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größte, unfaßbare Wunder war jedoch, daß sie frei sein sollten, endlich frei, entronnen der Hölle des Berges und den Knuten der Schinder. Es hatte den Anschein, als kehre ihr Wille zum Leben zurück, sie verloren ihre gebeugte Haltung, ihre Augen, noch etwas scheu, streiften die Fremden, die das Wunder vollbracht hatten. Dankbarkeit schimmerte auf, Bewunderung, Vertrauen, Freude.

      Und es geschah, daß plötzlich drei Indios der geduldig aufrückenden Männer aus der Reihe brachen und lachend auf Pater Aloysius zustürzten, ihn umarmten und fast erdrückten.

      „Toparca!“ rief Pater Aloysius überrascht und zugleich tief erschüttert. „Chupa! Atitla! Ihr lebt?“

      Ja, sie lebten, sie hatten überlebt – drei Männer aus dem Tacna-Tal. Drei! Von wie vielen?

      „Einhundertfünfzig Männer aus unserem Tal haben sie weggeholt“, sagte Pater Aloysius zu Hasard. Dem harten Mann aus der Bergwelt des Tiroler Landes liefen Tränen über das tiefbraune Gesicht mit den tiefen, wie eingeschnitzten Furchen und Falten. Er schämte sich dieser Tränen nicht.

      Hasard wandte sich still ab, die Zähne zusammengebissen, die Wangenmuskeln sprangen wie Knoten hervor. Er wußte: die Bilder hier würde er nie vergessen, sie brannten sich ihm ein mit schmerzhafter Deutlichkeit, schneidend scharf und unverwischbar.

      Karl von Hutten traf ein mit Dan O’Flynn, Matt Davies, Gary Andrews, Stenmark, Mel Ferrow, den acht gefangenen Soldaten und den fünfzehn Mauleseln.

      „Alles ruhig in der Stadt“, meldete er. „Sie haben sich in ihre Häuser verkrochen.“

      „Das wollte ich ihnen auch geraten haben, bei Gott!“ sagte Hasard grimmig. „Ich glaube, ich wäre fähig, diese verdammte Stadt in Schutt und Asche zu legen.“

      „Warum tun wir’s nicht?“ fragte Karl von Hutten düster. Seine dunklen Augen standen im merkwürdigen Kontrast zu seinen blonden Haaren. Ein Mann zwischen zwei Träumen war er – Sohn einer indianischen Häuptlingstochter und des Deutschen Philipp von Hutten. Seine Eltern waren von den Spaniern umgebracht worden.

      Hasard starrte ihm in die dunklen Augen und schüttelte stumm den Kopf.

      Karl von Hutten lächelte hart. „Zu weich, wie?“

      „Kümmere dich mit Jean Ribault um die Münze!“ fuhr ihn Hasard an. „Zerstört dort alles, was zum Schmelzen, Gießen und Prägen der Münzen und Barren dient. Beeilt euch, aber leistet trotzdem ganze Arbeit. Sie sollen eine Weile brauchen, bis sie die Münze wieder in Betrieb nehmen können.“

      „Aye, Sir“, sagte Karl von Hutten und fügte etwas leiser hinzu: „Entschuldige bitte, ich hatte das eben nicht so gemeint. Aber mir dreht sich der Magen um, wenn ich das hier sehe.“

      „Meinst du, ich bin aus Stein?“ fauchte Hasard.

      Matt Davies übernahm die Bewachung Don Ramóns, der schlapp auf dem Klappstuhl saß und den Kopf gesenkt hatte. Karl von Hutten und Jean Ribault marschierten zur Münze.

      Carberry kehrte zurück und übernahm die acht Soldaten. Hasard schickte den Zweiten Bürgermeister mit. Stenmark und Gary Andrews begleiteten den Profos und die Gefangenen. Als die Kerle eingeschlossen waren, spuckte Carberry in die Hände.

      „Unten im Keller habe ich Ketten und Schlösser entdeckt“, sagte er. „Wir holen alles rauf und sichern die Gittertüren doppelt und dreifach mit dem Zeug.“

      Stenmark und Gary Andrews grinsten. Der Profos baute vor – wer auch immer Soldaten, Aufseher sowie die Señores vom Stadtrat befreien wollte, er würde ziemlich lange beschäftigt sein. Und das war gut so, denn wenn sie sich aus der Stadt absetzten, würde jede gewonnene Meile mehr Sicherheit bedeuten.

      Die ersten Indios verließen die Stadt, ausgerüstet mit Decken, Proviant – und Waffen. Hasard hatte auch das Zeughaus an der Plaza aufbrechen lassen. Die Indios sollten nicht mehr wehrlos sein, wenn sie auf Spanier stießen.

