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dass er in einem Doppelblindversuch steckte, niemand durfte mit ihm reden, er konnte nur mit empfindungslosen Maschinen kommunizieren und mit dem kleinen Männchen zwischen seinen Ohren.

      Das erste, was das aufkommende Unheil ankündigte, war eine Invasion der Schaben. Sie krochen zu Tausenden aus dem Primesorischen Ozean. Sie krochen weit auf das Land und ließen sich nicht wieder vertreiben. Sameon musste auf seine Strandspaziergänge verzichten. Wollte er durch die Schabenherden laufen, dann fauchten sie ihn an, als würde er ihr Leben bedrohen. Sie saßen alle da und blickten nach Norden. Dass sich dort der große Energieerzeuger befand, wusste Sameon nicht, er steckte in einem Doppelblindversuch und er versuchte, das eigenartige Verhalten der Schaben zu ignorieren.

      Die Primesorer räumten, nachdem es ihnen ihre Königin dringend angeraten hatte, in der Umgebung des Reaktors alle ihre Algenkolonien ab, sie zogen sich in die tiefer gelegenen Siedlungen zurück.

      Sameon musste mit ansehen, wie ein Thraxonisches Filmteam, die wirklich nur das eigenartige Verhalten der Schaben filmen wollten, vom Hotelgelände unter Androhung von Waffengewalt vertrieben wurden. Und Sameon hätte sie gerne gefragt, welcher Aufruhr in der Welt losgegangen war. Die Spannung lag in der Luft, sie war wie zum Greifen nah, selbst der Primesorische Ozean lag da wie ein Spiegel aus Blei und wartete.

      XX.

      Sterano badete in diesem Meer aus Spannung wie eine Süchtige. Es war wie eine Initialzündung in ihrem Inneren, die ihr sagte, dass es jetzt so weit war. Der Reaktor war an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit, aber das, was sie jetzt brauchte, das konnte ihr der Reaktor nicht mehr liefern. Sie brauchte Licht. Viel Licht. Unermessliche Mengen von Licht. Weißes Licht. Und während eine winzige weiße Rauchsäule aus dem Kühlturm des Reaktors stieg, wusste sie, wie sie zu diesen unermesslichen Mengen Licht kommen würde. Sie bemächtigte sich der winzigen Wasserwolke, gab ihr einen Hauch von dem Feuer, das sie in den letzten Monaten gestohlen hatte, und stieg damit auf, wurde zu einem mächtigen Wolkenturm, glitt hinaus auf den Primesorischen Ozean und löste sich von dem Reaktor. Sie begann einen Reigen, überließ sich der Drehkraft des Planeten und badete im Licht. Ein Wolkenturm nach dem anderen entstand in diesem Reigen, die losgelösten Wassermoleküle rieben sich aneinander, erste Blitze schlugen in den Ozean ein, ein leiser Windhauch wurde zum wilden Sturm, der peitschte das ruhige Wasser auf, aber davon wusste sie nichts, auch nicht davon, dass ein ganzes Rudel von Atmosphärensatelliten ihre Energiewerfer auf das entfesselte Unwetter gerichtet hatte, mit dem unheilvollen Effekt, dass das Unwetter immer größer wurde. Und genau dieses Unwetter lieferte ihr den Rest von Energie, den sie brauchte. Ein mächtiger goldroter Lichtstrahl brach aus dem Wolkengebirge, er verschwand wenige Lichtsekunden später im Subraum, und unter dem Wolkengebirge begann der Primesorische Ozean zu kochen. Wellenberge von der Höhe von Funktürmen wölbten sich auf, unter peitschenden und heulenden Sturmböen flogen weiße Gischtfetzen bis weit ins Land, Blitz auf Blitz zuckte nieder, und wieder lud sich der Sturm aufs Neue auf, als wollte er in einer Stunde alles das nachholen, was man ihm in den letzten 400 Jahren verboten hatte. Doch davon wusste Sterano schon nichts mehr.

