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Morgen.«

      »Hast du ihr etwas dagegen gegeben?«

      »Nein, wir sind direkt aus Tamiga hierhergefahren.«

      Der Arzt nickte, während er die Entnahme von Blutproben vorbereitete. Dann wies er die Schwester an, der Infusion ein fiebersenkendes Mittel beizumischen. »Wir werden die Blutwerte testen und sie hierbehalten.«

      Inzwischen war Thabo hinzugekommen; er verfolgte die Unterhaltung des Mediziners mit Tafari und beobachtete die Schwester beim Anlegen der Kanülen. Oluchi lag indes noch immer mit geschlossenen Augen auf der Krankenliege. Fein säuberlich verwahrte der Arzt die sechs mit Oluchis dunkelrotem Blut gefüllten Reagenzgläser und versah sie mit Aufklebern, die diese eindeutig identifizierten.

      »Morgen wissen wir mehr. Bleibst du in der Stadt?«, fragte der Doktor.

      »Ich fliege morgen und werde die Nacht wohl am Flughafen in Ouagadougou verbringen.« Tafari platzte fast vor Stolz.

      »Könnte ich bei ihr bleiben?«, fragte Thabo sorgenvoll dazwischen.

      »Sie können gerne die Nacht hier verbringen. Die Schwester wird Ihnen zeigen, wo Sie schlafen können und etwas zu trinken bekommen. Morgen wissen wir mehr.«

      Es war kurz vor 06:00 Uhr, als sich die Sonne über das Flughafengelände erhob. Trotz der Aufregung gelang es Tafari, in der Wartehalle ein wenig zu schlafen. Sein Gepäck, ein hellbrauner, in Kunstleder gefasster Koffer, hatte er bereits am Abend eingecheckt. So musste er nur noch zu Gate 9, um die Maschine zu erreichen.

      Punkt 07:15 Uhr spürte er, wie sein Körper in den Sitz der United Airline gepresst wurde. Über 10.000 Kilometer Flugstrecke lagen vor ihm. Im Direktflug wären es knapp 9.500 gewesen, doch für seinen Flug war eine Zwischenlandung in Brüssel (Ankunftszeit 14:17 Uhr Ortszeit) eingeplant. Dummerweise hatte er dort fünf Stunden Aufenthalt, sodass die Ankunft in New York für 22:25 Uhr angekündigt war. Danach flog die Maschine mit den restlichen Fluggästen weiter zum endgültigen Ziel: Miami.

      Die Boeing 767-300 fasste knapp 200 Sitzplätze, wovon einige im hinteren Bereich unbesetzt blieben. Neben Tafari saß eine ältere Dame mit hellem, violett gefärbtem Haar, welches trotz Dauerwelle einen dünnen, eingefallenen Eindruck machte. Eigentlich müsste sie bereits ergraut sein, dachte Tafari, als er sie unbemerkt von der Seite anblinzelte. Sie trug eine braune Safarihose, weiße Bluse, Sportschuhe. Ihr Gesicht war stark geschminkt, wie Tafari befand, was vorrangig an dem dick aufgetragenen roten Lippenstift sowie den mit grüner Farbe bemalten Augenlidern lag. Sowohl ihre Hände als auch das Gesicht waren faltig; braune Altersflecke zierten die Handrücken. Es störte Tafari nicht, dass die Dame geringes Interesse an ihrem Sitznachbarn zeigte. Außer einem kurzen Lächeln, als sie ihren Platz gefunden hatte, nahm sie weiter keine Notiz von ihm. Dies änderte sich, nachdem sie den dritten Whisky bei der Stewardess bestellt und den Plastikbecher, wie die beiden anderen zuvor, in einem Zug geleert hatte.

      »Sprechen Sie Englisch?«, fragte die Alte, als sie bereits über zwei Stunden in der Luft waren.

      »Ja, ein wenig«, erwiderte Tafari und wandte den Blick vom runden Bullauge weg der Lilahaarigen zu.

      »Sie müssen nicht denken, dass ich immer so viel trinke, aber ich leide unter schrecklicher Flugangst. Ungewöhnlich für eine New Yorkerin, meinen Sie nicht auch?«

      »Gewiss.«

      »Ich bin froh, dass Sie so schlank sind. Auf dem Hinflug vor einer Woche saß eine fürchterlich dicke Frau neben mir. Sie hat gar nicht gut gerochen.«

      Tafari lächelte in der Hoffnung, nicht selbst einen üblen Geruch an sich zu haben. Immerhin trug er seine Kleidung schon seit zwei Tagen, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, im Flughafengebäude zu duschen.

      »Wissen Sie, welcher Film gezeigt wird?«, fragte die Lilahaarige weiter.

      »Nein, doch vor Ihnen liegt ein Programmheft. Da steht es, glaube ich, drin.«

      »Ach Gott, natürlich. Daran hab ich alte Dame mal wieder nicht gedacht.« Sie kramte in dem Netz, das an der Rückenlehne des Vordersitzes angebracht war, und studierte die Bordzeitung.

