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ja«, schmunzelte Leon, »aber ich habe auch keine Frage gehört, Ihr Chef hat Sie doch schon als den erfolgreichen Jagdführer vorgestellt, und Ihr Outfit lässt ja auch darauf schließen, dass Sie die Verfolgung der Täter selbst übernommen hatten.«

      »Kommen Sie von C&A oder was wollen Sie von mir?«, reagierte Sibold kühl, »es ist doch alles gesagt.«

      »Vielleicht für Sie, heute! Aber irgendwann werden auch Sie auf die Frage stoßen, die mir bisher noch niemand beantworten konnte.«

      »Und die wäre?« Horst Sibold wurde nun doch zugänglicher, und Leon hatte das Gefühl, dass dieser untypische Beamte vielleicht sein richtiger Ansprechpartner sein könnte: »Warum schmuggelt jemand Gold aus der Schweiz nach Deutschland, wo der Kurs in der Schweiz deutlich höher notiert ist als hier?«

      »Eine interessante Frage«, brummte der Kommissar plötzlich hellhörig und bat Leon: »Geben Sie mir Ihre Karte.«

      Schnell griff Leon in seine Tasche, kramte ein selbst gebasteltes Visitenkärtchen hervor und setzte nach: »Verraten Sie mir Ihren Namen?«

      »Der ist kein Staatsgeheimnis«, lachte Horst Sibold jetzt offensichtlich kollegialer gestimmt und gab Leon ebenfalls eine Visitenkarte, auf die er seine Handynummer notierte. »Die gebe ich nicht jedem, schließlich will man auch als Polizist manchmal seine Ruhe.«

      Leon las die Visitenkarte und pfiff durch die Zähne. »Oho, Kriminalhauptkommissar. Ihre Dienstkleidung hätte Sie eher der reitenden Jägergruppe zugeordnet.«

      »Tarnen und Täuschen ist unser Job«, lachte Horst Sibold jetzt doch noch zum Scherzen aufgelegt. Leon wurde aus dem schmuddelig wirkenden Kommissar nicht schlau. Doch eine Recherche in unbekannten Teichen war mühevolle Kleinarbeit. Leon war froh, einen ersten Fisch am Haken zu haben, wenn er auch noch nicht wusste, wie er diesen waidmännisch verkleideten Beamten einzuschätzen hatte.

      Vielleicht konnte er über ihn doch noch etwas aus der Geschichte herausholen.

      *

      Leon trat vor das Hauptzollamt und sah, wie die Nachrichtenredakteure ihre Neuigkeiten von der Pressekonferenz hektisch absetzten. Fernsehkollegen schnitten in ihren Übertragungswagen Reporterbeiträge für die Spätnachrichten, andere versuchten weiter, Fachleute und Pressesprecher der Polizei vor ihre Mikrofone zu zerren.

      Die Hörfunkkollegen saßen in ihren Reportagewagen und gaben den verschiedensten Nachrichtensendungen ihrer Anstalten Interviews.

      Schneller ihre Arbeit erledigt hatten die Kollegen der Tageszeitungen. Sie hatten schon während der Pressekonferenz ihre Meldungen und Reportagen in ihre Laptops getippt und sie dann, per Knopfdruck via Handyleitungen, direkt in die Redaktionen verschickt.

      Eine kleine Gruppe der schreibenden Zunft stand jetzt zusammen. Leon gesellte sich zu ihr. Er erhoffte sich einige Hintergrundinformationen, die die Lokalredakteure vor Ort meist besaßen.

      Als er bei der Gruppe ankam, schauten ihn die Kollegen nur kurz an, dann redete ihr offensichtlicher Wortführer engagiert weiter: »Das lohnt sich alles nicht mehr. Ich bin jetzt dann den ganzen Tag unterwegs, von heute Morgen um 10 Uhr Pressekonferenz beim OB bis jetzt, spät am Abend. Denkste, ich bekomme deshalb einen höheren Tagessatz?«

      »Sei froh, dass du noch mit einem festen Tagessatz rechnen kannst. Unser Verleger hat die Tagessätze gestrichen. Er bezahlt jetzt nur noch nach Zeilen und Artikel. Gleichzeitig hat er aber auch perfide festgelegt, dass kein Artikel länger als 50 Zeilen lang sein darf, da dem Leser mehr nicht zuzumuten ist.«

      »Deshalb warst du heute mit deinem Text so schnell fertig«, frotzelte der Wortführer.

      »Ja«, grämte sich der Kollege, »aber ich stehe jetzt auch noch hier, das ändert doch am Zeitaufwand gar nichts.«

      Leon drehte ab. Er wollte sich den Abend nicht verderben lassen. Natürlich hatten sie alle recht. Der eine bekam zu wenig, der andere noch weniger, aber er konnte diesen Einsatz bisher gar nicht abrechnen, wer sollte ihm ein Honorar dafür anweisen? Er musste zuerst die Story verkaufen, wenn er überhaupt jemanden dafür interessieren konnte. Denn dafür musste er erst mal seinen eigenen journalistischen Zugang finden. Die Nachricht selbst verkauften die Platzhirsche, die ihm jetzt das Ohr volljammern wollten.

