Скачать книгу

      Eyniyah Aisoh war müde. Sie starrte nun schon seit Dekaden auf diese Überwachungsbildschirme, die jeden Luftzug in der Lagerhalle von KAPTOS anzeigten. Sie hatte schlecht geschlafen, denn auf Artesa waren alle Betten für sie zu kurz. Und sie hatte immer noch hochgradig Anpassungsprobleme an die Schwerkraft des Planeten. Sie ging selten nach draußen, sie war seit Jahrzehnten geschlossene Räume um sich herum gewöhnt, und Klimaanlagen und staubfreie Luft. Sie hatte von Blütenpollen Ausschlag im Halsinneren bekommen und hochdosierte Medikamente dagegen, aber die Ärzte auf Artesa hatten keine Medikompzeiten für sie frei und sahen außerdem keine Notwendigkeit dafür, eine so kleine Entzündung chirurgisch zu behandeln. Diese üblen, winzig kleinen Pollen schwirrten mit jeder Türbewegung herein und wurden im Raum breit geblasen. Eyniyah sehnte den Tag herbei, an dem sie sich in einen Orbiter setzen konnte, endlich wieder Luft aus dem Reaktor einatmen, tief einatmen, und sie würde unbedingt den nächsten erreichbaren Medikomp buchen und dieses lästige Kratzen im Hals entfernen lassen. Noch besser wäre eine sanfte Bestrahlung, die die Überreste dieser Pollen in der Lunge und auf den Schleimhäuten zu Wasser und Salz reagieren ließ und den ganzen anderen Dreck, den sie sich inzwischen beim Aufenthalt auf dem Planeten eingefangen hatte. Die Tür ging auf, und wieder flogen unsichtbar Quartel von Mikrobestandteilen herein. Eyniyah prüfte erst das Gesicht des Ankömmlings, bevor sie ihn ihren Ärger spüren ließ. Er war der Direktor von KAPTOS, und er sah überhaupt nicht freundlich aus. Er sah so aus, als wäre er bereit, jetzt richtig unfreundlich zu werden.

      „Wie lange soll das hier noch dauern“, fauchte er Eyniyah an.

      „So lange, wie es dauert. Es gibt einen Befehl, die Aufräumarbeiten zu stoppen und vor Ablauf von sechs Tagen eigentlich gar nichts zu machen. Wir überwachen das Lager, ob alles ruhig bleibt, und Sie werden mit uns warten.“

      „Bis dahin sind die letzten acht Sonden, die noch im Lager stehen, endgültig futsch. Sie ruinieren unseren Standort, sind Sie sich dessen bewusst!“

      „Sie bekommen einen neuen. Im oberen Orbit, geostationär. Das ist immer noch besser, als hier auf Artesa. Es ist alles super sauber und super modern. Freuen Sie sich doch da drauf!“

      „Da drauf kann ich mich nicht freuen. Wissen Sie, was es kostet, Mitarbeiter für das obere Orbit zu bekommen? Das Zehnfache gegenüber dem Arbeiten am Boden. Sie ruinieren uns! Aber ich will mich nicht mit Ihnen aufhalten. Sie sind nicht die richtige Adresse dafür. Ich will nur von Ihnen wissen, ob meine werten Freunde vom Thraxonischen Abendjournal die Lagerhalle filmen dürfen. Und sie hätten auch liebend gern ein Interview mit einem auskunftsfähigen Mitarbeiter Ihrer Behörde, der Raumsicherheit. Und zwar jetzt!“

      Eyniyah fuhr auf. „Das geht nicht! Sie haben genauso wie wir alle dafür unterschrieben, dass alles, was hier passiert, unter Verschluss bleibt!“

      „Schluss! Aus! Ich lass mir den Mund nicht mehr verbieten! Ich soll hier einfach tatenlos zusehen, während meine Arbeit kaputt gemacht wird. Nein, so geht das nicht. Nicht mit mir! Die Kollegen sind übrigens schon unterwegs.“

      Eyniyah hustete, würgte einen Batzen Wut runter und fuhr auf. „Sie müssen Ihr Diplom in der Markthalle am Dreieck gekauft haben! Die ganze Strahlung, die den Sonden fehlt, ist doch nicht einfach weg, sie ist noch drin in der Halle und jeder, der dem Punkt, dem Konzentrationspunkt, zu nahe kommt, der holt sich sofort einen irreparablen Gesundheitsschaden.“

      Eyniyah drehte einen ihrer Bildschirme um und hielt ihn vor das Gesicht des Direktors.