      Tafari blickte wieder in den strahlenden Himmel, der hellblau leuchtend über, neben und unter ihm zu sehen war. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte er ein erhebendes Gefühl von Freiheit. Mit geschlossenen Augen malte er sich aus, wie es in New York sein würde. Die hohen Häuser. Er hatte bereits Bilder davon gesehen, doch schien es ihm unmöglich, in einem dieser Wolkenkratzer im hundertsten Stockwerk zu wohnen. Wie lange man da wohl braucht, um nach unten auf die Straße zu kommen? Die Straßen! Es müssen geteerte Wunderwerke sein. Nicht wie in Afrika, wo sie aus kilometerlang platt gewalztem Wüstensand bestehen. Über diesem Gedanken schlief er ein.

      Sein Schlaf sollte nicht lange währen, denn die Sitznachbarin hantierte mit ihren knöchrigen Fingern eine halbe Stunde später neben ihm an der Armlehne, um den Stecker ihres Kopfhörers unterzubringen. Freundlich bot er Hilfe an, nahm selbst seinen Ohrhörer und sah sich gemeinsam mit vielen anderen Fluggästen den Spielfilm an.

      Gegen Mittag verspürte er den Drang, die Toilette aufzusuchen; auch fröstelte er wegen der niedrigen Temperaturen der Klimaanlage. So drängelte er an den kurzen Beinen der Alten vorbei, nahm seine Jacke aus dem über den Sitzen angebrachten Staufach und lief geradewegs den Gang Richtung Cockpit. Die Kühle des Fliegers kratzte in seinem Hals, obendrein begann die Nase zu triefen. Hätte ich mir doch die Jacke schon vorher angezogen, schimpfte Tafari mit sich. Er war andere Temperaturen gewöhnt – nicht die der klimatisierten Räume.

      Als die Toilette frei wurde, quetschte er sich durch die enge Tür. Beim Waschen der Hände hatte er anfänglich Schwierigkeiten. Dem Wasserhahn fehlte der Regler zum Drehen! Doch wie von Zauberhand lief das Wasser, sobald seine Hände in die Nähe des Hahns kamen – zog er sie zurück, hörte auch der Wasserhahn mit der Arbeit auf. Erstaunt über diese Technik, putzte er sich anschließend mit einem Papiertuch aus der Spenderbox die Nase. Dann schlenderte er zurück zu seinem Platz. Dabei drückte er sich an einer netten Stewardess vorbei, die ihn freundlichst anlächelte.

      Kaum hatte er seine Sitzposition, über die Alte hinweg, eingenommen, musste er niesen. »So ein Mist«, fluchte er leise und hoffte, wegen dieser Temperaturen nicht krank zu werden. »Das würde mir noch fehlen!« Er wühlte in den Taschen seiner Jacke und der Hose, doch es fand sich kein Taschentuch.

      Die niedliche Dame neben ihm bemerkte das Malheur und wedelte freundlich mit einer Packung Papiertaschentücher. »Ich kenne das, junger Mann. Regelmäßig habe ich Halsschmerzen, wenn ich aus diesen arktischen Temperaturen der Flieger aussteige. Ein Grund mehr, der für meine Flugangst spricht. Finden Sie nicht auch?«

      Tafari nickte zustimmend und lächelte dankbar. Die Jacke spendete zwar wohlige Wärme, seine Nasenspitze jedoch blieb eiskalt. Gleich darauf hörte er ein »Ping«, als rote Signallampen über den Sitzreihen Anweisungen erteilten, die Sicherheitsgurte anzulegen.

      »Ladys und Gentlemen, wir befinden uns im Anflug auf Brüssel. Aufgrund der guten Wetterlage und des Rückenwindes werden wir circa zehn Minuten vor der geplanten Ankunftszeit landen. Die Temperaturen in Brüssel betragen …«

       Kapitel 16: Er soll Chris heißen

       Washington, D.C., 7. Juli 2016

      Dr. Sisley starrte auf das zwischen den gespreizten Schenkeln Sandras liegende Neugeborene. Fassungslos sah sie kurz in die strahlenden Augen der tapferen Mutter, auf deren dunkelhäutiger Stirn Schweißperlen glänzten. Sie griff zur Atemmaske und setzte diese sanft über Nase wie auch Mund des Säuglings. Ein tiefer Atemzug presste sich in dessen Lunge. Dann durchtrennte Dr. Sisley die Nabelschnur und versorgte den Wurmfortsatz am Bauch des Babys mit einer Klemme.

      »Ist alles in Ordnung?«, hauchte Sandra sichtlich erschöpft.

      »Machen Sie sich keine Sorgen, Sandra. Alles bestens.«

      Wie, ich soll mir keine Sorgen machen?, dachte Sandra, während ein ungutes Gefühl in ihr aufstieg. »Was ist mit

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