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haben.«

      »Was ist mit ihm?«, wurde Sandra lauter.

      »Beruhigen Sie sich, Sandra. Sie werden den Kleinen gleich in den Armen halten. Nur noch ein wenig Geduld.« Dr. Sisley griff zu einem großen weißen Tuch aus Leinen und wickelte den Säugling darin ein. Dann reichte sie das Paket der Hebamme, die in den rückwärtigen Teil des Entbindungszimmers verschwand.

      Sandra streckte ihren Kopf nach hinten, doch die Hebamme glitt aus ihrem Sichtfeld. »Was ist mit meinem Kind?«, schrie die junge Mutter jetzt hysterisch. »Was machen Sie mit ihm?«

      Ihre Schwägerin Janette, die ebenfalls zur Geburt im Zimmer war, fasste beruhigend Sandras Hand. »Mach dir keine Sorgen, Liebes, es wird alles gut.«

      Sandra erkannte an Janettes Gesichtsausdruck, dass es sich hier nur um eine Besänftigung handeln konnte. »Wo ist mein Baby?«, kreischte sie, während Tränen in ihre Augen schossen. Sie drehte sich von einer Seite zur anderen in der Hoffnung, irgendetwas erhaschen zu können.

      »Bleiben Sie ruhig, Sandra. Wir machen den APGAR-Test und schon haben Sie Ihren Sohn bei sich«, beschwichtigte Dr. Sisley erneut.

      »Was für einen Scheißtest?«, schrie Sandra.

      »Das haben wir doch besprochen. Das ist die Erstuntersuchung der Atmung, der Herzfrequenz, der Muskelbewegung sowie der Reflexe. Erinnern Sie sich?«

      Der natürliche Instinkt der Mutter sagte Sandra, dass überhaupt nichts in Ordnung war. Wild entschlossen stützte sie sich im Entbindungsbett auf ihre Unterarme.

      »Halten Sie sie«, wies Dr. Sisley, die eine Spritze in der Hand hielt, Janette an. »Ich gebe Ihnen ein Beruhigungsmittel, Sandra. Das wird Ihnen guttun.«

      Kreischend wand sich Sandra unter den Händen ihrer Schwägerin, als Dr. Sisley die Spritze in die Vene setzte. »Ich will nicht … Ich will meinen Sohn!«, brüllte Sandra, als die Wirkung des Medikaments sekundenschnell einsetzte. Die Geräusche um Sandra herum wurden gedämpft, die Personen schienen wie in Zeitlupe zu agieren. »Was, was ist mit meinem Baby?«, hauchte sie. Ihre Lider wurden tonnenschwer und schlossen sich.

      Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie erwachte. Wie in Watte gebettet, erkannte Sandra, dass sie noch immer auf dem Bett des Entbindungszimmers lag. Ihre Schwägerin saß neben ihr und hielt ihre Hand.

      »Janette, was ist …«

      »Ganz ruhig, du hast nur ein wenig geschlafen.«

      Eine kurze Pause folgte, die Sandra wie eine Ewigkeit vorkam.

      »Dr. Sisley, sie ist jetzt wach«, meinte Janette.

      Von hinten trat die Ärztin ans Bett. »Sandra, schön, dass Sie sich beruhigt haben. Ihr Sohn ist kerngesund. Allerdings werden Sie sich ein wenig an seine Hautfarbe gewöhnen müssen.« Dr. Sisley lächelte zaghaft.

      »Sie meinen, er ist nicht …«

      »Nein, ist er nicht. Sehen Sie.«

      Neben der Frauenärztin erschien die Hebamme mit dem in weißes Tuch gehüllten Neugeborenen. Behutsam hob Sandra den Blick und sah auf das Bündel, welches in der rechten Armbeuge der Schwester lag. Sie betrachtete das Gesicht ihres scheinbar schlafenden Sohnes, der wie in eine Mönchskutte eingehüllt war. Der Teint des Säuglings unterschied sich nur geringfügig vom bleichen Leinentuch. Helle, zartrosa Bäckchen, eine blasse Stirn, in die einige Haarsträhnen hellblonden, fast schlohweißen Haares fielen. Auch die vollen Lippen des milden Mundes gingen in die wolkenfarbige Haut über. Plötzlich zitterten die Lider, dann hoben sie sich vorsichtig, bis die Augen vollständig geöffnet waren. Hellblau und mit Rot durchzogen fixierten sie geradewegs Sandras wässrigen Blick. Während sich die Iris seiner Augen zusammenzog, strahlten die sonst schwarz erscheinenden Pupillen in leuchtendem Rot. Die Befürchtung, dass Sandra beim Anblick ihres Sohnes erschrecken könnte, erwies sich als unbegründet. Jener Blick, der in die Tiefe der Mutter drang, ein Gefühl von unermesslicher Wärme und Güte vermittelte, ließ sie unversehens lächeln. »Wie schön er ist«, sagte sie warmherzig und die bedingungslose Liebe der Mutter schwang in ihren Worten mit. Sandra streckte die Hand aus.