      Einem Fiebertraum ähnlich landete ihr Bewusstsein an einem anderen Ort des Realraumes, in einer riesigen, von schwarzem Rauch durchfluteten Bodenlosigkeit, immer noch drehte sie sich im Rausch des Wolkensturms und immer noch schienen ihre Sinne beinahe überzuschießen. Aber inmitten der rauchdurchfluteten Tiefe begannen sich blau glänzende lange Bänder abzuzeichnen, die wie riesige Spinnfäden von links nach rechts und von oben nach unten den Raum durchzogen, Sterano fühlte sich plötzlich von den Fäden aufgefangen, eingehüllt und angeschlossen. Fast augenblicklich fühlte sie, dass sie wieder heimgekommen war, wie das Netz begann, die gesammelte Energie aus ihrem Körper zu ziehen, aber sie hatte keinen Körper mehr, sie war nur noch Licht, eine weiße Spindel aus Licht, rundum drehten sich in dem schwarzen Rauch noch mehr solche Spindeln, und durch die Fasern, die sich an sie angelegt hatten, konnte Sterano sehen, wie das Netz von den anderen Spindeln zusammen gehalten wurde. Sie sah Bilder, Töne und Erinnerungen auf sich einströmen, andere durch sich hindurchfließen und ihre eigenen wieder zurückkommen, sie ertrank fast in der Bilderflut und dem bunten Taumel der Nachrichtenflut. Die Jade-Welt. Die Mono-Omo-Welt. Beide so hell und dynamisch wie Artesa. Sterano wanderte durch die Bilderwelt von Jade, erkundete den goldenen Pfad von Mono-Omo. Sie war zurück im Netz. Das Netz hatte sie wieder aufgenommen. Sterano sandte Bilder aus von Boden, vermischte sie unwillkürlich mit denen von Artesa: Licht, Luft, Spannung, Energie. Boden bestand aus Wasser, Bäumen, Musik, Früchten, Wein und Brot. Aber von dem Netz wurden immer wieder nur die Bilder von Artesa zurückgespiegelt, die Düfte und die Süße und die Melodien von Boden ignorierte das Netz. Aber Sterano hatte von Boden zwei andere Bilder mitgebracht, die gab sie jetzt in das Netz hinein. Das Netz begann zu reagieren. Die Bilder kamen zurück. Die Bilder formierten sich. Sterano musste Fragen beantworten, nach Anpassung und Überlebensstrategien. Sie kommunizierte mit dem Netz. Das Netz begann, aus ihren Bildern eine neue Wirklichkeit zu formen. Tausend von den meinen sind notwendig, um etwas zu formen, das so kraftvoll sein soll, wie wir selbst. Sterano gab dem Netz zusätzlich Bilder von ihren Träumen und Wünschen. Das Netz wob diese Wünsche hinein in die neue Materie. Aus der Energie, die Sterano mitgebracht hatte, erschienen zwei neue Wesen. Deshalb war sie hier her gekommen. Das Netz legte seine Bänder an die neuen Wesen und Sterano bekam Zeit, sie zu erkunden. Sie waren vollkommen, sie pulsten leise und schliefen noch.

      Sterano war glücklich. Sie hätte hier bleiben mögen bis zum Ende aller Gedanken. Aber das Netz wollte das nicht. Bring’ uns zur Artesa, forderte es erst leise und dann immer deutlicher.

      Sterano wehrte sich. Ich bin müde, immer nur fliehen zu müssen. Ihr werdet dort auch immer nur auf der Flucht sein.

      Dann bring Artesa zu uns. Artesa wird den unseren Welten hinzugefügt. Artesa wird neue Energie in unsere Systeme bringen. Du bist mächtig, du kannst das, Sterano. Du hast es nur noch nicht ausprobiert.

      Den schwarzen Rauch freilassen?

      Mach es, wie du es für richtig hältst.

      Ich will nicht. Lasst mich hier bleiben und träumen. Ich bin so müde.

      Das Netz löste sich von ihr. Als erstes verlor sie den Kontakt zu ihren beiden Schöpfungen. Dann blieb nur noch ein Band an ihr fest. Über das Band sah, sie, wo die beiden Kleinen auf Artesa landen würden. Inmitten von lauter Fremden. Reflexartig forderte sie das Netz auf, die besondere Gestalt der beiden zu verbergen. Das Netz folgte.

      Willst du sie allein dort lassen?

      Nein. Ich folge. Ich gehe zurück zur Artesa. Ich werde Artesa euren Welten hinzufügen. So schnell ich kann. Lasst ihr mich dann träumen?

      Gewiss. Geh nur! Wir werden warten. Aber nicht zu lange! Verstehst du?

      Der Raum voller Rauch fiel zusammen, verwandelte sich in eine Schale aus dunkelrotem Dampf, die wie ein Riesenspielzeug zu kreisen begann, in dieser wilden Drehung verlor Sterano die Macht über ihren Willen und über Zeit und Raum. Drei goldrote Strahlen fielen einer nach dem anderen zurück auf Artesa, rechtzeitig, bevor der Riesenwolkenberg endgültig zusammenfiel.

      Vor ihr war einer der Strahlen auf die verwüstete Küste zwischen dem Niemandsland und dem Primesorischen Meer gefallen, er hinterließ ein fertiges Kind mit der Statur eines dreijährigen Artesianers, das zuerst seine in der Sonne glitzernden Flügel entfaltet hatte, sie dann aber plötzlich unter seiner Haut verbarg, und sich heftig gegen neugierige Schaben zur Wehr setzen musste. Zwei Stunden später fand es dort die Primesorische Küstenwache, sie verscheuchten die Schaben und brachten das Kind weg.

      Der zweite Strahl fiel in ein Kinderheim mitten in Thraxon, dort entstand plötzlich auch ein kleines geflügeltes Wesen. Aber bevor auch die anderen Kinder begriffen, was da passiert war, wurde auch dieses Fremde so wie sie, beinahe so wie sie, denn es war weder Junge noch Mädchen, und besaß eine Präsenz, dass ein einziger Augenaufschlag einen ganzen schreienden Saal zum Schweigen bringen konnte.

      Sterano aber fiel zuerst wieder in ihr Wolkengebirge, das immer kleiner und kleiner wurde und vor den Satelliten nach Norden driftete, zum kalten Wasser hin. Endlich kam sie über einer dunklen und unwirtlichen Insel an, dort entließ sie

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