      Der lächelte aber nur müde. „Das wissen wir. Wir haben vorgebaut!“

      Auf dem anderen Bildschirm sah man eine winzige Roboterkamera in die riesige, fast leere Halle rollen, hin zu den letzten acht Sonden, die massig schwer in einer Ecke standen, der Roboter hatte fast die Sonden erreicht, da brüllte Eyniyah durch das Mikro: „Halt, verdammt noch mal, halten Sie an!“

      Und dann leise zu dem Direktor: „Sie hat sich etwa zwei Stunden überhaupt nicht gerührt, scheinbar geruht, vielleicht haben wir Glück und sie übersieht den Roboter. Sie kann Roboter nicht leiden.“

      Sie hatten kein Glück. Der Miniroboter, der vollgestopft war mit Elek­tronik, Kameras, Sensoren und Prüfaggregaten, der kippte einfach um, so als wäre er auf eine schräge Fläche gefahren. Einen Moment lang lag er regungslos auf dem Boden. Dann drehte sein Fahrgestell, kleine Teleskoparme fuhren aus und Sekunden später stand er auf den Rädern und rollte weiter.

      Eyniyah rief den Blue Frog an und löste Alarm aus. Der Roboter hatte erst eine Runde gedreht und peilte nun zum zweiten Mal den unsichtbaren Kreis um die Sonden an. Diesmal kippte er nicht einfach, sondern vollführte eine Rückwärtsrolle, als hätte ihn ein gigantischer Finger angeschnipst, er überschlug sich ein zweites Mal und lag jetzt viel weiter hinten. Man hätte ihn prima zurückholen können.

      „Es lebt!“, sagte der Direktor plötzlich.

      „Ja, es lebt!“, brummte Eyniyah wütend.

      Der Roboter war so schnell nicht kaputt zu kriegen. Er stellte sich wieder auf seine vier Räder und fuhr nun große Schleifen vor den Sonden, nach rechts, nach links, ohne sich ihnen wesentlich zu nähern, und hinter Eyniyah trat der Blue Frog in den Überwachungsraum. Diesmal traute sich Eyniyah keinen bitteren Blick.

      „Warten wir ab, was passiert“, sagte der Blue Frog.

      „Wieso? Das ist der pure Wahnsinn, was diese Leute da treiben.“

      „Wollen Sie den Journalisten sagen, was hinter den Sonden sitzt?“

      „Nein, darf ich doch gar nicht.“

      „Ich auch nicht. Ich habe ihnen erklärt, dass sie ihre Technik aufs Spiel setzen und dass das kein Platz ist, um kleine Spielzeugroboter zu testen. Sie haben mir gesagt, dass sie die Genehmigung von KAPTOS dazu haben und der Direktor von KAPTOS steht hier und der Direktor von KAPTOS weiß sicherlich, was er tut, und wir können ihn nicht davon abhalten.“

      „Ich glaube, ich bin im falschen Film!“, sagte Eyniyah. „Dann kann ich ja wohl jetzt gehen.“

      „Und wohin?“

      „Ich will mir das Schauspiel von unten ansehen. Auf die Schlagzeile morgen freue ich mich: „Thraxonische Journalisten retten Sprungsondensondermüll.“

      Am Eingang der Halle hatte sich einer der Journalisten einen Strahlenanzug übergezogen und war dabei, jetzt selbst in die Halle zu gehen. Die anderen waren damit beschäftigt, das Roboterspielzeug zu steuern. Das Spielzeug hatte einen Kraftfeldscanner an Bord und dieser Scanner zeigte ihm genau, wie weit es sich an die Sonden heranwagen konnte, ohne wieder Purzelbäume schlagen zu müssen.

      Eyniyah blieb einen Moment still in einer Ecke stehen, wartete, bis wirklich niemand auf sie achtete, dann ging sie drei Schritte nach vorn und drückte dem Mann mit dem Anzug die Luft ab. Sie schleppte ihn geräuschlos in eine Ecke, zerrte den Anzug herunter und stieg selbst hinein. Der Mann war schon ziemlich alt, er hatte ein zerfurchtes Gesicht und Eyniyah drückte ihm ein paar Tropfen Dope ins Blut, damit sie genug Zeit für ihren Rückweg bekam. Seinem Gesicht nach sprach er rauen Altmännerjargon, den konnte Eyniyah imitieren, sie ging an den erstaunten Roboterpiloten vorbei, direkt in die Halle und eigentlich hatte sie nur vor, diesen Roboter, der sich wie ein ungezogenes Kind gebärdete, einzufangen und unschädlich zu machen. Dumm gelaufen, tut mir leid und so weiter. Das Ergebnis zählte. Und das Ergebnis hieß: noch sechs Tage Ruhe im Saal!

      Eyniyah ging langsam in die Halle hinein, sie orientierte sich in den Funktionen des viel zu kurzen Schutzanzuges, der aus Werftbeständen von Orbit 3 bestand und der ziemlich gut in Funktion war. Das Spielzeug vollführte immer noch seine Schlenkerrunden vor den Sonden, wich aber keinen Meter zurück, und Eyniyah konnte auch nicht bis an den Roboter heran, denn der Schutzanzug brachte jetzt ein erstes Warnsignal, dass sie nicht länger als 10 Minuten an diesem Platz bleiben durfte. Eyniyah ging aber trotzdem weiter, das Warnsignal verkürzte auf fünf Minuten, aber diese Anzüge waren sowieso auf hundertfünfzig Prozent Sicherheit eingestellt, und Eyniyah ignorierte die Anzeige. Die Strahlung kam eindeutig von den Sonden. Aber

Скачать книгу