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      Ben Brighton hob den Kopf und betrachtete besorgt die drohenden Wolkenfelder, die immer dunkler wurden und mit hoher Geschwindigkeit nach Norden brausten.

      „Es ist vielleicht besser, wenn wir die Fock auch noch einholen“, sagte er.

      Hasard schüttelte den Kopf

      „Laß sie solange stehen wie möglich“, erwiderte er. „Ich habe ein ungutes Gefühl, daß noch etwas geschieht, und dann möchte ich so nah an der englischen Küste sein, wie es geht.“

      Ben Brighton wies mit der rechten Hand nach oben in den Großmars.

      „Soll ich Smoky runterkommen lasse?“ fragte er. „Ich glaube, du hast ihn jetzt lange genug da oben hängen lassen.“

      Hasard blickte zum Großmars hinauf, wo Smoky zusammengekauert hockte. Seit drei Tagen hatte Hasard den früheren Decksältesten der „Marygold“ für jeweils sechs Stunden in den Mars geschickt, um ihm klarzumachen, daß Disziplin gerade auf einem Schiff, das nur mit kleiner Mannschaft gesegelt werden mußte, von größter Wichtigkeit war. Hasards Zorn auf Smoky war immer noch nicht ganz verraucht, aber er sah ein, daß er jetzt nachgeben mußte, wenn er sich die Achtung Ben Brightons und der Mannschaft erhalten wollte.

      „Gut“, sagte er. „Laß ihn runter. Aber ich möchte, daß der Mars besetzt bleibt. Die Männer können sich jede Stunde abwechseln.“

      „Aye, aye“, antwortete Ben Brighton mit unbewegtem Gesicht. Dann brüllte er seine Befehle über Deck.

      Smoky kletterte mit steifen Gliedern die Wanten herunter. Seine klammen Finger krallten sich um die geteerten Taue, und zweimal rutschte er von den Webleinen ab, konnte sich aber jedesmal noch rechtzeitig fangen.

      Daniel O’Flynn nahm seinen Platz im Großmars ein. Die anderen Männer kümmerten sich um den verfrorenen Smoky, der aussah, als hätte er seine Lektion gelernt.

      Hasard begab sich in seine Kammer, um sich für ein paar Stunden hinzulegen. Solange die „Isabella“ unbehelligt von feindlichen Schiffen durch die schwere See der Biskaya lief, mußte er jede Gelegenheit nutzen, seinem Körper Ruhe zu gönnen.

      Hasard betete im stillen, daß sie nichts mehr aufhalten würde. Zu wichtig war seine Mission geworden. Er mußte die „Isabella“ um jeden Preis nach Plymouth bringen.

      Er legte sich auf seine Koje und betrachtete die von der niedrigen Decke herabbaumelnde Öllampe, die mit den Bewegungen der Galeone hin und her schwang.

      Das Knarren der Masten, Rahen und Blöcke, die vom Sturmwind einer maximalen Belastung ausgesetzt Wurden, verfolgte ihn bis in den Schlaf.

      Die Galeone lief jetzt auf nordwestlichem Kurs – quer durch die mörderische Biskaya auf Brest zu.

      Hasard wußte, Wenn sie erst einmal diesen Turn geschafft hatten, waren sie aus dem Gröbsten heraus. Im Kanal war die Chance, einem englischen Schiff zu begegnen, größer, als auf einen feindlichen Franzosen oder Holländer zu treffen.

      Hasard hörte die laute Stimme im Halbschlaf und ruckte hoch. Sein Kopf knallte gegen die Decke. Fluchend schwang er die Beine aus der Koje und fuhr in seine Stiefel.

      Die Tür zur Kapitänskammer wurde aufgerissen, ohne daß vorher angeklopft worden war. Hasard hatte keine Zeit, über Batutis Mangel an Takt nachzudenken.

      Der Schwarze brüllte seine Meldung heraus, ehe Hasard ihn fragen konnte, was, zum Teufel, denn los sei.

      „O’Flynn hat Masten gesehen! Voraus in Nord! Ganze Kimm voll wie Rükken von Stachelschwein!“

      Hasard warf sich seine Jacke aus dunklem Segeltuch über und raste aus der Kammer. Batuti folgte ihm polternd. Ein Windstoß riß Hasard das Schott zum Quarterdeck aus der Hand. Es knallte gegen die Bretterwand der Poop und schwang sofort wieder zurück.

      Der Seewolf trat einen Schritt zur Seite. Hinter sich hörte er den überraschten Schrei Batutis, ein dumpfes Poltern und dann eine wütende Stimme.

      Hasard kümmerte sieh nicht darum. Er mußte sich gegen den Wind legen, um nicht gegen die Nagelbank getrieben zu werden, wo Ben Brighton sich festgeklammert hatte.