      *

      Leon fuhr von Singen nach Überlingen über Radolfzell. Ein Ortsschild lockte ihn nach Moos. Die Höri-Gemeinde neben Radolfzell war für ihn als Feinschmecker immer einen Abstecher wert. Zwei gute Restaurants hatte er dort auf seiner Liste stehen. Das Restaurant Gottfried oder, direkt daneben, der Grüne Baum. Eines der beiden Lokale war immer geöffnet, gleichgültig also, welches heute Ruhetag hatte. In den beiden Restaurants kochten zwei Brüder um die Wette. Beide waren angetan von der französischen Küche. Und Leon hatte Lust auf eine Bodensee-Bouillabaisse.

      Er fuhr auf den Parkplatz, den die beiden Gourmets brüderlich teilten, und sah, dass im Grünen Baum Licht brannte. Also war es entschieden; Hubert, der jüngere Bruder, würde Leon heute verwöhnen. Hubert war ein Unikat, sein Mooser Fischtopf eine Köstlichkeit. Leon hatte ihn erst einmal gegessen. Der Mann machte eine Rouille, da konnten die Franzosen noch etwas lernen. Wobei Hubert Neidhart solche überschwänglichen Komplimente eher kleinredete. Denn sein Vorbild für sein Gasthaus auf der Höri war nach wie vor die typische französische Dorfgaststätte. In solchen Gasthäusern hatte er seine Lehr- und Wanderjahre verbracht, und diese Küche hatte ihn geprägt.

      Leon parkte und stieg aus. Plötzlich wurde er unschlüssig. Er sah in sein Portemonnaie und zählte 25 Euro. Das musste genügen, für die Bodensee-Bouillabaisse und ein Glas Wein. Trotzdem überkam ihn ein schlechtes Gewissen. Nicht wegen des Geldes. Er dachte an Lena. Das letzte Mal war er mit ihr hier, sie hatte ihn mit den beiden kochenden Brüdern bekannt gemacht. Ihr hatte er den Tipp zu verdanken. Kurz hielt er inne, blieb stehen, im gleichen Moment klingelte sein Handy. Unschlüssig griff Leon in die Tasche, zog das kleine Ding heraus und sah auf das Display.

      Verdammt! Er fühlte sich ertappt. Lena versuchte ihn gerade in diesem Augenblick, als er mit sich kämpfte, zu erreichen. Was sollte er jetzt tun?

      Beherzt nahm er das Gespräch an: »Ich fahre gerade zu einer Pressekonferenz«, log er schnell. Er hatte einfach geredet, er wusste nichts anderes zu sagen. Während er sich aber reden hörte, schämte er sich auch schon für seine Lüge. Doch er konnte Lena nicht einfach die Wahrheit sagen, er hatte nun mal keine Lust, sie zu sehen, er musste heute Abend schließlich noch seine Steuer auf die Reihe bringen, beschwichtigte er sich selbst.

      Auf der anderen Seite wusste er, dass es gerade heute Lena beschissen ging. Denn kurz nachdem er seine Wohnung am See bezogen hatte, attestierten die Ärzte bei ihr Krebs. Zuerst hatte sie nur Schmerzen im Unterleib. Dann ging alles plötzlich sehr schnell. Diagnose: Tumor am Gebärmutterhals.

      Er und Lena wurden gemeinsam in einen Strudel von Angst und Schrecken geschleudert. Leon hatte sofort im Internet recherchiert: Die zweithäufigste Krebsart bei Frauen; 230.000 Tote jährlich weltweit; Überlebenschance immerhin 70 Prozent, dank des heutigen medizinischen Wissensstands.

      Lena wurde operiert, der Tumor entfernt. Zurzeit musste sie eine dreimonatige Chemotherapie über sich ergehen lassen. Er selbst konnte nichts tun, das war sein Problem. Er konnte ihr nicht helfen. Er war machtlos, konnte nur danebenstehen, sah ihr zu, sah ihr Leiden, ihre Schmerzen, ihre Übelkeiten und das ganze Elend. Es war zum Verzweifeln, auch für ihn.

      Am Anfang stand er liebevoll zu ihr. Er war in fast jeder freien Minute mit ihr zusammen. Doch mit der Zeit wurde dieses Aushalten zum Höllentrip.

      Vor acht Wochen hatte Lena mit ihrer Chemotherapie begonnen. Seither war alles von Grund auf anders. Besonders in den Tagen nach der Infusion. Da war sie niedergeschlagen und sah völlig mitgenommen aus. Und heute hatte sie erst ihren vierten Termin gehabt, sechs Infusionstermine standen noch an. Leon hatte das Gefühl, jetzt schon am Ende zu sein, gleichzeitig wusste er, dass er eben feige gelogen hatte. Doch einen Weg zurück sah er nicht.

      Lena bedauerte seine Absage, gab ihm aber auf ihre verständnisvolle Art zu verstehen, dass sein Job und der Pressetermin natürlich

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