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      „J-j-jawohl!“

      Der Teniente war das, was man einen begossenen Pudel nennt. Das Wasser war eiskalt. Sein Kinn schwoll trotzdem mächtig an. Bibbernd baute er sich am rechten Flügel der „Betrüger“ auf und ließ die Zähne klappern.

      „Die Kerle und der Teniente bleiben hier“, entschied Hasard. „Wegen Mißachtung eines Befehls des Gouverneurs werden sie sich vor einem Kriegsgericht zu verantworten haben.“ Er drehte sich zu der Residenztreppe um, wo inzwischen der Polizeipräfekt erschienen war und Meldung erstattet hatte, daß er den Befehl des Gouverneurs ausgeführt hätte. „Der Präfekt zu mir!“ rief Hasard – und auf englisch: „Karl, du bitte auch! Bring den Señor Jimeno mit!“

      Karl von Hutten zeigte klar und dirigierte die beiden Männer auf die Plaza zu Hasard.

      Hasard wandte sich an den Präfekten: „Das Gefängnis, Señor?“

      „Dort drüben, Señor Großadmiral!“ rasselte der Polizeipräfekt und zeigte quer über die Plaza.

      „Sehr gut“, sagte Hasard. „Sie haben die Ehre, die zwanzig Mann, den Teniente und den Señor Jimeno dort einzusperren, Señor Polizeipräfekt.“

      „Ihr gehorsamster Diener, Señor Großadmiral!“ schnarrte der Präfekt.

      Hasard seufzte. „Leider kann ich es Ihnen nicht ersparen, dort auch Aufenthalt zu nehmen, aber es wird nicht allzu lange dauern. Sie waren ein guter Mitarbeiter.“

      „Befehle“, schnarrte der Polizeipräfekt, „sind dazu da, daß man ihnen gehorcht – äh – Pflichterfüllung!“

      „So ist es“, sagte Hasard und salutierte eckig und mit ernstem Gesicht. Innerlich sah’s bei ihm anders aus. Es war die größte Komödie, die er je erlebt hatte. Er hätte vor Lachen bersten können.

      Der Nußknacker salutierte ebenfalls. Weiß Gott, er konnte es noch besser als Philipp Hasard Killigrew, aber der war ja auch keine Marionette in diesem Theater merkwürdiger Figuren.

      „Mir nach!“ befahl der Nußknacker, setzte sich an die Spitze und marschierte zum Gefängnis. Carberry und Karl von Hutten begleiteten den Trupp.

      Hasard nickte dem Stadtkommandanten zu. „Sie können sich in Marsch setzen, Don Alfonso. Aber ich warne Sie, die Straße nach Sucre zu verlassen. Sie wissen ja, meine Leute haben Befehl, in einem solchen Fall sofort zu schießen. Trotzdem möchte ich unnötiges Blutvergießen vermeiden. Warten Sie in Sucre die weiteren Befehle des Gouverneurs ab. Verstanden?“

      „Verstanden, Señor Großadmiral!“ Don Alfonso salutierte, angesteckt vom Präfekten.

      Hasard dankte gemessen.

      Die Truppe rückte ab, an der Kathedrale vorbei nach Nordosten. Hasard schaute ihr hinterher und atmete durch. Auch das hatte also geklappt. Wenn er die Situation richtig einschätzte, dann würde Don Alfonso, der Stadtkommandant, eine ziemlich lange Zeit brauchen, bis er begriff, daß er auf einen Bluff hereingefallen war. Mit dem Abzug der Garnisonstruppe und der Stadtgardisten war die Stadt im gewissen Sinne entwaffnet. Die Bürger? Das waren keine Kämpfer, dazu hatten sie auch viel zu lange im Wohlstand gelebt.

      Unsere Sache steht nicht schlecht, dachte Hasard, gestand sich jedoch ein, daß sie bisher mächtiges Glück gehabt hatten, ein geradezu unverschämtes Glück, zu dem allerdings beigetragen hatte, daß der dicke Gouverneur nicht aus der Rolle gefallen war. Er hatte prächtig mitgespielt. Dieser Señor Jimeno, der Bergwerksdirektor, hätte gefährlich werden können. Gut, daß der jetzt auf Nummer Sicher saß, der hätte mit seinen Aufseher-Rabauken zu einem Gegenschlag ausholen können.

      Der Zweite Bürgermeister war keine Gefahr. Der war froh, einmal aus dem Schatten des Ersten Bürgermeisters heraustreten zu können. Und Don Carlos, der Erste Bürgermeister? Der hatte kein Rückgrat, und ein Held war er ebenfalls nicht.

      Carberry und Karl von Hutten verließen das Gefängnis und steuerten über die Plaza auf Hasard zu – über eine vereinsamte Plaza, auf der die drei Männer jetzt fast verloren wirkten.

