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waren die ersten, die sich wieder auf die Straße wagten – hießen Romano Casablanca und Lopez Garcia Marquez. Die Furcht steckte ihnen noch in den Knochen, aber Casablanca gab sich einen innerlichen Ruck, als sie den Karren und die drei Männer erblickten, trat mitten auf die Straße und hob die Hände, um sie zum Anhalten zu bewegen.

      Salimbene, El Moreno und Rubirosa stoppten. Dieses Mal hatte nicht nur der Kleine die Hand am Heft des Messers. Auch die beiden anderen griffen nach ihren Waffen. Wenn es erforderlich wurde, würden sie sich den Weg freikämpfen.

       2.

      Als die Fremden das Kommando in Potosi übernommen hatten, waren die Bürger in ihre Häuser „verfügt“ worden. Dennoch hatten eben diese Bürger verfolgen können, was sich weiter zugetragen hatte. Der Trupp der Fremden – soweit war das durch die Bleiglasfenster der Häuser zu beobachten gewesen – war bei beginnender Dunkelheit mit zwanzig Maultieren nach Westen abgezogen.

      Männer wie Casablanca, Garcia Marquez und deren Familien hatten sich einige Gedanken darüber gemacht, welcher Herkunft diese Fremden wohl sein mochten. Sie waren tief braun gebrannt gewesen und hatten zum Teil wilde Bärte gehabt. Einer hatte eine Eisenhakenprothese. Ein anderer sah wie ein wüstes Ungeheuer aus, ein Monstrum mit lauter Narben im Gesicht und einem gewaltigen Rammkinn. Blonde waren auch dabeigewesen.

      Wer sie aber waren, wußte niemand. Piraten? Seit wann wagten die sich derart weit ins Landesinnere vor? Nein, das konnte nicht sein. Piraten brachten Schiffe auf und kaperten sie, sie raubten, brandschatzten und plünderten an den Küsten, aber nie im Inneren des Landes. Das wagten sie nicht, und sie fühlten sich hier sozusagen wie Fische auf dem Trockenen. Niemals hätten sie es fertiggebracht, einen tolldreisten Bubenstreich wie diesen durchzuführen.

      Sie mußten schon einer ganz besonderen Kategorie angehören, diese Männer. Spanier schienen sie nicht zu sein, obwohl sie die spanische Sprache hervorragend beherrschten. Woher kamen sie dann? Aus einem nördlichen Land der Alten Welt – Frankreich, Holland oder England? Oder gar aus einem anderen Kontinent, aus Cathay beispielsweise?

      Niemand erriet es. Es gab weiterhin großes Kopfzerbrechen und Grübeln über diesen Punkt, und die Bürger waren immer noch sehr verstört.

      Casablanca und Garcia Marquez hatten sich erboten, gewissermaßen als „Vorhut“ nach dem Rechten zu schauen und die Lage zu erkunden. Was tat sich in Potosi? Man konnte meinen, in eine Geisterstadt geraten zu sein. Totenstille herrschte, der Wind, der vom Altiplano herüberfächelte, schien ein höhnisches Lied zu wispern.

      Aber da war der heranpolternde Karren – und da waren die drei Kerle, die zum übelsten Gesindel von Potosi zu zählen schienen.

      Casablanca musterte sie und fragte, als sie verharrten: „Wer seid ihr? Was treibt ihr hier?“

      Salimbene war geistesgegenwärtig genug, nicht sofort auf die Frage einzugehen.

      „Ach, wir kennen uns doch“, sagte er fröhlich grinsend. „Irre ich mich, oder sind wir uns gelegentlich mal im Hurenhaus der roten Dolores begegnet?“

      Casablanca hatte die Hände sinken lassen.

      „Daran kann ich mich nicht erinnern“, sagte er frostig.

      Salimbene ließ die Deichsel los und rieb sich die Hände. „Ich schon. Das waren noch Zeiten, was? Aber das alles ist vorbei. Potosi ist ’ne tote und kaputte Stadt geworden, Señor, hier wird keiner mehr sein Vergnügen haben. Was uns betrifft, mich und meine Kameraden hier, wir hauen ab. Wir haben die Nase voll. Wir haben unsere Siebensachen auf den Karren hier gepackt und ziehen davon. Klar?“

      „Sehr gut“, erwiderte Casablanca und gab den Weg wieder frei. „Das kann ich euch auch nur empfehlen.“

      Salimbene trat dicht vor ihn hin. „Behalte deine klugen Sprüche für dich, Kerl. Empfehlungen brauchen wir nicht. Verstanden?“

      Casablanca wich vor ihm zu Garcia Marquez zurück. Salimbene, El Moreno und Rubirosa zerrten den Karren weiter, ihre Gestalten und die Umrisse des Karrens verschmolzen wieder mit der Dunkelheit.