      »Entzückend stämmig«, lächelte Janette.

      »Wie soll er denn heißen?«, fragte Dr. Sisley.

      »So wie sein Vater – Chris.«

      Sandra blickte erschöpft zur Seite und spürte die freudige Anspannung, als die Hebamme ihr den 3.470 Gramm schweren Jungen auf den Bauch legte. »Gibt es irgendwelche gesundheitlichen …« Sandra hob fragend den Kopf, während die Hände zärtlich auf dem Säugling ruhten.

      »Nein, keine. Wir sprechen hier von menschlichem Albinismus. Er ist etwas ganz Besonderes!«

      Freudentränen liefen über Sandras Wangen.

      »Wir werden Sie anschließend aufs Zimmer bringen. Dann haben Sie Zeit, zu schlafen. Es wird Ihnen guttun.«

      »Und mein Sohn?«

      »Keine Angst. Er ist bestens versorgt. Sobald Sie aufgewacht sind, wird er Ihnen gebracht.«

      »Wenn du wach bist, werden auch wir da sein«, versicherte Janette ihrer Schwägerin. »Ich fahre jetzt gleich zu Marc und wir werden alle informieren, dass das neue Familienmitglied auf der Welt ist.« Janette streichelte Sandra über die verschwitzte Stirn.

      Während seine Mutter in ihrem Zimmer schlief, lag Chris in einem der gläsernen Bettchen der Babystation. Aufmerksam wanderten seine roten Augen von einer Seite zur anderen. Intensiv betrachtete er die Säuglinge, welche neben ihm in ihren durchsichtigen Säuglingsbetten lagen.

       Kapitel 17: Zwischenlandung Brüssel

       Brüssel, 2016

      Mit einem heftigen Ruck, der durch die ganze Maschine ging, setzte die Boeing 767-300 auf der Landebahn des Flughafens Brüssel-Zaventem, zwölf Kilometer vom Zentrum Brüssels entfernt, auf. Die Passagiere wurden gebeten, sitzen zu bleiben, bis das Flugzeug die endgültige Parkposition eingenommen hatte. Anschließend drängten 147 Fluggäste durch den engen Kabinengang nach draußen.

      Als Tafari die Ankunftshalle musterte, überlegte er, den Aufenthalt zu nutzen, um Brüssel zu erkunden. Es war kurz vor halb drei Uhr nachmittags und so blieben ihm hierfür gute vier Stunden, bis er wieder am Flughafen sein musste und die Maschine um 19:30 Uhr zum Weiterflug Richtung New York abheben würde.

      Tafari staunte über die Größe des Flughafengebäudes, welches in mehrere Stockwerke unterteilt war. Er befand sich im Ankunftsbereich des unteren Geschosses. Farbige Hinweistafeln markierten den Weg, um den Bahnhof, die Taxistände oder Bushaltestellen zu finden. Mittels einer Rolltreppe gelangte er in den oberen Flughafenkomplex, der neben Läden und Boutiquen auch Schnellrestaurants sowie Cafés beherbergte. Für Tafari war dies Stadt genug und er beschloss, die Wartezeit hier zu verbringen.

      Staunend schlenderte er von Schaufenster zu Schaufenster, überwältigt von der Fülle an ausgelegten Waren wie Kleidung, Bücher, Schuhe etc. Noch mehr faszinierten ihn die Preise der angebotenen Artikel und er grübelte, wie viel die westliche Welt wohl verdienen mochte, um sich Derartiges leisten zu können. Tausende Personen um ihn herum bewegten sich wie Ameisen im Fluss hektischen Treibens.

      Sein Blick fiel auf eines der großen englischsprachigen Werbeplakate. Eine wunderschöne Frau strahlte neben der Werbebotschaft, dass sie gesund abgenommen habe – dank des Produktes, welches sie lächelnd in Händen hielt. Belustigt schüttelte Tafari den Kopf, während er darüber sann, mit welchen Themen die Menschheit in diesem Land konfrontiert war. Er nahm sich fest vor, dies in den Vortrag für New York einfließen zu lassen. In seinem Dorf würde keiner, nicht einmal der Ältestenrat, auf diese Idee kommen – nein, man wusste überhaupt nicht, dass es Diätprodukte gab. Die zentrale Aufgabe der Dorfgemeinschaft bestand darin, Wasser zur Verfügung zu stellen, um nicht zu verdursten, beziehungsweise die Felder für das Wachsen des Korns zu versorgen. Das machte die Gemeinde reich – und glücklich.

      Durch

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