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Stunde vor dem Mittagsläuten hielten sich kaum Frühstücksgäste dort auf und Milton erkannte rasch, dass Mr. Ballo nicht im Saal war. Daher probierte er von Neuem sein Glück bei der netten Empfangsdame: »Entschuldigen Sie, Miss Lion«, er las ihren Namen am Schild des Revers ab, »aber Mr. Ballo ist auch nicht im Frühstücksraum. Es ist nur so, wir haben einen Termin für einen Vortrag um 13:00 Uhr. Wäre es möglich, im Zimmer nachzusehen, ob er verschlafen hat?«

      Professionell lächelnd nickte Miss Lion: »Augenblick.« Sie lief in das hintere Büro und kam wenig später mit einem nach Dresscode gekleideten Zimmermädchen zu Milton. »Miss Santo wird mit Ihnen nach oben gehen.«

      Dankend folgte Milton der etwas untersetzten Person in ihrem gestreiften Kostüm zum Fahrstuhl. Das Display des Aufzugs zeigte in leuchtend roter Digitalschrift eine 12, als die Fahrstuhltüren öffneten. Sie liefen einen engen, fensterlosen Gang auf einem weinroten Teppichboden entlang, bis sie Zimmer 1237 erreichten. Zaghaft klopfte Miss Santo an die dunkle Tür. Als sich nichts regte, wiederholte sie ihr Klopfen, diesmal etwas deutlicher.

      »Es hängt auch kein ‚Bitte nicht stören‘-Schild am Türknopf, also sehe ich mal nach«, meinte Miss Santo, während sie eine Plastikkarte aus ihrer im Rock eingenähten Seitentasche hervorkramte. Geschickt zog sie die Karte durch den vorgesehenen Schlitz oberhalb des Türknaufs und eine kleine, nun grün schimmernde Leuchtdiode signalisierte die Freischaltung. Vorsichtig schob sie die Tür einen Spaltbreit nach innen. »Mr. Ballo, ist jemand da?«

      Ihr Kopf spähte seitlich des Türrahmens in den kleinen Vorraum. Keine Regung im Zimmer. Auch kein Duschgeräusch aus dem Bad, was eine Erklärung dafür gewesen wäre, dass sich niemand meldete. Milton folgte dem Zimmermädchen in den Raum.

      »Mr. Ballo, sind Sie da?«, rief Miss Santo erneut. »Oh Gott!« Die untersetzte Hotelangestellte schlug die Hand vor den Mund und drehte sich mit weit aufgerissenen Augen zu Milton.

      Jetzt sah auch er den Gast angekleidet auf dem Bett liegen. Sogleich drängte er sich an dem Zimmermädchen vorbei direkt zu Tafari. Der Mann, den er erst gestern hier abgesetzt hatte, lag mit geschlossenen Augen auf dem Rücken. Ein leises Röcheln erzeugte kleine rote Bläschen auf dessen Lippen. Sowohl im Bereich der Augenlider als auch an den Mundwinkeln erkannte man Rinnsale hellroten Blutes. Die Stirn schweißüberströmt, das Kopfkissen, auf dem er lag, von seinen Sekreten dunkel gefärbt.

      »Mr. Ballo, können Sie mich hören?« Milton schüttelte zaghaft die Schulter des Farbigen. »Schnell, rufen Sie einen Arzt! Ich bleibe hier.«

      Miss Santo rannte aus Zimmer 1237 in Richtung der Aufzüge.

       Kapitel 25: Erste Maßnahmen

       Genf, 2016, Weltgesundheitsorganisation, WHO, 05:30 Uhr Ortszeit

      Neben Dr. Kleinschmidt und Victor Schranz hatten sich weitere elf Personen im Besprechungszimmer »Schweiz« eingefunden. Der Raum hatte die Größe zweier Klassenzimmer, dominiert von einem ovalen Besprechungstisch, welcher zu beiden Seiten mit zehn ledernen Besprechungsstühlen bestückt war. Am Kopf des Tisches stand Dr. Kleinschmidt, neben ihm ein geöffnetes Notebook.

      »Guten Morgen, meine Herren. Wie ich sehe, sind wir fast vollzählig. Mrs. Regardo lässt ausrichten, dass sie in zirka dreißig Minuten ebenfalls kommen wird. Wir beginnen mit einem aktuellen Lagebericht.«

      Alle Anwesenden spürten die Anspannung des bedeutungsvoll dreinblickenden Dr. Kleinschmidt. Code »W69« wurde, wie jeder wusste, nur bei sehr ernst zu nehmenden Ereignissen angewandt. Welche Hintergründe für selbige drastische Maßnahme vorlagen, würden sie nun in Kürze erfahren.

