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ist es wieder, dachte Rotam. Dafür habe ich keinen fertigen Plan und bräuchte ihn wie Wasser zum Löschen. Das geht so nicht. Nicht, wenn man es mit so einem ernsten Wesen wie Sterano zu tun hat.

      „Es wird etwas uneben“, sagte er verärgert über sich selbst, und weil ihm nichts Besseres einfiel. „Wenn wir jetzt starten. Du siehst es ja selbst! Das Taxi ist auf solche Fluggäste wie dich nicht eingestellt. Ich besorge mir was Eleganteres. Was mit Sprungsondenantrieb und Subraumnavigation. Das dauert allerdings etwas. Reicht übermorgen?“

      Steranos Augen blitzten plötzlich genauso ärgerlich zurück.

      „Was bist du nur für ein Narr!“, fauchte sie. „Hat deine Mutter dir nicht Manieren beigebracht, oder dein Vater mit dem Rohrstock und der Lederpeitsche!“

      „Nein!“, fauchte Rotam zurück. „Aber du solltest etwas normaler werden! Und die Realität einsehen. Ich habe versprochen, dich nach Hause zu bringen. Dazu muss ich erst die notwendigen Ausbildungen erwerben. Dazu muss ich das Fliegen lernen. Und das Navigieren. Das geht aber nicht von heute auf morgen. Du hättest dir für deinen Heimflug auch einen fertigen Piloten aussuchen können. Warum in drei Mal Lakolars Namen hast du das nicht gemacht? Dann wäre das alles kein Problem. Aber du hast mich ausgesucht, und ich werde deine Bitte erfüllen. Weil ich denke, dass es dazu keine Alternative gibt. Für dich nicht und für die Artesianer auch nicht. Und unterstelle mir nicht, dass ich keine Umgangsformen hätte! Was bitte sind Lederpeitschen und Rohrstöcke?“

      Sterano lächelte bitter. Wir reden aneinander vorbei, dachte sie. Ich habe ihn beleidigt. Ich will ihn nicht beleidigen. Ich trinke seine Worte wie Wasser in der Wüste und nur weil ich weiß, dass er zu mir hält, bin ich gesund geblieben in diesem Beton-Gefängnis. Ich will ihm mein Lächeln schenken und mein Vertrauen und ein Wort zur Probe. Wenn er die besteht, will ich ihm vertrauen, denn er kennt seine Welt besser als ich, er wird das Richtige tun.

      „Ich will wissen, was das ist, womit ihr euren Kindern gute Manieren beibringt!“, fauchte Rotam mitten in ihre Überlegungen hinein.

      „Eine Lederpeitsche ist ein Stück Holz mit vier langen Lederriemen. Das tut sehr weh!“, sagte sie.

      „Beim Essen oder beim Anziehen oder beim Draufhauen?“

      Autsch, dachte Sterano. Ich bin es, die sich im Ton vergriffen hat. Ich muss das dringend heilen. Sie lächelte vorsichtig. „Beim Essen“, sagte sie. „Das Holz schiebt sich zwischen die Zähne und die Lederriemen wickeln sich um die Zunge. Du kannst dann nur noch ja, ja, und ja sagen. Nichts anderes mehr.“ Und dann lächelte sie breit und aggressiv. Rotam zog die Augenbrauen hoch. Sie sah ihm an, wie er versuchte, sich das vorzustellen.

      „Das ist jetzt nicht ernst gemeint!“, sagte er.

      „Doch! Und mit dem Rohrstock kannst du jemanden dazu bringen, dass er nur noch leise vor sich hin schaukelt. In dem Rohrstock sind Löcher drin, und wenn du auf einer Seite reinbläst, und bestimmte Löcher auf und zudrückst, dann kommt auf der anderen Seite Musik heraus. Hältst du uns etwa für brutale Schläger, die ihre Kinder verprügeln!“ Sie lachte leise. Sie sah sein ungläubiges Gesicht, und dann dachte Sterano, dass sie eigentlich jetzt keine Probe mehr erfinden musste, wenn er diese jetzt bestand, dann war alles gut.

      „Verdammt!“, sagte Rotam. „Einen Moment lang habe ich geglaubt, du wärst ein hochnäsiges, kaltschnäuziges und arrogantes Miststück, das jedem auf die Nase binden muss, wie viel Macht es besitzt. Ich habe mir fast schon selber leidgetan.“ Er sah sie an. Er sah in ihre Augen, sah plötzlich, dass sie eine Seite besaß, die nicht mehr so einfach war. Nicht eindimensional, oberflächlich, sondern ein bisschen frech, ein bisschen hilflos und nicht ohne Überraschungen. Rotam fühlte das Pulsen von Blut in ihren Armen und versuchte sich vorzustellen, wie das wäre, wenn man den Mut fände, sich wirklich nahe zu sein. Ob man danach immer noch der Gleiche sein würde wie vorher, oder dann auch so was wie ein fliegender Geist oder sonst was. Das auszuprobieren wäre spannender als jede noch so elegante Form von Sprungsalto. Rotam dachte in diesem Moment, dass er damals zum ersten Mal in seinem Leben etwas getan hatte, was wirklich einzigartig war, und keine Minute, die er danach gelebt hatte, war ohne Sinn und ohne Plan gewesen. Dieser Plan würde nur viel größer und schwieriger werden, als er sich das am Anfang vorgestellt hatte.

