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und wies die Schwester an, Konserven der Blutgruppe A positiv in der Schleuse zu deponieren. Die knappe Rückmeldung vernahm er mittels des Lautsprechers, der Teil der Sprechanlage war.

      Die Kranke glühte. Kurz überlegte er, das Medikament Favipiravir zu verabreichen, an dessen Tests er letztes Jahr beteiligt war. Hierbei handelte es sich um ein japanisches Grippemittel, welches in einigen Fällen den Verlauf von Ebola-Symptomen zum Stillstand brachte. Ein schwaches Signal, jedoch kein klinisch untermauerter Befund. Weiter stand ihm VSV-EBOV zur Verfügung. Ein experimenteller, rekombinanter Impfstoff. Ein leiser Fluch entfuhr ihm. Hätte er keine Ruhepause eingelegt, sondern wäre direkt ins Labor gegangen, hätte er lebenswichtige Stunden gewonnen. Hätte, wäre, wenn! Jetzt war er dazu verdammt, ihr den Blutverlust mit Fremdblut auszugleichen – Weiteres ergäbe sich im Labor. Er tastete Oluchis Bauch ab. Dieser zeigte Verhärtungen, was auf innere Blutungen im Bereich der Leber und Milz hindeutete. Sein schlimmster Albtraum wurde soeben Realität.

      Nachdem die Blutkonserve sowie weitere fiebersenkende Infusionen an Oluchi angebracht waren, verstaute er in der Schleuse den Schutzanzug einschließlich der Kleidung in dem dafür vorgesehenen luftdichten Behältnis. Anschließend betrat er nackt eine Dusche mit speziellen Brausedüsen, welche seinen Körper desinfizierten. Durch eine zweite Sicherheitstür trat er in den Vorraum. Aus einem Spind entnahm er Unterwäsche, eine grüne Stoffhose, ein grünes Shirt sowie Synthetik-Clogs. Ohne Umwege suchte er das Labor auf. Dort standen fein säuberlich aufgereiht die Reagenzgläschen, gefüllt mit Oluchis Blutproben.

      Nach knapp zwei Stunden gewann er Klarheit durch die Polymerase-Kettenreaktion, kurz PCR genannt. Die müden Augen Dr. Guambos starrten auf das Ergebnis des Monitors. Das, was sich vor ihm auftat, jagte ihm einen derartigen Schrecken ein, als würde eine 38er mit gespanntem Abzug direkt an seine Stirn gehalten. Die fadenförmige Gestalt des Virus wand sich erhaben auf dem Bildschirm und schien verknotet zu sein. Der Durchmesser betrug konstant 80 Nanometer, üblich für diese Virusgattung. Nur die Länge des Fadens, normalerweise zwischen ein und vier Mikrometern, passte mit über sechs Mikrometern nicht zu den bekannten fünf Gattungen des Ebolavirus. Sie glich weder dem Taï-Forest-Virus, dem Sudan-Virus, Zaire-Ebolavirus, dem Reston-Virus noch dem Bundibugyo-Virus. Was die Blutprobe zutage förderte, war eindeutig die Entdeckung eines neuen viralen »Wesens«. Er fühlte sich wie ein Tiefseetaucher, der plötzlich in Tausenden von Metern eine neue, unbekannte Spezies erblickt. Und ebenso lief er gerade Gefahr, in einen tiefenrauschähnlichen Zustand zu verfallen. Er speicherte die digital angezeigten Bildschirminhalte und verfasste eine Mail, wie es die Seuchenvorschriften vorsahen. Diese Mail, so war er sicher, würde Wellen schlagen und spätestens in einer Stunde im Büro der WHO, der Weltgesundheitsorganisation mit Sitz in Genf, einer Bombe gleich einschlagen.

      Dr. Guambo rannte nach draußen. Er fand die Nachtschwester, die unter Hilfe einer Putzkraft das Krankenzimmer mit den von sieben Patienten belegten Betten desinfizierte. »Ist die Klinik abgeriegelt?« Die Schwester sah ihren Chef furchtsam an und nickte. Mit Blick auf die Reinigungskraft forderte Dr. Guambo noch einmal: »Keiner verlässt die Klinik. Keiner! Wo ist Oluchis Mann?«

      »Im Wartezimmer. Ich denke, er schläft«, antwortete die Krankenpflegerin.

      Ohne Zeit zu verlieren, lief Dr. Guambo den Flur entlang zum Warteraum. Thabo lag auf dem Boden, zitternd, das Bewusstsein verloren. Inmitten einer roten Lache aus Blut, welches aus Augen, Nase und Mund rann.

      Das Siegel des Fahlen Reiters war gebrochen.

       Kapitel 20: Ziel New York

       New York, 2016

      Tafari hatte schon der Flughafen in Brüssel beeindruckt. Doch jetzt fand er keine Worte, die seine Eindrücke und Gefühle beim Anblick des John F. Kennedy International Airports auch nur annähernd wiedergeben würden. Die Dimension des Flughafenareals, die vielen Menschen sowie der Geräuschpegel, den diese verursachten, überwältigten ihn. Nachdem er seinen Koffer auf dem Förderband gefunden hatte, suchte er den Weg zu jenem Ausgang, der ihm als Treffpunkt vorgegeben war. Kurz hatte er sich verlaufen, doch eine nette Stewardess wies ihm die korrekte Richtung.

