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Geist wieder ins Hier und Jetzt. Als er erneut ein Werbeschild sah, hatte er endlich etwas vor Augen, das ihn an Burkina Faso erinnerte: McDonald’s! Zufrieden, dieses Lokal zu kennen, ging er hinein, bestellte zwei Hamburger, Pommes und Cola. Gesättigt, ausgestattet mit einem Stapel Servietten, die er heimlich in der Jackentasche verschwinden ließ, wagte er sich wieder in das Getümmel der vielen Reisenden.

      Nach wie vor zwickte es in seiner Nase und es ärgerte ihn, dass er tatsächlich einen Schnupfen bekam. Immer wieder unterdrückte er den aufkeimenden Niesreiz, schniefte in die Papierservietten, bis er schließlich in einer Drogerie drei Packungen Papiertaschentücher kaufte, welche vorerst reichen sollten.

      Eines der Päckchen war aufgebraucht, als er zwei Stunden später an Gate 2 anstand, um in seine Maschine zu kommen. Kurzer Check des Flugtickets und schon lief er über die Gangway der mobilen Fluggastbrücke zur Einstiegsluke der Boeing. Dann saß er aufs Neue neben dem Bullauge seines Platzes – gespannt auf den Weiterflug Richtung New York. Dieses Mal war die Maschine bis auf den letzten Sitzplatz gefüllt.

       Kapitel 18: Zu Hause

       Washington, D. C.,12. Juli 2016

      Marc holte seine Schwägerin aus der Klinik ab. Vorsichtig platzierten sie zu zweit den Säugling in den dafür vorgesehenen Kindersitz, der auf dem ledernen Beifahrerplatz verankert war.

      »Ich würde gern vorne bei Chris sitzen«, schmollte Sandra, als sie hinten im Wagen einstieg.

      »Dann musst du fahren oder eben so lange durchhalten, bis wir zu Hause sind.«

      Zwischen Fahrer- und Beifahrersitz vorgebeugt, betrachtete Sandra ihren Sohn, der mit dem Gesicht gegen die Fahrtrichtung ihr zugewandt saß. »Schau mal, er lächelt mich an«, freute sich Sandra und blickte in die wachen, roten Augen des Babys.

      »Er wird froh sein, so eine tolle Mutter zu haben. Zweifellos überlegt er gerade, wie er dich die nächsten Monate drangsalieren kann.« Marc lachte.

      »Ach du, er ist bestimmt auf sein Schwesterchen gespannt und wie sein Zimmer aussieht«, orakelte Sandra.

      »Klar doch – und wie die Redskins dieses Jahr den Super Bowl gewinnen«, ergänzte Marc.

      Als sie die Auffahrt zu Sandras Villa hochfuhren, sah sie schon von Weitem das Transparent, welches über der Eingangstür gespannt hing: »WELCOME HOME, CHRIS«

      »Ihr seid ja süß«, gluckste Sandra.

      »Sie kommen«, rief Fredrik, nahm Olivia, die Meira trug, bei der Hand und folgte den anderen – Rachel, Elias im Rollstuhl, Janette und Lea – nach draußen.

      »Hey, das volle Empfangskomitee«, staunte Sandra, als sie das neue Familienmitglied vom Sicherheitsgurt erlöste. »Schau mal, Chris, da wohnen wir und das hier ist deine buckelige Verwandtschaft«, scherzte sie.

      »Ich werde dir was geben, von wegen buckelig«, erwiderte Rachel, um sich dann im Flüsterton an ihren Enkel zu wenden: »Ich habe schon den Willkommenskuchen vorbereitet.«

      Chris blickte mit dicken Backen und weißblondem Haarflaum aufgeregt von einer Seite zur anderen, während Sandra ihn im Arm hielt. »Ich weiß gar nicht, was ich zuerst machen soll«, meinte diese. »Ist ungewohnt, jetzt mit zwei Kleinen.«

      »Dann gehen wir als Erstes nach drinnen und legen ihn hin. Ich habe schon das Bettchen an den Esstisch gefahren, dann kann er uns beim Kaffeetrinken zusehen.« Olivia schien überglücklich. Jetzt war sie bereits zum dritten Mal Oma geworden, auch wenn sie sich längst nicht so alt fühlte.

      Die Tatsache, dass Chris als Albino äußerlich vom Standard abwich, löste bei niemandem der Familie Unbehagen aus. Ganz im Gegenteil: Er war der Sohn seines verstorbenen Vaters und somit von Haus aus etwas ganz Besonderes.