      „Die Artesa ist feindlich zu mir“, sagte sie. „Sie sind alle feindlich zu mir.“

      „Unfug!“, unterbrach Rotam sie. „Wir sind eine zivilisierte Spezies!“

      „Aber ich bin dreizehn Mal beschossen worden. Und man hat sieben Mal versucht, mich einzukreisen. Jedes Mal, wenn ich versuchte, einen Ruhepunkt zu finden, hat mich die Wut von immer neuen Verfolgern hochgejagt. Aber ich werde trotzdem nicht morgen vor deiner Tür stehen, und um ein Taxi betteln. Ich muss hier bleiben, bis mein Entwicklungsprozess abgeschlossen ist. Danach werde ich prüfen, ob die Artesa bereit ist, meine Existenz anzuerkennen oder nicht.“

      „Sie wird es. Und du wirst nach Hause fliegen können, mit einem Frachtcontainer voller prickelnder Erinnerungen“, gab Rotam zurück. „Und wenn die anderen das nicht kapieren, ich hab’s kapiert. Wenn die Zeit reif ist, dann fliegen wir zurück. Ohne Wenn und Aber!“

      Sterano lächelte wehmütig.

      „Sie sind mächtig!“, sagte sie.

      „Wer?“

      Sie schüttelte mit dem Kopf, als wolle sie ein lästiges Insekt verscheuchen und machte eine abwertende Handbewegung. Lass uns darüber jetzt nicht mehr reden. Sie legte einen Moment lang ihren Zeigefinger auf die Lippen, und zog rasch, so wie jemand, der eine Wagentür zuschlägt, die Unterarme übereinander und Rotam fühlte sich von einem Schwall kalter Luft übergossen.

      Dann war sie nur noch Sell.

      Sell jubelte und fiel ihm um den Hals, sie drückte ihren Mund auf den seinen und weinte. Sie brachten die Mappe zurück in Sells Zimmer und bestellten sich die größten und buntesten Eisbecher, die über Tele zu bekommen waren.

      „Hast du gesehen, wie ich den Giftzwerg fertig gemacht habe! Er hat sich nicht mehr getraut, auch nur einen Satz zu sagen.“

      „Und was hast du nun wirklich gedacht, ich meine, bei dem Bild!“ Rotam war eigentlich noch in Gedanken bei der geisterhaften Besucherin.

      Sell packte das Bild aus und stellte es auf ein Wandbord. Sie richtete eine Tageslichtlampe darauf, solange, bis sie es ausreichend ausgeleuchtet fand, und dann sah sie es mit schräg gestelltem Kopf lange an.

      „Ich glaube, das da in der Mitte, das ist das, was ich gerne sein möchte.“

      Ein schwarzes Zentrum, dachte Rotam.

      Sell drehte sich um und dann gab sie ihm einen langen Kuss. „Du bist ein Zauberer!“, sagte sie. Er aber starrte über ihre Schulter weg weiter auf das Bild und versuchte sich vorzustellen, was sich hinter diesem schwarzen Zentrum verbarg. Bei Sell und bei Sterano.

      „Du machst ja die Augen gar nicht zu“, schmollte sie.

      „Doch, jetzt.“

      Sell war weich, anschmiegsam, dann plötzlich von einer Wildhaftigkeit, die er bei ihr nie vermutet hätte, als hätte man ihr ein Signal gegeben, endlich das auszuleben, was früher verboten war. Sie balgten sich wie kleine Kinder, lagen dann lange still ineinander verschlungen, und Rotam versuchte herauszubekommen, ob da noch etwas übrig geblieben war, von dem fremden Besuch und der machtvollen Schwere Steranos. Aber Sell war jetzt nur noch Sell, wenn auch eine andere als die, die er früher gekannt hatte. Irgendwann in der letzten Zeit musste da was passiert sein, das er glatt übersehen hatte.

      Später, viel später, beim Anziehen, fragte Sell ihn dann, was ihn dazu bewogen hätte, hier bei ihr zu bleiben.

      „Dass du nicht immer so bist wie heute Nachmittag. Das hat mich dazu gebracht, Sell.“

      „Wenn du öfters bei mir wärst, würde ich Bilder malen in hellblau und sonnengrün. Bilder vom Regenbogen und vom Rot der Papierrosen.“

      „So! Wer

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