durch das weiche Gras zurück zur Grenze, schlenderte an dem Saum entlang und versuchte, sich den Scanner gefügig zu machen. Aber der Scanner gehorchte ihr nicht. Zum ersten Mal erkannte Sterano, dass sie hier mit der ererbten Macht ihrer Spezies nicht weiter kam. Sie konnte andere Gestalten annehmen, in fremde Gedanken hinein sehen und sie konnte einfache Dinge dazu bringen, dass sie sich ihrem Willen unterwarfen. Aber sie hatte keinen Begriff für den Scanner.

      Sie flog weiter und ließ sich am Rande eines großen Eisengitters nieder, das voller gefingerter Blätter hing und das die Artesianer Wald nannten. Sie begann, die vielen Gedanken, die sie in den letzten Stunden gestohlen hatte, nach dem Befehl durchsuchen, der den Scanner aktivieren würde. Es waren zu viele Informationen. Es würde Tage dauern, das alles zu durchsuchen und zu verstehen. Sie suchte nach einer Erklärung für den Scanner.

      Er zeigte Eigenschaften des Unteilbaren, des Atoms. Hier auf Artesa hatte man das Unteilbare gespalten und neu zusammengesetzt, es war nicht mehr natürlich, so wie dort, von wo sie hergekommen war. Es war anders, aggressiver, voller Spannung und entlud seine Aggression in unheimlichen Strahlen. Die Artesianer respektierten diese Strahlen, aber sie nutzten sie auch für ihre Interessen. Die Orte, von denen die aggressiven Strahlen ausgingen, die zeigte der Scanner an. Aber am meisten zeigte er an, wenn sie ihn neben sich ins Gras legte. Bin ich aggressiv?, fragte sie sich. Sie hätte den Scanner nehmen und ihn in einen grauen Stein verwandeln mögen. Ich bin anders als die Bodenbewohner und ich bin anders als die Artesianer. Ich komme aus einem großen Netz und dunklem Rauch.

      Von dort bin ich zum Boden gekommen. Wir waren auf unserer Insel im Meer unter dem klaren Himmel nur Gäste, geduldet, weil man unsere wirklichen Gesichter nicht kannte und weil wir uns angepasst haben. Sterano hatte sich angepasst. Sie war fast schon so wie die dort. Sie hatte gelernt, so zu atmen wie die dort, so zu sprechen und so zu denken. Das, wo sie vorher gelebt hatte, war ein Dunkel gewesen, eine Welt, in der sie zugrunde gegangen wäre. Jetzt hatte sie das eingeholt.

      Auf Boden hatte Sterano gelernt, wie man leben konnte, ohne Netz und ohne schwarzen Rauch. Sie war lebendig geworden und wollte mehr sein, als nur eine Besucherin auf einem ruhenden Planeten. Jetzt war sie mehr, sie war herausgerissen aus ihrer Traumwelt und ihr eigener Körper hatte ihr deutlich gemacht, dass der wunderbare wasserklare Planet Boden zwar alles leisten konnte, was sie für das Überleben brauchte, aber nicht das, was eine Spezies wie die Ihre für die Weiterentwicklung benötigte. Sterano musste zurück zu dem Netz und dem schwarzen Rauch. Aber wenn man einmal so gelebt hat, so wie sie auf Boden, geht man nicht gerne zurück in den schwarzen Rauch. Und das Netz akzeptiert dich auch nicht mehr, wenn du mit leeren Händen kommst.

      Dann plötzlich gab es einen Ausweg und Sterano nahm ihn an, ohne nachzufragen. Dieser Ausweg, den Sal Karpi ihr anbot, wirkte so einfach, so unkompliziert. Fast so, als hätte man ihn nur für sie gemacht.

      Artesa ist dem ziemlich nahe, wo ich herkomme. Ich habe bislang alles gefunden, was ich zur Fortentwicklung brauche. Aber Artesa hat den schwarzen Rauch nicht. Es ist eine Welt, die ohne den schwarzen Rauch funktioniert, und in der ich mich trotzdem weiter entwickeln kann. Es ist eine seltsame Welt. Wenn ich nicht so viel Zeit auf Boden gelebt hätte, würde ich überhaupt nicht verstehen, wie eine Welt ohne den schwarzen Rauch so gut funktionieren kann. Ich trage den Rauch jetzt in mir. Ich will lernen, was diese Welt zusammen hält, dann kann ich immer noch entscheiden, ob ich ihn freilasse oder nicht. Es soll meine Entscheidung sein, meine ganz allein.

      Sterano musste zuerst einmal lernen, wie der Scanner funktionierte. Sie musste die Spinnenfrau erkennen. Die hatte den Scanner mitgebracht.

      Jetzt funktionierte der Scanner. Sterano drehte sich einmal um sich selbst. Sie bekam einen Impuls und ließ sich wenige Atemzüge später direkt in einem von dicken Mauern und hohen Zäunen gesicherten Materiallager nieder.

      Das Materiallager gehörte dem Raumfahrtunternehmen KAPTOS, und darin lagerte das Unternehmen knapp einhundert fertige Sprungsonden. Jede dieser Sprungsonden enthielt in ihrem Reaktor fünfzehn Kilogramm hochradioaktiven Treibstoffes. Die Luft in diesem Spezialbunker war so giftig, dass mitgebrachte Grashalme an ihren Füßen sofort braun wurden, kein Artesianer, dem sein Leben lieb war, ging in dieses Lager. Nur uralte Roboter, die unempfindlich gegen die hohe Strahlung waren, die rollten von Zeit zu Zeit durch das Lager und holten Sonden ab oder stellten neue hin. Sterano hatte das Gefühl, dass dieser todbringende Platz für sie ein besonders guter Platz war. Sie hatte ihn schon von fern gespürt, seine Wärme, seine Spannung.

      Der eine, der ursprüngliche Teil von ihr fühlte sich wohl und begann seine

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