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40 Wochen 52 Wochen schwanger sind. Beides ist unmöglich.«

      »Und doch ist es so.« Sandra blieb bei ihrer Ausführung.

      »Hatten Sie nach dem tragischen Tod Ihres Mannes Ihre Tage?«

      »Ich weiß es nicht, Dr. Sisley. Die Zeit, die Monate danach waren derart dramatisch. Ich kann es Ihnen nicht sagen.« Die Anspannung in Sandra wuchs. Von daher beruhigte Dr. Sisley ihre Patientin.

      »Also, Sandra, ich glaube Ihnen. Somit haben wir es mit einer äußerst sonderbaren Schwangerschaft zu tun bei einer außergewöhnlichen Frau.« Sie lächelte Sandra an und beließ es vorerst dabei. Die Tatsache, dass dieses Kind unmöglich von Sandras verstorbenem Mann sein konnte, war ja auch im Grunde genommen die ganz persönliche Privatangelegenheit ihrer Patientin.

      »Danke, Dr. Sisley. Mir ist nur wichtig, dass mein Junge gesund zur Welt kommt.« Sandra lächelte etwas gehemmt.

      »Machen Sie sich hierüber keine Sorgen. Ich werde bei der Geburt dabei sein. Das lasse ich mir mit Gewissheit nicht entgehen.«

       Kapitel 15: Tafaris Reise

       Tamiga, Westafrika, 2016

      Akono kickte kleine Steine auf dem ausgetrockneten Weg vor sich her. Wie immer begleiteten ihn seine Freunde Bahati und Orma von der Schule nach Hause. Das durch europäische Unterstützung aus Lehmziegeln erbaute Schulhaus wurde 1993 mit einer großen Feier der knapp tausend Dorfbewohner eingeweiht. Akono war elf, Bahati ebenfalls, Orma bereits zwölf Jahre alt. Sie kannten es nicht anders, als jeden Morgen, außer sonntags, zum Unterricht zu gehen. Schreiben, Lesen, Rechnen, die englische Sprache sowie Landwirtschaft und Ackerbau zählten zu ihren Fächern, während sie die Freizeit am liebsten mit ihrem Sport, dem Fußballspielen, verbrachten.

      Als Akono in die Nähe der strohgedeckten Lehmhütte seiner Eltern kam, verabschiedete er sich von den Freunden. Die etwas abseits gelegene Hütte des Kraals lag unweit der rund angeordneten Zentrumshütten des Dorfes. »Wir sehen uns. Ich bring meinen Ball mit. Wird aber später, weil ich Vater noch helfen muss.«

      Die restliche Wegstrecke rannte Akono barfuß, ohne die Unebenheiten des Weges – dank der Hornhaut an den Füßen – zu spüren. Freudig stürmte er durch die halbrunde Öffnung der Behausung ins Innere. Der unbändige Hunger eines Elfjährigen musste gestillt werden, bevor man sich eiligst der Ausbesserung des Ziegenzaunes widmen konnte.

      In der Lehmhütte war es düster, da einzig durch die Eingangsöffnung sowie eine weitere, rechteckige Fensteraussparung Licht in den Raum drang. Zu seiner Verwunderung lag die Mutter auf der Liege, während sein Vater kniend ihre Stirn mit einem Lappen befeuchtete.

      »Ist Oluchi« – so hieß seine Mutter – »krank?«

      »Ihr geht es nicht gut, Akono. Schon seit mehreren Stunden. Sie hat Fieber.«

      »Was ist mit dem Zaun?«

      »Der muss warten, Akono. Lauf hinüber zur Krankenstation und frag Tafari, ob er kommen kann.«

      Die Krankenstation, vor drei Jahren von der UNESCO errichtet, bestand aus einer rechteckigen Lehmhütte, einem Zelt mit sechs Liegen sowie dem einheimischen Tafari, der aufgrund seiner rudimentären Grundkenntnisse der englischen Sprache durch Mitarbeiter der Organisation »Ärzte ohne Grenzen« in die medizinische Grundversorgung eingewiesen worden war. Daneben verfügte die Station über ein Auto, was im Dorf zu einer Besonderheit zählte.

      Sofort lief Akono los, als er begriff, dass seine Mutter ihn weder angesehen noch begrüßt hatte. Sie lag nur da, schwer atmend, mit geschlossenen Augen. Wenige Minuten später stürmte er in das Zelt der Station. »Tafari, du musst dringend kommen! Oluchi ist krank. Sie hat nicht mal gelächelt, als ich in die Hütte kam.«

      Tafari verband gerade einem Dorfbewohner die Hand. »Was hat sie, Akono?«

      »Weiß nicht, aber Vater sagt, sie habe hohes Fieber. Komm mit!«

      Unter Zuhilfenahme von braunem Klebeband fixierte Tafari den Verband des Verletzten, klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter und verließ das Zelt. »Warte noch, ich hole meine Tasche.«

      Wenig später, bei Akonos Eltern angekommen, maß Tafari das Fieber von Oluchi sowie deren Blutdruck. Für mehr reichte seine Grundausbildung nicht. So konnte er nur mutmaßen, was der Auslöser der hohen Körpertemperatur war. »Wie lange hat Oluchi bereits so hohes Fieber?«

      »Heute Morgen, als wir aufgestanden sind, ging es ihr gut. Sie klagte über Kopfschmerzen, aber es ging ihr gut«, meinte Thabo, Akonos Vater.

