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hielten sie wohl für einen Witz – oder eine Laune. Und darum lachten sie, diese vollgefressenen Sklavenschinder, die links und rechts den Elendszug begleiteten.

      Der Zug stoppte, denn die Spitze hatte die Residenz erreicht, und der Zweite Bürgermeister meldete dem Gouverneur die Ausführung des Befehls.

      Der Dicke nickte schwach und senkte den Kopf.

      „Mein Gott“, sagte Hasard, und zum ersten Male konnte er seine Erschütterung nicht verbergen.

      Langsam ging er die Stufen hinunter, Carberry und Pater Aloysius folgten ihm. Jean Ribault blieb hinter dem Dicken und drückte ihm die Pistole ins Kreuz. Pater David wartete ab – er hatte sich zwischendurch um alles gekümmert, was im Hof stattfinden sollte. Dort auch warteten die Padres sowie Pater Augustin, die Pater Aloysius aus der Kathedrale geholt hatte – in weiser Voraussicht, denn sie würden sich um die Indios kümmern müssen, auch wenn sie das – mit Ausnahme Pater Augustins – bisher nicht getan hatten. Jetzt hatten sie die Pflicht, die Rolle des barmherzigen Samariters zu übernehmen.

      „Geht’s nicht weiter?“ brüllte einer der Aufseher ziemlich frech. „Was soll der ganze Quatsch?“

      Carberry und Hasard drehten sich ihm zu.

      In unmittelbarer Nähe dieses Aufsehers taumelte ein Indio plötzlich aus der Reihe und brach zusammen. Der Aufseher, ein Kerl mit einem Stiernacken und einer wüsten Visage, wirbelte herum und schwang die Peitsche.

      „Steh auf, du dreckiges Schwein!“ brüllte er.

      Carberry war heran und entriß ihm die Peitsche, Sekunden später fetzte er sie dem Kerl durch die Visage, links-rechts, links-rechts. Der Kerl brüllte wie ein Stier, riß die Arme schützend vors Gesicht und wich zurück. Carberry setzte nach. Die Peitsche pfiff über die Hände des Aufsehers.

      Ein anderer sprang heran – ein Messer in der Faust, um es Carberry in den Rücken zu stoßen.

      „Ed!“ schrie Hasard.

      Gleichzeitig hatte er die Pistole in der Faust und schoß. Der Messerstecher bäumte sich auf, nur noch einen Schritt hinter Carberry, der herumgezuckt war. Dann tänzelte der Kerl seitwärts, drehte sich einmal um seine Achse und schlug hin wie ein gefällter Baum. Das Messer entglitt seiner Hand.

      Pater David, riesig und kantig, tauchte neben Hasard auf, in beiden Fäusten eine Pistole.

      Die Aufseher lauerten, geduckt, unentschlossen, aber doch gefährlich. Immerhin, keiner wollte der nächste Tote sein.

      Der erste Aufseher taumelte herum und konnte nichts sehen. Carberrys Schläge waren auch über seine Augen gefetzt.

      „Ich bin blind!“ heulte er.

      „Das ist jeder, der Wasser in den Augen hat, du Schwachkopf!“ röhrte Carberry und fällte den Kerl mit seinem Profos-Hammer. Dann zog er sein Entermesser, wartete ab.

      Die Indios standen und starrten. Sie faßten es nicht.

      Pater Aloysius ging gelassen zu dem Indio, der zusammengebrochen war, beugte sich über ihn, unterfing ihn, richtete sich wieder auf und trug ihn an der Residenztreppe vorbei durch das Portal in den Innenhof.

      Hasards klirrende Stimme sagte: „Die Aufseher! Lassen Sie Ihre Messer und Peitschen fallen. Ich gebe Ihnen fünf Sekunden Zeit, dann schieße ich!“ Er hatte seine zweite Pistole gezogen, ebenfalls eine doppelläufige.

      „Auch in meinen Pistolen steckt Blei!“ rief Pater David donnernd.

      „Bei mir gibt’s durchschnittene Hälse!“ röhrte Carberry und glitt bereits auf den Aufseher zu, der ihm am nächsten stand.

      Der reagierte auch als erster und ließ seine Peitsche fallen, Lidschläge später, sehr hastig, folgte das Messer.

      Das war’s.

      Drei Männer bezwangen an die zwanzig, dreißig Kerle und kauften ihnen den Schneid ab, den sie aber wohl nur wehrlosen, entkräfteten Indios gegenüber gehabt hatten. Im übrigen befanden sich an die zehn Kerle im Spital – verletzt von der Sprengung des Pulverturms.

