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Es war völlig ausdruckslos. Hasards Achtung vor dem Bootsmann wurde noch größer. Er wußte, daß er Brighton nichts zu erklären brauchte. Der Bootsmann würde zwar seine Zweifel am Inhalt der Kassette hegen, aber er würde niemandem gegenüber seine Zweifel laut äußern. Hasard fühlte sich irgendwie verpflichtet, diesem Mann die Wahrheit zu sagen.

      „In der Kassette war nicht der Familienschmuck der Valdez’ und auch kein Gold oder sonstige Edelsteine“, sagte er leise. „Du hast nicht einen Moment daran geglaubt, nicht wahr?“

      Ben Brightons Gesicht blieb ausdruckslos.

      „Nein“, sagte er aufrichtig. „Ich dachte mir, daß es etwas viel Kostbareres sein müsse als Schmuck, wenn ein spanischer Capitan sein Leben dafür aufs Spiel setzt.“

      „Du hast recht, Ben“, sagte Hasard und legte dem Bootsmann die Hand auf die Schulter. „Wenn ich es richtig einschätze, ist der Inhalt der Kassette um ein beträchtliches wertvoller als die Silberladung in den Frachträumen der “Isabella“. Es ist von einer solchen Bedeutung, daß ich nur Kapitän Drake persönlich über den Inhalt informieren möchte.“

      „Das verstehe ich“, erwiderte Brighton, und Hasard spürte, daß es keine leeren Worte waren.

      „Ich möchte dich bitten, Ben, der Mannschaft gegenüber bei der Schmuckversion zu bleiben. Achte bitte darauf, daß niemand in die Nähe des Capitans kommt – außer Batuti. Ihn werde ich noch persönlich instruieren.“

      Sie sprachen noch eine ganze Weile miteinander und stimmten den Kurs ab, den sie nehmen wollten. Hasard befahl, daß sich die Männer nach der knochenbrechenden Arbeit in der Nacht und dem Kampf gegen die beiden Galeeren am Morgen abwechselnd ausruhen sollten.

      Noch waren sie nicht in England. Auf der Fahrt an Portugals Küste vorbei und dann durch die Biskaja konnte noch so manches passieren. Mit sechzehn Mann war die Galeone zwar gut zu segeln, aber bei einem Gefecht mit einem gleichstarken Gegner war die „Isabella“ hoffnungslos unterbemannt.

      Als Ben Brighton die Kapitänskammer verlassen hatte, haute sich Hasard ebenfalls in die Koje. Er wußte, daß das Schiff bei Brighton in guten Händen war.

      Hasard konnte lange nicht einschlafen. Immer wieder schweiften seine Gedanken zu den Karten, die er vorhin eingesehen hatte. Farbenprächtige Bilder von fremden Küsten tauchten vor seinem geistigen Auge auf, dunkelhäutige Menschen, die mit schwerem Goldschmuck behängt waren.

      Es schwirrten viele Gerüchte von der Neuen Welt bei den Seefahrern der westlichen Nationen herum. Hasard hatte mehr als einmal den Geschichten von graubärtigen Seefahrern gelauscht, und schon als Halbwüchsiger hatte er die Sehnsucht verspürt, eines Tages in diese Neue Welt zu segeln und Länder zu entdecken, die vor ihm noch nie der Fuß eines weißen Mannes betreten hatte.

      Hasard hatte sechs Stunden geschlafen, und dennoch fühlte er sich wie gerädert. Er brauchte eine ganze Weile, bis er zu sich fand. Er rief Batuti, der auf dem Gang vor der Offizierskammer wachte und überhaupt keinen Schlaf zu brauchen schien, zu sich herein.

      Der Schwarze grinste Hasard strahlend an. Von jedem anderen der Mannschaft hätte sich Hasard das Grinsen verbeten, aber er wußte, daß Batuti nur ein halber Mensch war, wenn er nicht grinsen und seine prächtigen Zahnreihen dabei zeigen konnte. Hasard hatte schon vor Tagen beschlossen, das impertinente Grinsen des schwarzen Mannes aus Gambia einfach zu ignorieren.

      „Hol mir einen Eimer Wasser, Batuti“, sagte er und schüttelte den Kopf, um die Benommenheit loszuwerden. „Und ruf den Bootsmann zu mir. Ich will noch mal mit dem Capitan sprechen.“

      „Aye, aye!“ brüllte der Schwarze.

      Hasard zuckte regelrecht zusammen.

      „Hier drinnen wird nicht gebrüllt, du schwarzer Höllenhund“, sagte er scharf.

