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ich fast beiläufig, aber innerlich glühend.

      „Ja!“, antwortet er. „Ich muss jetzt auflegen, ich melde mich.“

      Nach dem Frühstück starte ich in den Familiensonntag. Mein Vater lebt außerhalb der Stadt in einem beschaulichen Vorort. Es ist genau die richtige Gegend für Familie, Kind, Hund und die ganze Gartenzaunidylle. Als Kind habe ich die Zeit hier sehr genossen. Ich werde schon erwartet und wie jeden Sonntag, vorausgesetzt ich muss nicht arbeiten, immer das gleiche Prozedere, mein Vater erzählt mir bei einem Aperitif vom Klinikalltag, während Alice das Mittagessen vorbreitet. Die beiden haben recht schnell nach dem Tod meiner Mutter geheiratet, einer der Gründe, warum mir die gemeinsamen Sonntage eigentlich nicht so viel bedeuten. Ich konnte mich nie damit abfinden warum man nach dem Tod eines geliebten Menschen einfach so tut, als ob nichts gewesen wäre, obwohl ich weiß das mein Vater bereits als meine Mutter noch lebte ein Verhältnis mit Alice hatte. Sie ist Gynäkologin und arbeitete damals im selben Krankenhaus wie mein Vater. Heute arbeitet sie in einem Privatkrankenhaus. Ich weiß zwar das mein Vater nicht schuld daran war das meine Mutter starb, aber ich glaube sie ist an ihrem Kummer zerbrochen. Sie hat zwar nie darüber gesprochen und alles still hingenommen, aber das kann einem doch nicht egal sein. Dafür habe ich meinen Vater jahrelang gehasst. Trotzdem ist er alles was mir von meiner Familie geblieben ist. Ich versuche heute einfach über den vergangenen Ereignissen zu stehen. Ich selbst habe früher auch wenig Positives dazu beigetragen um unser Verhältnis zu verbessern, jetzt bin ich älter und reifer geworden und versuche das zu ändern. Ich werde nie die Augen meiner Mutter vergessen als ich an Ihrem Todestag an ihrem Krankenbett stand, auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte, wusste ich dass sie sterben wird. Während sie meine Hand hielt, schaute sie meinen Vater an und bat ihn immer für mich da zu sein, egal was passiert.

      „Sie ist alles was wir haben, Frank. Sie ist alles was unser Leben ausmacht. Sie ist alles was ich Liebe. Versprich mir, dass du gut auf sie Acht gibst, ich kann es nicht mehr.“