       Kapitel 19: Das Virus

       Léo, Burkina Faso, 2016

      Dr. Jamal Guambo war seit fast dreißig Jahren Arzt und hatte als junger Mann in Frankreich an der Universität Joseph Fourier Grenoble Medizin studiert. 2011 wechselte er als leitender Chefarzt in die Klinik nach Léo. Seine Domäne waren Viruserkrankungen und so wurde er 2014 zu einem Spezialteam hinzugezogen im Versuch, die damals drohende Ebola-Pandemie in Afrika einzudämmen. Innerhalb nur eines Jahres erkrankten mehr als 28.000 Menschen, über 11.000 starben. Der sogenannte Indexfall, also der Beginn der Epidemie, wurde im Südosten Guineas 2013 bekannt gegeben. In den darauffolgenden Monaten breitete sich das Virus auf die benachbarten Länder Sierra Leone, Liberia, Nigeria, Mali sowie den Senegal aus, bis er letztendlich Ende September 2014 in den USA nachgewiesen wurde. Spanien wie auch England folgten. Nur durch den Einsatz von Spezialteams unter Leitung der Weltgesundheitsorganisation WHO konnte eine Pandemie Ende 2014 verhindert werden. Oftmals wäre die in der Fachsprache Dissemination genannte Verbreitung nicht in so rasantem Tempo vorangeschritten, hätten sich Angehörige der Ebola-Erkrankten korrekt verhalten. Auch heute noch war das Verständnis, Leichen seuchengerecht zu entsorgen, nicht in die Köpfe der Bevölkerung gedrungen.

      Es war bereits spät am Abend – Dr. Guambo hatte seit zwanzig Stunden keinen Schlaf mehr gefunden. Nachdem er die Hände gewaschen hatte, klatschte er sich kühles Wasser ins Gesicht und betrachtete die müde glänzenden Augen im Spiegel. Er würde nochmals nach der neuen Patientin sehen, um dann für ein paar Stunden zu schlafen.

      Oluchi lag reglos im Krankenbett. Die Flüssigkeit des Infusionsbeutels tropfte in gleichmäßigem Takt durch die Kanüle. Dr. Guambo fühlte mit der Hand ihre Temperatur. Unnötig, ein Thermometer zu verwenden. Auch ohne erkannte er, dass sie noch immer heiß war. Im Krankenblatt las er 39,8 Grad Celsius, den Wert der letzten Messung. Zudem war der Blutdruck erhöht, was ihrer Körpertemperatur geschuldet sein konnte. Erst einmal schien sie versorgt. Näheres würde zuverlässig ihr Blutbild ergeben, dem er sich noch heute Nacht widmen wollte. So verließ er die Krankenstation, um sich wenig später auf dem Sofa des Arbeitszimmers, welches schon viele Nächte als Nachtlager gedient hatte, auszuruhen.

      Verstört drehte er sich zur Seite, als die Krankenschwester aufgeregt an seiner Schulter rüttelte. »Dr. Guambo, wachen Sie auf. Dr. Guambo!«

      »Was ist? Wie spät ist es?«

      »Kurz nach 23:00 Uhr. Kommen Sie, schnell!«

      Die Schwester eilte voraus, während Dr. Guambo an ihren Fersen hing. Als er Oluchi sah, lief es ihm eiskalt über den Rücken. »Wir müssen sofort isolieren. Sperren Sie den gesamten Trakt ab. Keiner darf mehr hinein oder hinaus.«

      Er löste die Bremsen des Bettes und schob Oluchi mit dem Infusionsständer aus dem Krankenzimmer durch den schmalen Gang zur Isolierstation. Diese bestand aus einer zweigeteilten Schleuse, deren Ende in vier voneinander getrennte, fensterlose Zimmer mündete. Das filtergesteuerte Belüftungssystem versorgte die Räume mit dem unverzichtbaren Sauerstoff und ließ keine ungefilterte Luft nach außen dringen.

      Sobald das Bett von Oluchi fixiert war, trat er aus dem Isolierraum und traf weitere Sicherheitsvorkehrungen. Zuallererst erhielt die Schwester notwendige Anweisungen, die Krankenstation zu isolieren sowie die Desinfektion aller Räume einzuleiten. Ferner musste er Meldung an das Zentralbüro für Viruserkrankungen machen. Er besaß genügend Erfahrung, um nervös zu erahnen, was ihn nun erwartete. Am Blick der Schwester erkannte er deren Angst und so versuchte Dr. Guambo ein sicheres »Ich habe alles im Griff«-Auftreten zu vermitteln.

      Im Anschluss betrat er die Schleuse der Isolierstation, zog sich einen der weißen Schutzanzüge an, stülpte die Atemschutzmaske über und schlüpfte in spezielle undurchlässige Handschuhe. Schweiß rann ihm an den Augenbrauen entlang, als er abermals vor Oluchi stand. Aus Augen, Nase und Mund sickerte Blut und hatte bereits das dünne Kopfkissen rot gefärbt. Jetzt zitterte ihr ganzer Körper. Er musste verhindern, dass sie wegen des Flüssigkeitsverlustes unter Schock geriet und Blut durch die Atemwege in die Lunge gelangte. Vorsichtig hob er die befleckte Decke in die Höhe und seine Vorahnung wurde zur Gewissheit – Blut im gesamten

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