      Messer und Peitschen klirrten und fielen zu Boden.

      „Vor mir antreten!“ befahl Carberry scharf. „Und das ein bißchen plötzlich, oder ich schneid euch die Ohren ab, ihr Strolche!“

      „Wir – wir haben nichts getan!“ jammerte der Kerl, der als erster Messer und Peitsche weggeworfen hatte.

      Carberry funkelte ihn an. „Nichts getan?“ Er deutete mit dem Entermesser zu den Indios. „Wer hat diesen armen Kerlen denn den Rücken zerdroschen, eh? Und wer hat denn eben seine Peitsche fallen lassen? Ihr doch! Oder etwa nicht?“

      „Das durften wir, das war erlaubt! Das sind doch nur dumme Affen, zu faul, um ordentliche Arbeit zu leisten!“ stieß der Aufseher hervor.

      „Ich zeig dir mal, was ich darf“, sagte Carberry fast freundlich – und explodierte wie ein Pulverfaß.

      Der Aufseher, der Indios für dumme und faule Affen hielt, flog davon, als habe ihn eine Culverine ausgespien. Er durchbrach ein Kellerfenster der Calle Lanza, Scherben klirrten, die Stiefel verschwanden, ein dumpfer Aufprall war zu hören, dann splitterte und krachte Holz. Darauf war Ruhe.

      Sie dauerte keine Minute.

      Eine Frauenstimme keifte: „Raus, du Scheißkerl! Verschwinde, du Hurenbock! Oder ich hole die Polizei, weil du eine ehrsame Witwe vergewaltigen wolltest!“

      Carberry lauschte mit vorgeschobenem Kopf. Wo war der Kerl bloß gelandet? Etwa in einem Bett?

      Der Kerl wankte aus der Haustür. Um seinen Hals hing ein geschnitzter Holzrahmen – die Vorder- oder Rückseite einer Bettstelle, jetzt allerdings durchbrochen und zersplittert.

      Du meine Güte, dachte Carberry.

      In der Tür tauchte die Gestalt einer Frau auf. Sie trug ein Nachthäubchen, obwohl es später Mittag war. Aber vielleicht hatte sie sich gerade zur Nachmittagsruhe hingelegt und fühlte sich mit Nachthäubchen wohler.

      Sie schwang eine Nudelrolle und drosch sie dem Kerl von hinten über den Schädel. Und schon krachte die Tür zu.

      Der Kerl kippte samt Holzrahmen vornüber und rasselte die fünf Stufen hinunter. Dort blieb er liegen.

      Carberry faßte sich und befahl: „Aufsammeln den Kerl – den anderen da hinten auch! Abmarsch zum Gefängnis!“

      Zwei oder drei sprangen hinzu und schleiften den „Vergewaltiger“ mit. Das gleiche geschah mit dem ersten Aufseher, der angeblich nichts mehr sehen konnte. Pater David begleitete Carberry ins Gefängnis, um ihm den Rücken zu decken. Aber die so starken Kerle waren nichts weiter als Waschlappen.

      Pater Aloysius kehrte zu Hasard zurück.

      „War ein Schwächeanfall“, sagte er leise. „Die Padres kriegen ihn wieder hin.“

      Hasard nickte. „Sag ihnen, daß wir gekommen sind, um sie zu befreien. Sie brauchen keine Angst mehr zu haben. Sie sollen Ruhe bewahren und nicht ungeduldig werden. Im Hof erhielten sie Essen und Trinken, Silbergeld, Kleidung, Decken und Wegzehrung. Wer Wunden habe, solle sich von den Padres verbinden lassen.“

      Pater Aloysius reckte sich auf, und seine Stimme hatte den klaren Klang einer Glocke. Die Indios lauschten. Sie begriffen es nicht. Oder doch?

      Hasard schluckte.

      Die Männer dort vorn an der Spitze – sie hörten den Pater am deutlichsten – wischten sich über die Gesichter. Sie weinten, mein Gott, sie konnten noch weinen. Es schüttelte sie durch, aber ihre Beherrschung verloren sie nicht.

      Was wärst du jetzt an ihrer Stelle für ein Mensch, dachte Hasard, der hören würde, daß die Hölle zu Ende sei?

      Würdest du jubeln?

      Würdest du schreien?

      Würdest du Rache wollen?

      Würdest du wahnsinnig

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