      Andere Bürger waren aufgetaucht, nach und nach wagten sich immer mehr hinaus. Sie wollten wissen, was geschah. Lopez Garcia Marquez war es, der durch seine Worte die Volksseele erst richtig zum Kochen brachte.

      „Keiner kann mir erzählen, daß diese Lumpen nur ihr Gerümpel auf dem Karren haben“, sagte er. „Sie besitzen doch überhaupt nichts. Sie pennen mal hier und mal da und haben nichts als die Fetzen, die sie auf dem Leib tragen. Und der Karren – den kenne ich. Der gehört zur Casa dela Moneda!“

      Casablanca war ziemlich unwohl zumute. Denn wenn seine Frau davon erfuhr, daß er im Hurenhaus zu Gast gewesen war, dann hatte er verspielt. Er war aber auch froh, daß Garcia Marquez die Initiative übernahm. Allmählich zog er sich zurück und lief ins Haus, setzte sich auf einen Stuhl und atmete erst einmal tief durch.

      „Was ist los?“ fragte ihn seine Frau, und seine Kinder scharten sich mit bangen Mienen um sie.

      „Das Gesindel ist unterwegs“, sagte Casablanca. „Überall wird geplündert, wie es scheint. Dieses Pack stiehlt alles, was ihm in die Finger fällt, und keine Frau ist vor ihnen sicher. Geht ja nicht auf die Straße.“

      Er erhob sich wieder und begann, die Fensterläden zuzurammen. Es war wirklich besser, sich vorläufig nicht hinauszuwagen. Erst am Morgen durfte man seinen Fuß wieder über die Schwelle der Haustor setzen, wenn die Galgenstricke und Gauner das Licht scheuten und verschwanden.

      Männer wie Garcia Marquez dachten in diesem Punkt jedoch anders. Viele Bürger hatten sich inzwischen auf den Straßen eingefunden und lauschten dem, was Garcia Marquez ihnen mitzuteilen hatte.

      „Diese Lumpenhunde“, sagte er. „Sie haben viel schneller als wir gespitzt, was die Glocke geschlagen hat. Sie haben getan, was keiner von uns sich jemals getraut hätte – sie haben die Münze ausgehoben!“

      Empörte Stimmen wurden laut, die Männer murrten und fluchten.

      „Nach Abzug der Feinde sind diese Banditen in die jetzt unbewachte Casa gehuscht und haben kräftig zugelangt!“ rief Garcia Marquez. „Sie haben die Silberbarren, die von den Fremden nicht entwendet wurden!“

      „Andere sind zur Residenz des Gouverneurs unterwegs!“ schrie ein Mann.

      „Sie sacken alles ein, was irgendwie von Wert ist!“ rief Garcia Marquez.

      Wieder gab es einen Zwischenruf. „Das müssen wir verhindern!“

      „Diese Elemente nutzen die Gunst der Stunde und plündern alles aus“, sagte Garcia Marquez aufgebracht. „Dieser Aderlaß ist noch gewaltiger als das, was die Fremden angerichtet haben. Wir müssen etwas dagegen unternehmen!“

      „Dann los!“ schrie ein junger Mann. „Packen wir diese Hunde! Bewaffnet euch mit Knüppeln! Schlagt sie tot!“

      Die Bürger setzten sich in Bewegung. Inzwischen gab es keinen mehr, der nicht wußte, was sich abspielte. Der Pöbel hielt sich schadlos – das mußte unterbunden werden! Ein Teil der Bürger – wie Casablanca – zog es vor, in den Häusern zu bleiben. Aber die Zahl derer, die zornig gegen den Pöbel ins Feld zogen, war größer. Es herrschte plötzlich Aufruhr in den Straßen und Gassen von Potosi. Gruppen von Bürgern liefen zur Casa de la Moneda, andere hielten auf die Residenz des Gouverneurs zu.

      Salimbene, El Moreno und Rubirosa waren in der Residenz und hasteten auf der Suche nach Wertvollem durch die Räume. Sie hörten aber auch den Lärm, der sich draußen entwickelte.

      „Es gibt Krawall“, sagte Salimbene. „Das hab’ ich mir gleich gedacht. Rubirosa, geh du raus und paß auf den Karren auf.“

      Der Karren mit den Silberbarren stand in einer Gasse unmittelbar neben der Residenz. Sie hatten ohnehin ein ungutes Gefühl gehabt, ihn ohne Aufsicht zurückzulassen. Rubirosa kehrte in die Gasse zurück und hielt Wache – und er sah die Gestalten, die sich mit Knüppeln über die Plaza bewegten.

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