      »Heute Nacht um null drei neunzehn erhielten wir eine Mail der Dringlichkeitsstufe AAA. Herr Schranz«, dabei nickte Dr. Kleinschmidt in Richtung Victor, »hat mich unverzüglich darüber in Kenntnis gesetzt. Ich habe die Zeit bis eben genutzt, mir einen Überblick aller vorliegenden Informationen zu verschaffen, und werde Ihnen diese jetzt vorstellen. Ferner versuchen wir, den Absender der Mail, einen gewissen Dr. Jamal Guambo aus Burkina Faso, telefonisch zu erreichen. Bisher ohne Erfolg; es kann sich jedoch nur noch um Minuten handeln, bis die Verbindung zustande kommt. Meine Sekretärin ist dabei, Dr. Guambo ans Telefon zu bekommen, und wird dann das Gespräch hierherleiten.«

      Kleinschmidt machte eine kurze Pause, drückte einen Knopf auf dem Notebook und der große Flat-Screen-Monitor hinter ihm zeigte die Originalmail Dr. Guambos an.

      »Wie Sie feststellen, meldet Dr. Guambo eine mit Ebola infizierte Person Anfang dreißig. Die Erkrankte, ich nenne sie folgend ‚Wirt 0‘, wurde um zirka sechzehn null null afrikanischer Ortszeit in der Klinik Léo mit hämorrhagischem Fieber eingeliefert. Gegen dreiundzwanzig null null stellte man bei ‚Wirt 0‘ äußere Blutungen an Mund und Augen fest, was Dr. Guambo veranlasste, sie sofort unter Quarantäne zu stellen. Das Klinikum verfügt über eine Quarantänestation mit insgesamt vier Betten, darüber hinaus über ein gut ausgestattetes Labor. Erste Untersuchungen des Blutes ergaben nachfolgenden Befund.«

      Die Abbildung des fadenförmigen Virus erschien.

      »Sollte Dr. Guambo mit seiner Aussage recht behalten – das hier gezeigte Virus lässt diese Annahme zu –, haben wir es mit einer neuen, uns nicht bekannten Gattung des bisherigen Ebola-Erregers zu tun. Wie sie erkennen können, beträgt der Durchmesser des Virus die allseits bekannte Ausprägung von 80 Nanometern, somit eindeutig der Kategorie Marburg-Virus zuzuordnen. Was jedoch erheblich von den uns bisher vertrauten fünf Spezies des Erregers abweicht, ist die Länge. Sie beträgt exakt sechs Mikrometer. ‚Wirt 0‘ wies erste Krankheitssymptome, wie hohes Fieber und Schüttelfrost, um sieben null null Ortszeit auf. Also eine Zeitspanne von gerade mal sechzehn Stunden, bis äußere Blutungen erkennbar waren. Neben ‚Wirt 0‘ erkrankte ein zusätzlicher Patient, und zwar der Mann von ‚Wirt 0‘. Man fand ihn im Wartezimmer des Krankenhauses. Gleiche Symptome, ebenso rapider Verlauf. Spanne geschätzte acht bis zwölf Stunden. Zwei nachgewiesene Fälle mit extrem kurzer Inkubationszeit.«

      Leise öffnete sich die Tür, als Mrs. Regardo eintrat und mit einem flüchtigen Nicken zur Begrüßung wortlos auf einem der Ledersessel Platz nahm.

      »So wie es ‚W69‘ vorsieht, bilden wir drei Teams zu je vier Personen. Team 1: Einschaltung des Ebola-Koordinierungszentrums in Guinea. Sie sollen umgehend einen Einsatztrupp in die Klinik schicken, um Unterstützung zu leisten und auch weitere Fakten zu liefern.

      Team 2: Sie brechen unverzüglich in die Krisenregion auf. Unsere Transportmaschine mit mobiler Quarantänestation steht ab zehn fünfzehn zum Abflug bereit. Endziel: Das Dorf der Erkrankten, Tamiga, zwei Stunden Fahrzeit westlich von Burkina Faso. Transporter zur Weiterfahrt warten einsatzbereit vor Ort.

      Team 3: Koordinierung der …«

      Ein futuristisch anmutendes, sternförmiges Plastikgerät auf dem Tisch unterbrach surrend. Es war Telefon und Freisprechanlage in einem.

      »Dr. Kleinschmidt, ich höre.«

      »Ich stelle durch«, hörte man die rauchige Frauenstimme der Sekretärin.

      »Hallo, hallo.«

      »Dr. Kleinschmidt hier. Dr. Guambo, sind Sie es?«

      »Hier Dr. Jamal Guambo. Ich gehe davon aus, Sie erhielten die Informationen vorschriftsmäßig. Bitte entschuldigen Sie, dass Sie mich erst jetzt persönlich sprechen können. Alle Maßnahmen sind gescheitert. Keine Medikation hat angeschlagen. Die Patientin ist soeben verstorben.«

      Die ohne Umschweife formulierten Sätze des afrikanischen Kollegen hallten deutlich und hingen wie ein todbringender Schleier im Raum.

      »Sie wollen damit sagen, dass innerhalb weniger Stunden Ihre Patientin verstorben ist?«

      »Genauso ist es, Dr. Kleinschmidt. Bei der Spezies handelt es sich um eine äußerst aggressive Virengattung, die sämtliche bisherigen Forschungsergebnisse von Inkubationszeit bis Exodus in den Schatten stellt. Patient 2, ihr Mann, weist identische Symptome auf und reagiert auf keine uns bekannte Medikation. Innere Blutungen

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