      „O’Flynn glaubt, daß es sich um vier oder fünf Schiffe handelt!“ schrie der Bootsmann, um sich im brausenden Sturm verständlich zu machen. „Kleine Karavellen mit Lateinerbesegelung! Wahrscheinlich Dreimaster! Höchstens fünf Seemeilen vor uns!“

      „Welchen Kurs halten sie?“ brüllte Hasard zum Mast hinauf.

      „Den gleichen wie wir!“ gab O’Flynn schreiend zurück. „Nordost! Ich glaube, sie haben uns nicht gesehen! Sie sind schneller als wir! Ich kann kaum noch ihre Mastspitzen erkennen!“

      „Focksegel einholen!“ brüllte Hasard seinen Befehl aufs Deck, wo die Männer abwartend standen. Ferris Tucker jagte vier Männer auf die Fockrahe.

      Schwere Brecher gingen über die Back und das Vorkastell, und hochspritzende Gischt trieb wie ein Schleier über das ganze Schiff. Hasard sah, wie die vier Männer mit sicherer Hand das Focksegel einholten. Er wußte aus eigener Erfahrung, welche Knochenarbeit es bei diesem Wetter war, auf den Rahen herumzuturnen.

      Die Fahrt der Galeone verlangsamte sich nur unwesentlich. Nur die beiden Marssegel standen jetzt noch an den Masten, und sie genügten vollauf, die schwerfällige Galeone weiter nordwärts zu treiben.

      „Sie haben uns nicht entdeckt!“ schrie Donegal O’Flynn jubelnd aus dem Mars. „Sie hauen ab! Sie haben die Hosen voll, weil der Wind ein bißchen bläst!“

      Hasard sah die Erleichterung auf den Gesichtern seiner Männer, und er begann ebenfalls zu grinsen, obwohl er nicht daran glaubte, daß die Karavellen die 200-Tonnen-Galeone übersehen hatten. Er konnte nur hoffen, daß es sich um unbewaffnete Kauffahrteischiffe gehandelt hatte. Aber darauf wollte er sich nicht verlassen.

      Er blickte Ben Brighton an und sah, daß auch der Bootsmann den Optimismus der Mannschaft nicht teilte. Das harte Wasser herrschte nicht erst seit heute, und wer sich jetzt mitten in der Biskaya aufhielt, war ganz sicher kein harmloser Seefahrer.

      Die Bauart der Schiffe, die O’Flynn gesehen hatte, erweckte in Hasard die schlimmsten Befürchtungen. Er hatte solche kleinen, aber ungemein wendigen und schnellen Karavellen zur Genüge kennengelernt, als er noch auf den Schiffen des alten Killigrew gesegelt war.

      Es waren die bevorzugten Schiffstypen der bretonischen und normannischen Freibeuter, der Beherrscher der Biskaya.

      Ben Brighton hegte die gleichen Befürchtungen wie der Seewolf. Seine nächsten Worte bewiesen es.

      „Wenn es Freibeuter waren, dann frage ich mich, warum sie uns nicht sofort angegriffen haben.“

      „Wahrscheinlich ist ihnen die See zu schwer“, sagte Hasard nachdenklich. „Oder aber sie haben etwas anderes mit uns vor. Wir sollten vorsichtshalber unseren Kurs ändern. Dreh die alte Tante nach Norden, Ben. Vielleicht können wir ihnen so ein Schnippchen schlagen.“

      Ben Brighton nickte. Er rief einen Befehl durch die große Luke auf dem Quarterdeck, unter der Pete Ballie am Kolbenstock stand und das Ruder bewegte.

      Nach einer Stunde Fahrt bat Ben Brighton, auch das Großmarssegel einholen zu dürfen, und Hasard stimmte zu. Es hatte keinen Sinn, die Segel zu riskieren, die sie vielleicht noch einmal brauchten, um einem feindlichen Schiff zu entwischen.

      Die „Isabella“ kam dem Seewolf wie ein behäbiger Elefant vor, der sich unbeirrbar seinen Weg durch eine feindliche Umwelt bahnte. Die Brecher, die mit ungeheurer Wucht über das Deck rasten, hatten die Blinderahe zerschlagen, und Ferris Tucker war unter Deck bereits dabei, eine neue fertigzustellen.

      Hasards Nervosität war verflogen. Jetzt, da er jeden Augenblick mit einem Zwischenfall rechnete, war er die Ruhe selbst. Er hatte Ben Brighton befohlen, die Männer zu beschäftigen, und hatte ihm eingetrichtert, sie darauf vorzubereiten, daß sie innerhalb von Sekunden kampfbereit an Deck zu sein hatten, wenn der Befehl dazu erfolgte.

      Batuti

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