      Vor den großen Glastüren, welche sich selbstständig öffneten, drängelten reihenweise gelbe Taxis, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, laut hupend die beste Parkmöglichkeit zu ergattern, um gleichzeitig hektischen Fahrgästen Platz zu bieten. Obwohl es bereits nach Mitternacht war, stand die schwüle Luft still über dem Areal wie unter einer riesigen Käseglocke. Es waren bei Weitem nicht die gewohnten Temperaturen der Heimat, dennoch schwitzte Tafari und er fühlte die aufkeimende Grippe.

      Da sah er es. Das Schild mit seinem Namen darauf. Ein Blondschopf um die zwanzig hielt es in die Höhe, während er suchend durch die von Straßenlaternen und Scheinwerfern erhellte Nacht in die Menge der Passanten spähte. Ihre Blicke kreuzten sich und am Lachen Tafaris erkannte der Junge in Collegejacke, dass er gefunden hatte, wonach er suchte.

      »Tafari Ballo?«

      »Ja.«

      »Ich bin Milton. Wenn Sie möchten, können wir gleich ins Hotel fahren. Mein Wagen steht dort drüben.« Milton nickte mit dem Kopf in Richtung eines großen Parkplatzes.

      Den Koffer hinterherziehend, folgte Tafari dem Blonden, der vermutlich sein Taschengeld durch die Abholung aufbesserte. Sie luden das Gepäckstück in den Kofferraum des VW Golfs und Tafari stieg neben Milton ein.

      »Wie war der Flug, Mr. Ballo?«

      »Lang und ich habe mir einen Schnupfen geholt. Die Klimaanlage im Flugzeug war fürchterlich.«

      »Ja, das kenne ich. Morgen geht es Ihnen bestimmt besser. Ein Bad im Hotel und ein paar Stunden Schlaf wirken Wunder.«

      Tafari hörte kaum die Worte des Fahrers – er starrte fasziniert aus dem Fenster, bis sie die N Conduit Avenue entlangfuhren. Das unfassbare Lichtermeer in der Ferne formte die Skyline von New York. Milton bemerkte die Faszination, die den Besucher erfasst hatte, und störte diesen nicht weiter. Ihm war es ganz recht, um diese Zeit nicht den Alleinunterhalter spielen zu müssen.

      Über die Atlantic Avenue erreichten sie dreißig Minuten später die Sands Street, die direkt auf die Brooklyn Bridge führte. Jetzt war der Zeitpunkt, da Tafari nicht mehr still sitzen konnte. »Sehen Sie nur, diese Brücke, die Häuser, die vielen Lichter!«

      »Toll, was?«, lächelte Milton im Versuch, sich in den farbigen Fahrgast zu versetzen. »So was gibt es bei Ihnen nicht, habe ich recht?«, fragte Milton. Tafari schüttelte verzaubert den Kopf. »Na, warten Sie erst mal ab, wenn Sie morgen am Time Square stehen. Es wird Sie umhauen. Noch ein paar Minuten, dann sind wir am Hotel.«

      Ein Niesen unterbrach das Staunen Tafaris und er kramte nach seinen Taschentüchern.

      Kurz darauf kamen sie am Hampton Inn, in Soho Manhattan, an. Direkt vor dem Eingang parkte Milton den Wagen. »Ich bringe Sie noch rein«, bot er sich an und trug den Koffer, gefolgt von Tafari, in die Lobby. Nach dem Check-In verabschiedete sich der Chauffeur: »Gegen 11:00 Uhr würde ich Sie abholen. Ist das in Ordnung?«

      »Ganz recht«, meinte Tafari, hob zum Abschied die Hand und verschwand im Aufzug Richtung zwölftes Stockwerk.

       Kapitel 21: Die Nacht im Hotel

      Mit der Plastikkarte, die ihm der Portier ausgehändigt hatte, gelang es Tafari nach etlichen Versuchen, die Hotelzimmertür zu öffnen. Umständlich zwängte er den Koffer vor sich durch den Eingang. Im Raum befanden sich neben einem Doppelbett ein Tisch, ein Stuhl, ein Fernseher sowie ein Kleiderschrank. Eine schmale Tür, rechts im winzigen Flur, führte ins Badezimmer. Über dem Waschbecken flackerte, sobald man eintrat, automatisch eine Leuchtstoffröhre, bis sie das Bad in weißes, künstliches Licht tauchte. Im Spiegel betrachtete er seine fiebrig glänzenden Augen, die von geplatzten Äderchen durchzogen waren.

      Tafari ließ die Jacke auf den Badezimmerboden fallen, streifte die Schuhe ab, ging zurück ins Zimmer und ließ sich aufs Bett sinken. Er kannte das Gefühl des Fiebers,

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