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ist der letzte Tag!“, schniefte sie. „Heute bis 18.00 Uhr. Bis heute Abend ist das Aufnahmekomitee der Thraxonischen Hohen Schule für die bildenden Künste in Simapi. Bis heute Abend kann man seine Bewerbung abgeben.“

      „Verdammt, und warum bist du nicht schon lange dort gewesen?“

      Sell schüttelte mit dem Kopf. „Ich würde kein Wort heraus bringen.“

      „Aber deine Arbeiten, die du zu Hause stehen hast, die sprechen doch für dich. Leg sie hin, zeig sie vor, damit sie sehen, dass du gute Voraussetzungen für diese Schule hast!“

      „Rotam, das sind nur Bilder! Mit dem Zeigefinger getupft und mit dem Fingernagel umrissen. Sie sind zweidimensional, sie sind starr, und sie sind nicht mal fixiert. Das reicht nicht. Die werden fragen: Was wollen Sie mit diesem Bild aussagen, was stellt das alles dar? Ist es etwa alles nur hohle Form ohne Inhalt? Soll ich da drauf sagen, sie sind einfach da? Sie kommen aus mir. Ich habe weder Ahnung von Genetik und auch keinen Schimmer von den Schmelzfarben von Metall! Ich kann nur ein wenig tupfen und Farben mischen. Ich kann nicht mal sagen, was meine Farbmischungen bedeuten sollen, und ich kann den Betrachtern auch nicht sagen, was sie lernen sollen, wenn sie sich damit abgeben.“

      Das war so. Sells Malobjekte zeigten Formen in goldrot und orangerot, mit großen und kleinen dunklen Zentren und jedes Mal, wenn Rotam zu Sell kam und diese Bilder sah, dann sah er in ihnen andere Bilder. Er sah das Abendrot und er sah dunkle Sonnen, er sah große und kleine Augen und Gesichter, die sich berührten, dann wieder verschwammen sie, und er sah kosmische Stürme und das Meer des Schlafes. Sell konnte sie nicht erklären. Aber die Bilder waren wirklich wunderbar. Und in seinen Augen tausendmal schöner als die Duftwolken auswerfenden Gewächse von Tripli Triers. Viel zu schade für ein dunkles, viel zu kleines Jugendzimmer. Sell würde anfangen, sich darin zu vergraben und nie wieder herausschauen, wenn sie niemand am Arm nahm und ihren Tupfern den Wert gab, den sie besaßen.

      „Geh heim und hol’ die Bilder und deine Bewerbungsunterlagen!“, fuhr Rotam sie an.

      „Was soll ich machen?“

      „Was ich eben gesagt habe. Ich warte hier auf dich. In einer Stunde bist du wieder hier, sonst brauchst du nie wieder im Leben mit mir ein Wort über Taisieh zu reden. Ich gehe mit zu dem Bewerbungsgespräch. Ich steh’ dir bei! Verstanden?“

      „Aber du kannst nicht für mich reden!“

      „Das werden wir schon sehen! Hol’ das Material! Ich warte hier auf dich! Eine Stunde, keine Minute länger!“

      Sell gehorchte. Sie ließ seine Hand los, und begann zu laufen, vorwärts, immer schneller durch die Ausstellung, bis Rotam sie aus den Augen verlor und plötzlich ganz allein war, inmitten eines künstlichen Urwaldes aus lauter Pflanzen, die auf gar keinen Fall dieses Gebäude verlassen durften. Rotam suchte sich einen Sitzplatz und lehnte sich an den grauen Betonputz. Vor ihm gaukelten rotgepunktete Algenarme von der Decke herunter, und weil Rotam sich in völlige Bewegungslosigkeit zurückgezogen hatte, begannen die Pflanzen sich langsam dem spärlichen Licht zuzuwenden und die Algenarme flatterten wie zarte Girlanden, angetrieben vom dünnen Luftzug der Klimaanlage bis über den Eisengitterweg.

      Es ist komisch, dachte Rotam. Es ist nicht wirklich wichtig, dass du einen Plan hast, es ist nur wichtig, den anderen deutlich zu machen, du hättest einen. Rotam hatte eigentlich keinen Plan. Nur eine verschwommene Idee.

      Er stützte den Kopf in die Hände und dachte an die Flüchtigkeit einer fernen Erinnerung, wegen der er sein Leben umgeschmissen hatte, und jetzt wollte er wissen, ob das Versprechen, das sie ihm gegeben hatte, als Dank für seine Worte damals in der Sporthalle, ob das noch lebendig war.

      Er wollte, dass er ihren Namen würde aussprechen können, denn dann würde er sie rufen können. Er würde sie bitten, dass sie auch Sells Hände berührte und Sell vom Schleier ihrer Traumwelt befreite, er schloss die Augen und suchte den Weg zu den tiefen kosmischen Seen.