      Mein Vater strich ihr wortlos über die Haare. In dieser Nacht starb meine Mutter. Fünf Tage vor meinem vierzehnten Geburtstag. Sie war 39 Jahre alt, nur wenige Jahre älter als ich jetzt. Sie war die schönste Frau die ich in meinem Leben je gesehen habe. Ich weiß heute, dass mein Vater sich bemühte mir ein guter Elternteil zu sein, aber ich wollte es nicht zulassen. Ich habe einfach alles getan um ihn zu verletzten, nur um mir selbst Schmerzen zu ersparen. Zumindest dachte ich das damals, aber in Wirklichkeit wurde mein Schmerz immer schlimmer. Unsere Vater – Tochterbeziehung ist nach wie vor verkorkst, ich finde einfach nicht den richtigen Draht zu ihm. Ich habe das Gefühl ihn immer wieder zu enttäuschen, daher habe ich es aufgegeben ihn beeindrucken zu wollen und lebe mein Leben so gut es mir gelingt. Ich denke nicht gerne an die Zeit nach dem Tod meiner Mutter zurück, sie fehlte mir in jeder Hinsicht. Niemand war mehr da mit dem ich reden konnte. Niemand der mich verstand. Niemand der mich nahm so wie ich war. Sie fehlt mir heute noch. Doch dann war da eines Tages Ben. Er war in der Klasse von Matt und drei Jahre älter als ich. Da ich erst knapp fünfzehn war machte der Altersunterschied viel aus, aber mir war das egal. Er faszinierte mich einfach, alles was er tat und sagte war für mich richtig. Er war nicht regelkonform, er machte was er wollte, kam und ging wann es ihm passte. Das war zu der Zeit für mich einfach unglaublich anziehend, zu tun was nicht erlaubt ist und sich wo es geht zu widerstreben. Ben war meine erste große Liebe und es war nicht schwer ihn zu lieben, auch wenn er ein Draufgänger war. Er war unglaublich intelligent und einfühlsam, auch wer er nach Außen auf cool machte. Zu mir war er immer liebevoll und für mich da, er nahm mich so wie ich war und ich tat dasselbe für ihn. Auch wenn es weder meinen noch Matts Eltern passte, wir waren eine eingeschweißte Clique und verbrachten eigentlich die ganze Zeit miteinander. Wenn ich heute darüber nachdenke, muss diese Zeit für Dad die Hölle gewesen sein, aber damals wollte ich genau das. Ich wollte dass er leidet, so wie ich gelitten habe. Ich habe mit fünfzehn bereits eine stattliche Anzahl an Drogen konsumiert und entging zweimal knapp einer Alkoholvergiftung. Nichts habe ich ausgelassen und Ben war das perfekte Gegenstück für mich in dieser Zeit. Es grenzt an ein Wunder das ich heute ein normales Leben führe, zumindest nach außen hin, in meinem Inneren kämpfe ich immer noch mit mir. Ich habe vieles erlebt und durchgemacht wofür ich mich heute noch mehr schäme als damals, ich weiß nicht ob ich jemals wirklich damit leben kann ohne täglich darüber nachzudenken. Lizzy ging zu der Zeit bereits aufs Internat, ihre Eltern empfanden es wäre das Beste für sie und wahrscheinlich war es das auch, obwohl sie sowieso immer das brave, vernünftige Mädchen war. Ich bin damals ständig abgehauen, traf mich mit Ben, ging nicht zur Schule, machte nur was ich wollte. Vermutlich wäre ich mit Ben durchgebrannt, doch unser Leben sollte sich nicht so vorhersehbar entwickeln, weder meines, noch seines. Es war der 4. Juli, danach war nichts mehr so wie zuvor. Wir trafen uns an einem kleinen See um am Lagerfeuer zu feiern und die Feuerwerke zu sehen. Ben war schon einige Wochen lang total verändert. Apathisch, fahrig und unberechenbar, wir hatten uns oft in den Haaren und ich verstand damals nicht warum er sich so verändert hatte. Ich wünschte mir er wäre wie immer. Ich vermisste seine Nähe, aber er wandte sich immer mehr von mir ab. Heute kenne ich den Grund dafür, aber damals konnte ich nicht verstehen was in ihm vorging. Es war eine klare Vollmondnacht. Matt und ich fuhren gemeinsam zum See, natürlich hab ich mich von zu Hause weggeschlichen, was an diesem Abend ganz einfach war, da Dad Nachtdienst im Krankenhaus hatte. Wir saßen einige Stunden zusammen und es war eine feuchtfröhliche Party, samt allerlei verbotenem Zeugs. Auch wenn wir viele Regeln brachen, Matt passte immer auf mich auf wie ein großer Bruder. Das führte oft zu wilden Streitigkeiten zwischen ihm und seiner damaligen Freundin Nicky. Als wir da so saßen fiel mir plötzlich auf das Ben und Nicky nicht mehr bei uns waren. Ich spürte sofort dass etwas nicht stimmte. Ich suchte Ben und ich fand ihn auch. Gemeinsam mit Nicky in der Hütte am See in einer eindeutigen Situation. Für mich brach in diesem Moment eine Welt zusammen. Ben war alles für mich, es brach mir das Herz. Ich wollte einfach nur weg, ich fühlte mich so betrogen, so benutzt und weggeschmissen. Niemals hätte ich gedacht dass er mir so etwas antun würde, ich hätte alles für ihn getan. Es gab einen riesen Auflauf und eine wilde Streiterei, bevor Matt und ich kurz nach Mitternacht mit dem Auto vom See wegfuhren. Er hätte auf keinen Fall mehr fahren dürfen, aber ich war einfach nur froh, dass er mich von dort weg brachte. Das ist die ganze Erinnerung, die ich an diesen Abend noch habe. Am nächsten Tag erwachte ich im Krankenhaus mit einer Lungenquetschung, vier gebrochenen Rippen und einem offenen Schienbeinbruch am rechten Bein. Wir hatten einen schlimmen Unfall auf der Heimfahrt. Matt kam mit einem leichten Schädelhirntrauma davon und konnte das Krankenhaus noch am selben Tag verlassen, aber mich hat es wirklich schlimm erwischt. Ich hatte großes Glück am Leben zu sein. Den darauf folgenden Wirbel kann man sich vorstellen. Für mich lief alles um mich herum ab wie ein Film. Es war nur den Interventionen und Kontakten von Matts und meinem Vater zu verdanken, dass dieser Unfall ohne weitere großartige und strafrechtliche Folgen für uns blieb. Die einzige Bedingung war, dass ich ab dem nächsten Schuljahr ein Internat besuchen musste und dieses sollte weit weg von meinem zu Hause sein, Matt hatte bereits einen Studienplatz in London. Doch der schlimmste Schlag sollte mich erst einige Stunden später treffen. Als Matt mich im Krankenhaus besuchte, frage ich ihn warum Ben sich nicht bei mir meldet und warum er mich nicht besuchen kommt. Ich konnte einfach nicht verstehen, dass ich ihm von einer auf die andere Minute so egal sein konnte. Auch wenn ich so wütend war über das was er tat, ich hätte ihm vermutlich verziehen. Matt schaute mich nur an und sagte kein Wort. So habe ich ihn vorher noch nie erlebt und seither auch nie wieder. Ich werde nie seinen Blick vergessen und ich werde nie das Gefühl in meinem Herzen an diesem Tag vergessen. Ich wusste sofort dass etwas nicht stimmt, es war der Klang seiner Stimme.

      „Luisa…Du musst jetzt stark sein... Ben ist heute Morgen in der Hütte am See gefunden worden.“ Matt stockt, seine Stimme klingt wie abgeschnürt, er kann kaum sprechen. „Er ist vermutlich an einer Überdosis gestorben. Er hat sich scheinbar schon länger Heroin gespritzt.“

      Wäre mein mit Schrauben durchbohrtes Bein nicht gewesen, wäre ich diesem Moment vermutlich davon gelaufen. Ich konnte vor lauter Schmerz noch nicht einmal weinen, ich fühlte mich als wäre mein ganzer Körper leer. Ich machte mir solche Vorwürfe. Warum hat er das getan? Ich hätte es verhindern können, ich hätte nicht wegfahren dürfen, vielleicht wäre er jetzt noch am Leben. Es gab nur eine Person die ich noch mehr hasste als mich selbst, Nicky. Der Gedanke an sie lässt noch heute das Blut in meinen

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