      „Aye, aye, Sir, nicht brüllen“, sagte Batuti grinsend, und seine Stimme war nur unbedeutend leiser als beim erstenmal.

      Hasard hob drohend den Stiefel, den er gerade anziehen wollte.

      „Hau ab, bevor ich dich kielholen lasse!“

      Wie der Blitz sauste der Schwarze aus der Kammer und kehrte wenig später mit einem Ledereimer voll Wasser zurück.

      „Stell ihn hierher auf den Tisch“, sagte Hasard. „Hast du dem Bootsmann Bescheid gesagt?“

      „Aye …“ begann Batuti zu brüllen, aber er verstummte sofort, als Hasard den Ledereimer hob und Anstalten traf, den Inhalt über den Schwarzen zu leeren.

      „Hast du dich inzwischen auch mal aufs Ohr gelegt?“ fragte Hasard.

      Batuti schüttelte grinsend den Kopf.

      „Ich brauche nix Schlaf. Ich immer gut wach.“

      „Du legst dich jetzt hin“, sagte Hasard scharf. „Das ist ein Befehl, du Rabe. Wenn ich dich in den nächsten Stunden auch nur mit einem offenen Auge erwische, lasse ich dich an der Rahnock aufknüpfen, verstanden?“

      Batuti klappte erschrocken beide Augenlider zu. Er drehte sich um und tastete sich mit vorgestreckten Armen aus der Kapitänskammer.

      Ben Brighton, der gerade erschien, blickte dem Schwarzen erstaunt nach. Dann betrat er Hasards Kammer.

      „Du wolltest mich sprechen?“

      Hasard nickte.

      „Wie geht es dem Capitan?“ fragte er. „Kann ich mit ihm reden?“

      „Ich habe seinen Arm verbinden lassen“, sagte der Bootsmann. „Die Kugel hat sein Ellbogengelenk zerschmettert. Er wird einen steifen Arm behalten.“

      Hasard zuckte mit den Schultern.

      „Tut mir leid für ihn“, sagte er. „Aber er hat es sich selbst zuzuschreiben. Schließlich konnte ich es nicht zulassen, daß er den Jungen mit dem Riemen erschlägt.“

      „Er kann froh sein, daß er überhaupt noch lebt“, sagte Ben Brighton. „Wenn ich bedenke, daß wir durch ihn fast das Schiff wieder verloren hätten, könnte ich ihm jetzt noch eine Kugel durch den Schädel jagen.“

      „Was hättest du denn an seiner Stelle getan?“ fragte Hasard lächelnd.

      Brighton blickte seinen jungen Kapitän überrascht an. Doch dann nickte er.

      „Du hast recht“, sagte er. „Dieser Valdez hat sich als mutiger Mann erwiesen. Er hat es verdient, daß wir ihn wie einen Ehrenmann behandeln.“

      Hasard steckte den Kopf in den Ledereimer und kam prustend wieder hoch. Das kalte Meerwasser brachte ihn vollends wieder zu sich. Er trocknete sich mit einem Leinentuch ab und setzte sich dann auf die Koje, um seine Stiefel anzuziehen.

      „Es gefällt mir nicht, daß wir den Capitan und seine Besatzung immer noch an Bord haben“, sagte er. „Bei einem weiteren Zusammenstoß brauchen wir alle Leute. Dann kann niemand mehr auf die Gefangenen achten. Wenn die Spanier entschlossen sind, ist es ein leichtes für sie, aus dem Lagerraum auszubrechen und uns zu überwältigen.“

      „Ich habe auch schon daran gedacht, die Spanier loszuwerden“, sagte Ben Brighton. „Aber es ist ziemlich gefährlich, nahe an die portugiesische Küste heranzusegeln.“

      „Es wäre Selbstmord“, sagte Hasard kopfschüttelnd. „Es muß einen anderen Weg geben.“

      Er erhob sich und trat auf den Gang hinaus. Vor der Offizierskammer stand jetzt Dan O’Flynn, der junge Blondschopf, den Hasard in Plymouth kennengelernt hatte, als er einen fürchterlichen Kampf gegen die Preßgang der „Marygold“ ausgefochten hatte. Der Junge war Hasard, ohne zu zögern, zu Hilfe geeilt, denn er hatte den Killigrew aus Arwenack, das auch seine Heimat war, erkannt. Sein Einsatz hatte allerdings nicht viel genützt. Sie waren beide auf die „Marygold“ verschleppt worden.

      „Öffne die Tür, Junge“, sagte Ben Brighton.

      In Daniel O’Flynns Augen blitzte es ärgerlich auf. Hasard beobachtete amüsiert, wie wütend der

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