      »Und wann kam das Fieber?«

      »Das kann ich dir genau sagen: kurz nachdem Akono zur Schule ging, also um sieben Uhr. Ich war am Zaun der Ziegen beschäftigt. Sie rief nach mir – da sah ich ihre glänzenden Augen. Seitdem ist sie immer schwächer geworden und jetzt …« Thabo sah besorgt zu seiner Frau.

      »Ich kann dir vorschlagen, sie mit nach Burkina Faso in das dortige Krankenhaus zu nehmen. Da fahre ich später hin.«

      »Ist es schon so weit? Fliegst du?«

      »Ja, morgen Früh geht’s los.« Tafari blickte voller Stolz, da er als erster Bewohner seines Dorfes in ein fremdes Land außerhalb Afrikas kam: Amerika. Er folgte einer Einladung von »Ärzte ohne Grenzen«, die für den Flug wie auch für einen einwöchigen Aufenthalt aufkamen. Seine Aufgabe bestand darin, der großen Stadt zu berichten, was sich im Dorf seit der Unterstützung durch das Ausland alles geändert hatte. Vom Bau des Brunnens, dem Schulsystem, der neu geregelten Landwirtschaft, die es ermöglichte, dass das Dorf zum Selbstversorger wurde. Und natürlich von seiner Krankenstation.

      Thabo blickte zu Akono. »Kommst du alleine klar? Ich würde gerne mitfahren, um auf Oluchi aufzupassen. Morgen Abend bin ich zurück, wenn ich jemanden finde, der mich fährt.«

      Akono nickte erleichtert, dass sich sein Vater entschlossen hatte, bei der Mutter zu bleiben. Die Dorfbewohner würden sich um ihn kümmern, so war es üblich. Eigentlich wurden die Kinder nicht nur von ihren Eltern erzogen, sondern von der gesamten Dorfgemeinschaft.

      Tafari stand auf und warf einen letzten Blick auf Oluchi. Er selbst könnte ihr lediglich fiebersenkende Mittel geben, aber Oluchi schien sehr geschwächt. Und das nach so kurzer Zeit?

      Auf der knapp zweistündigen Fahrt ins Hospital begegneten ihnen keine weiteren Autos. Ab und an kreuzte ein Eselskarren den Weg. Ansonsten weit und breit entlang der Strecke Buschland, unterbrochen von vereinzelt stehenden Lehmhütten und Kornspeichern. Oluchi lag fiebernd auf der Rücksitzbank des Wagens, während draußen eine flirrende Hitze von 45 Grad Celsius herrschte.

      Kurz bevor sie in Burkina Faso ankamen, kontrollierte sie eine schwer bewaffnete Sondereinheit der Polizei. Tafari streckte eine in Plastik eingeschweißte Karte durchs Fenster, die ihn als Mediziner auswies, und wechselte einige Worte. Man winkte ihn durch und wenig später erreichten sie Léo, einen staubigen Marktflecken Burkina Fasos. Die sandige Straße war gesäumt von Müll sowie zerschlissenen schwarzen Plastiksäcken, deren Gestank nach verfaultem Obst und Tierkadavern ins Wageninnere drang.

      Vor der Klinik, einem für diese Gegend beispiellosen Gebäudekomplex, machten sie halt. Das Gebäude, ein sandsteinfarbiger, zweiflügeliger Bau, zierten bunte Glasfenster und es verfügte neben Räumen für Ärzte und Klinikpersonal über zehn Betten und eine separate Isolierstation.

      Thabo trug seine Frau durch die Flügeltüren in die Eingangshalle. Oluchi, außerstande sich zu bewegen, bekam nur schemenhaft mit, was um sie herum geschah. So schlecht war es ihr in ihrem ganzen Leben noch nie gegangen. Schmerzen peinigten sie, die sie trotz ihres einsetzenden Fieberwahns spürte.

      Eine farbige Schwester mit rundem Gesicht und breiter Nase rollte ihnen eine Trage entgegen. Während Thabo an der Information die Personalien seiner Frau diktierte, folgte Tafari der Patientin, die von der Krankenpflegerin in einen Nebenraum geschoben wurde. Dort saß ein etwa fünfzigjähriger Arzt mit weißem Kittel, ein Stethoskop um den Hals.

      »Seit

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