      Er ließ die Abbilder der bunten Pflanzen vor seinem inneren Auge vorbeifließen und dachte an diese einsame Stunde Taisieh und an den Schatten an der Hallenwand. Und er dachte an die schillernden Flügel, die dieser Schatten verbarg.

      „Sterano!“

      War’s denn wahr? Verdammt noch mal, wie war der Name? War er überhaupt richtig?

      „Sterano.“

      Irgendwo klapperte was in der Klimaanlage, und beinahe wäre mit diesem Klappern auch der Name im Abwind gelandet. Aber dann zischte es, und Rotam war wieder von Stille umgeben. Und jetzt sagte er ihn laut, so laut er es dem Raum zumuten konnte: „Sterano!“

      Zuerst war ihm, als würde überhaupt nichts passieren, aber dann begann doch etwas zu passieren, wenn es auch nur das war, dass ihm die Haare im Genick aufstanden.

      „Sterano“, sagte er wieder, diesmal ganz leise, und die Haare stellten sich auf bis zur Stirn. Ein warmer Luftzug fuhr durch die Ausstellung, die Algenartigen flogen hoch und verwirrten sich ineinander, wie Stofffäden, die im falschen Waschmaschinenprogramm gelandet waren.

      „Wo bist du, kann ich dich sehen?“

      Der Hauch vor ihm drückte eine große Beule in die rotgepunkteten langblättrigen Pflanzen, fegte durch den Raum und baute sich als weiße Rauchsäule zwischen den roten Blättern auf.

      Du würdest dich erschrecken, summte es in Rotams Ohren. Ich bin hässlich und unförmig, nimm mit meinem Atem vorlieb und sprich leise mit mir. Ich freue mich zwar, dass es jemanden gibt, der meine Hilfe sucht, aber es gibt noch mehr, die nur meine Asche wollen.

      „Sterano“, sagte Rotam noch einmal leise.

      Zauberwort, Rotam Vargun, bitte sei still! Ich atme deine Nähe, aber ich will nicht, dass ich dich das nächste Mal in einem eurer Kopf-Krankenhäuser besuchen muss.

      „Ich möchte so viel von dir wissen!“

      Hast du mich nur deswegen gerufen. Sollte ich mich so in dir getäuscht haben?

      „Nein, das ist es nicht, weswegen ich dich hier haben möchte. Es ist wegen Sell. Ich möchte, dass du Sell hilfst. Gib’ ihr einen Hauch von deiner Kraft! Und wenn es nur für heute ist. Für dieses Vorstellungsgespräch. Einfach, damit sie nicht zittert. Damit es ihr im unpassenden Moment nicht die Sprache verschlägt.“

      Rotam sah wieder die roten Blätter fliegen, seltsame Formen beschreiben, den weißen Rauch auf und nieder steigen.

      Lass mich sehen, was ich für euch tun kann, hörte er undeutlich, dann wurde der Rauch still, Sell kam gerannt.

      Sie war außer Atem, sie hatte wirklich die Mappe mit ihren Arbeiten dabei und lief, ohne darauf zu achten, mitten in den weißen Rauch hinein, aber sie schüttelte sich nur einen Moment, als hätte sie einen Spritzer kalten Wassers abbekommen. Der weiße Rauch war weg. Auch die rotgesprenkelten Blätter hatten sich beruhigt. Sie wehten nur noch etwas nach, als wären sie elektrisch, und Sell ein Magnet, das sie anzog.

      Rotam ging auf sie zu, nahm ihr die Mappe ab, nahm ihre Hand und während er Sell mehr vorwärts zog, als neben ihr ging, da sprang der Hauch von ihrem Arm zu seinem Arm und das Ziehen wurde leichter.

      „Sell“, sagte Rotam. „Geht’s jetzt besser?“

      „Wo werden wir hingehen?“

      Rotam blieb abrupt stehen. Der Unterschied war einfach zu krass. Er sah sie an, und er wusste nicht mehr, wen er vor sich hatte. Um sie herum war immer noch die Ausstellung, aber Rotam hatte den Eindruck, als würden sich alle diese seltsamen Ausstellungsstücke nur ihnen zuwenden, als wäre Sell ein großes Licht.

      „Sell!“, fragte er noch einmal.

      „Sie schläft. Sie träumt, dass sie sicheren Schrittes zu dieser Aufnahmekommission geht.“

      „Das war nicht so gedacht“, sagte Rotam leise. „Bitte, sie muss doch später wissen, dass sie dort gewesen ist.“

      „Noch nicht. Auch ich muss mich erst

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