      Dan O’Flynn „requirierte“ fünf weitere Maulesel, so daß sie jetzt über zwanzig Tragtiere verfügten. Zehn von ihnen wurden mit Silberbarren beladen.

      Gegen Abend waren die letzten Indios versorgt und verschwanden aus der Stadt, die zur Geisterstadt geworden war.

      Als es dunkelte, brach auch Hasard mit seinem Trupp auf, darunter die drei Indios aus dem Tacna-Tal – und der dicke Gouverneur. Sie waren frisch mit Proviant versorgt und hatten die Pulverfässer dabei, die noch aus dem Pulverturm stammten.

      Im Silberberg herrschte zum ersten Male seit Jahrzehnten friedliche Stille …

      ENDE

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       1.

      Salimbene, El Moreno und Rubirosa – so hießen die drei Kerle, die am späten Abend des 29. Dezember 1594 in Potosi als erste wieder ihre Nasen ins Freie steckten. Es war ein in jeder Hinsicht denkwürdiger Tag gewesen. Aber er war noch nicht zu Ende. Das Beste, so fand das Trio, sollte erst noch geschehen.

      Wer hätte jemals damit gerechnet, daß diese Stadt, die größte in der Neuen Welt und ein Prunkstück spanischer Baukunst und Macht, in ihren Grundfesten erschüttert werden würde? Niemand. Schon gar nicht die Bewohner. Wurde doch Potosi von Männern wie Don Ramón de Cubillo und seinen Günstlingen regiert, die die Zügel fest in der Hand hielten und jeden unnachgiebig bestraften, der gegen sie vorzugehen wagte.

      Männer wie Salimbene, El Moreno und Rubirosa waren stets darauf bedacht gewesen, mit den Oberen der Stadt nicht anzuecken. Sie lebten im Halbdunkel und galten als übles Gelichter, fielen aber nie auf. Sie vegetierten in den Spielhöllen und den Kellern der Stadt dahin, immer am Rand des Existenzminimums.

      Sie arbeiteten nicht, tranken viel Wein und bewegten sich auf dem winzigen, scharfen Grat, der das Gaunertum vom Verbrechen und offener Gewalt trennt. Sie schwammen mit auf der Welle von Wohlstand und Laster, ohne richtig daran teilzuhaben. An diesem Abend aber, zwei Tage vor dem Jahresende, schlug ihre große Stunde.

      Es war etwas ins Wanken geraten – im ganzen großen spanisch-portugiesischen Königsreich. Wie sonst konnte es geschehen, daß eine Stadt wie Potosi überfallen und ihres Reichtums beraubt wurde? Und wer waren diese Kerle – nur eine Handvoll –, die die einmalige Unverfrorenheit aufgebracht hatten, den Provinzgouverneur Don Ramón de Cubillo gefangenzunehmen und zu verschleppen? Gehörte nicht mehr als Kühnheit dazu, einen solchen Schlag zu landen? Waren sie – Sendboten des Teufels?

      Nein. Sie waren ganz normale Menschen, aus Fleisch und Blut. Man mußte schon sehr abergläubisch sein, um an einen derartigen Unsinn und Mummenschanz zu glauben. Nein. Sie waren zwar Teufelskerle, aber sie waren nicht den Schlünden der Hölle und Finsternis entstiegen, sondern kamen von einem Schiff, das irgendwo an der Küste ankerte. Anders konnte es nicht sein. Sie hatten einen langen Marsch auf sich genommen, aber sie hatten einen immensen Erfolg zu verzeichnen. Es hatte sich gelohnt. Jetzt kehrten sie zu ihrem Schiff zurück.

      So jedenfalls dachte Salimbene, ein kräftig gebauter Kerl mit grob geschnittenem Gesicht und kurzen grauen Haaren.

      El Moreno – so genannt, weil er pechschwarze Haare und einen ebenso pechschwarzen Bart hatte – pflichtete ihm voll bei.

      Und auch Rubirosa, ein flinkes, gewandtes Kerlchen, das durch größte Fingerfertigkeit bestach, war nicht geneigt, die Dinge anders zu betrachten.

      Ja, in gewisser Weise imponierten die Fremden dem Trio sogar. Hatten sie nicht eine große Tat vollbracht? Potosi war wie gelähmt. Nichts rührte sich. Die Angst ging um. Wer keine Furcht hatte, konnte sich ungestört bewegen und jeden Platz und jedes Haus aufsuchen, ohne befürchten zu müssen, kontrolliert zu werden.

      Dieser Umstand kam Männern wie Salimbene, El Moreno und Rubirosa sehr gelegen. Konnte man nicht beispielsweise einen Abstecher zur Münze unternehmen – oder zur Gouverneursresidenz? Warum nicht?

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