      Carberry grinste und schlenkerte einen Bund mit vielen Schlüsseln.

      „Habe alle bestens untergebracht, Sir“, meldete er, „und mich zum Gefängnisdirektor ernannt. Feiner Bau, Sir.“ Er hob den Schlüsselbund. „Ohne diese Dingerchen sind die Gittertüren kaum zu knacken. Da müssen schon ein paar Schmiede mit Hämmern und Brechstangen wuchten, um sie aufzubrechen.“

      „Wäre Pech, wenn es Zweitschlüssel gibt“, sagte Hasard.

      Carberry schüttelte den Kopf. „Gibt’s nicht, Sir. Der Polizeipräfekt hat mir versichert, es gäbe nur diese hier. Und das glaube ich ihm – der lügt nicht.“

      „In Ordnung. Sind denn noch genug Zellen für weitere Besucher frei?“

      „Allemal, Sir“, versicherte Carberry. „Du denkst an die Aufseher, wie?“

      „An die, dann an die acht Soldaten, die wir im Stollen haben, und an die beiden Bürgermeister.“

      „Da ist noch genügend Platz“, sagte jetzt Karl von Hutten.

      „Gut.“ Hasard nickte. „Dann schlage ich vor, daß jetzt einer zum Stollen zurückkehrt und unsere Männer, die acht gefangenen Soldaten und unsere Maultiere holt.“

      „Das übernehme ich“, sagte Karl von Hutten sofort und lächelte. „Ed hat ja Pflichten als Gefängnisdirektor.“ Er wurde wieder ernst. „Paßt mit den Aufsehern auf. Es war richtig, daß du diesen verdammten Jimeno sofort kaltgestellt hast.“

      „Das ging mir vorhin gerade auch durch den Kopf“, sagte Hasard. „Der Bursche ist aus dem schlechten Holz eines Luis Carrero geschnitzt – oder umgekehrt. Also gut, ihr trefft uns im Hof der Residenz. Seid vorsichtig – auch du –, wenn ihr durch die Straßen geht. Wir wissen nie, ob nicht doch jemand schießwütig wird oder den Braten riecht. Falls so etwas passieren sollte, wäre Zimperlichkeit fehl am Platze und könnte für uns alle sogar tödlich sein. Wir bewegen uns auf einem sehr schmalen Grat, vergeßt das nicht!“

      „Du kannst dich auf uns verlassen“, sagte Karl von Hutten. Er hob leicht die Hand und wandte sich westwärts.

      Hasard und Carberry gingen zur Treppe der Residenz.

      Etwa zwanzig Minuten später – Carberry hatte inzwischen auch den Ersten Bürgermeister in eine Zelle gesperrt – rückte die Spitze eines Zuges an, der durch die ganze Calle Lanza bis hin zum Silberberg reichte und kein Ende zu nehmen schien.

      In Zweierreihen schleppten sie sich heran – Elendsgestalten, die aus einer anderen Welt zu stammen schienen, Maulwürfe aus einem Berg, der diese andere Welt darstellte.

      Sie blinzelten oder kniffen die Augen zusammen, denn das Sonnenlicht war ihnen fremd geworden in der Dunkelheit der Stollen, in denen nur trübe Funzeln gebrannt hatten. Sie verdeckten auch ihre Augen mit den Händen, aber es waren magere Hände mit dünnen Fingern, und sie boten nur wenig Schutz vor der Sonne.

      Sie gingen gekrümmt und mit schlurfenden Schritten, als laste das ganze Silber des verfluchten Berges auf ihren Schultern, die ohne Fleisch waren, knochig und dünn wie die mageren Finger, die Arme und Beine. Und zwischen den zerfetzten, zerrissenen und schmutzigen Lumpen, die um ihre Körper hingen, konnte man ihre Rippen sehen – Skelette.

      Sie hatten die Gesichter von Greisen. Gelbliche Haut spannte sich über spitzen Wangenknochen und Jochbögen. Die Lippen waren farblos, die Wangen eingefallen, die Hälse faltig. Da war kaum einer ohne schwärende Wunden.

      Und ihre Rücken waren gezeichnet – von den Peitschen der Aufseher.

      Ja, das waren sie – die Geschundenen, die Mißhandelten, die Gedemütigten, die Versklavten: Menschen, die aus dem Totenreich kamen.

      Die Aufseher? Sie waren ein Schlag ins Gesicht. Sie strotzten vor Kraft und Gesundheit. Ihre Füße waren nicht mit Lumpen umhüllt, sie trugen hochschäftige Stiefel aus weichem Leder. Und sie waren gekleidet wie die Noblen in Spanien.

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