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unter der Innenverkleidung des Fußbodens hervorgeholt hatte, und schob die alten unter die Verkleidung. Dann zog er sein Portemonnaie aus der rechten Hosentasche, nahm den Fahrzeugschein heraus und tauschte ihn mit dem anderen, der zu den neuen Schildern gehörte. Den alten Schein legte er zu den gebrauchten Schildern in den Hohlraum hinter der Verkleidung.

      Bernd hatte die neuen Schilder schnell angebracht und setzte sich wieder auf den Beifahrersitz, Sven klemmte sich hinter das Steuer, stieß auf die Straße zurück und fuhr lässig und gemächlich Richtung Singen.

      »Give me five«, lachte Sven, und Bernd schlug ein.

      Sven drehte die CD wieder auf: »Es regnet Wut, hier gibt es keine Arche, wir ertrinken in Blut«, grölten die Böhsen Onkelz.

      *

      Kriminalhauptkommissar Horst Sibold hatte endlich dienstfrei. Er hatte einen routinemäßigen Arbeitstag hinter sich mit öden Verwaltungsarbeiten. Der Vorteil: Er kam pünktlich um 16.30 Uhr aus der Amtsstube, wie er das Kommissariat verächtlich nannte.

      Horst Sibold war ein gutmütiger Mensch, Karriereleiter und Hierarchiedenken waren seine Sache nicht. Er hatte sich freiwillig aus Stuttgart an den Hohentwiel versetzen lassen, als man zur Verstärkung der südlichen Grenzstadt Polizeibeamte suchte. Zwar nahm er damals die Beförderung zum Hauptkommissar mit, doch wegen der Beförderung war er nicht umgezogen. Es war die Nähe zum Bodensee, die ihn zu dem Umzug ermuntert hatte, und, wenn er ehrlich war, in erster Linie die Scheidung von seiner Frau sowie ernsthafte Alkoholprobleme, die sich in der Dienststelle in Stuttgart herumgesprochen hatten. Singen sollte ein Neuanfang für ihn werden.

      Horst Sibold war ein leidenschaftlicher Angler. Ein Argument mehr, das für den Umzug an den Bodensee sprach. In Stuttgart fand er kaum geeignete Gewässer, die ihm gefielen. Den Neckar überließ er lieber Daimler und anderen Industriebetrieben als Abwasserkanal. Die Fische daraus wollte er nie verspeisen. Doch Sibold gehörte schon immer zu den Petrijüngern, die ihren Fang auch selbst konsumierten. Man sah es ihm an, dass er gut und viel aß.

      Gleich nach seinem Umzug nach Singen suchte er direkt am See einen Angelverein, in den er eintreten konnte. Doch schon bald fand er im Umland von Singen, im Hegau, sein Jagdrevier, sodass er meist auf das Angeln im Bodensee selbst verzichtete. Ein Kollege war Mitglied der Anglergemeinschaft ›Östliches Hegau‹. Dieser hatte bald Horst Sibold am Haken und zog ihn mit in seinen Verein. In der Aach, im Riederbach oder in der Biber gab es zwar keine Felchen oder Kretzer, aber wunderschöne Forellen und vor allem Saiblinge. Ein frischer Bachsaibling, das war für Horst Sibold wie ein Gedicht. Das leicht rötliche Fleisch des Fisches dünstete er meist nur sanft in Butter, dazu Salz und Pfeffer, einen kleinen Spritzer Olivenöl mit Zitrone, das war’s.

      Auch für heute Abend hatte er es sich so vorgestellt. Noch galt für den Saibling, Anfang November, keine Schonzeit, und es war noch hell, als er den Innenhof des Kommissariats mit seinem grünen Opel Omega verließ. Im Kofferraum hatte er die Angelausrüstung immer griffbereit liegen. Er entschloss sich, nicht nach Hause zu fahren, sondern bog an der Bahnhofskreuzung links ab und fuhr südlich aus der Maggi-Stadt in Richtung Gottmadingen.

      Der Kriminalkommissar hatte als Petrijünger den Hegau schnell wie seine Westentasche kennengelernt. Er fuhr auf der Landstraße vor Gottmadingen links weg, in Richtung des kleinen Orts Randegg.

      Randegg selbst kannte Sibold als Mineralwassertrinker. Die Ottilienquelle in Randegg ist das bekannte Mineralwasser der Region. Den Anglern ist der Ort dank der Biber bekannt, einem durch und durch sauberen Bach mit – für Horst Sibold – den besten Saiblingen.

      Ein gutes Stück vor der Schweizer Grenze bog Sibold in einen schmalen Waldweg ab, der offensichtlich nicht weiterführte. Doch er ließ seinen Omega über den Waldboden rollen und lenkte den Wagen geschickt an einigen Bäumen vorbei in ein Gestrüpp. Von hier aus hatte er nur wenige Meter bis zu seinem Angelstand an der Biber.

      Sibold öffnete die Fahrertür, stieg aus, schaute sich um, dann knöpfte er seinen Hosenladen auf. Er blickte nochmals in alle Himmelsrichtungen, ließ die Hose ganz runter fallen, setzte sich stöhnend auf den Fahrersitz zurück und zog die weiten Hosenbeine über seine Schuhe. Vom Vordersitz aus griff er rücklings auf die Hinterbank und fischte eine alte Militärhose, die er bei der Bereitschaftspolizei erhalten hatte, nach vorn. Sein dicker Bauch war ihm im Weg, trotzdem schaffte er es, auch diese Hosenbeine über seine Schuhe zu ziehen. Danach wuchtete er sich wieder aus dem Wagen und zog die Hose jetzt ganz hoch. Den oberen Knopf konnte er zwar beim besten Willen nicht mehr durch das dafür vorgesehene Knopfloch schieben, doch wo einst der Knopf hielt, erfüllte heute sein Hüftfett diese Aufgabe.

      Dann stopfte er Taschentuch, Messer und Handy von seiner Diensthose in die Anglerhose und ging um den Wagen herum zum Kofferraum. Dort zog er sein Sakko aus, legte es in den Wagen, zog einen dicken Pullover an und darüber eine ärmellose Outdoorweste mit unzähligen Taschen.

      Schließlich tauschte er noch seine Schuhe gegen Gummistiefel aus, setzte sich einen Jägerhut auf sein nur noch spärlich mit Haaren bewachsenes Haupt und war endlich bereit, die Angelrute in die Hand zu nehmen.

      Gerade wollte er, ausstaffiert wie ein echter Petrijünger aus dem Fachmagazin ›Rute und Rolle‹, losziehen, da bog ein weiteres Auto in den Waldweg ein. Er befürchtete, dass es Abendspaziergänger waren, die ihr Auto parken wollten, sodass sie ihn später eventuell blockierten, wenn er mit seiner Jagdbeute auf die Straße zurückstoßen wollte. Also schaute er sicherheitshalber nach und ging, geschützt durch das Blattwerk der Sträucher, bis zum Rand des Buschs, hinter dem sein Auto stand.

      Durch das Gebüsch sah er einen silbergrauen Mercedes und zwei junge Männer. Der eine verkroch sich im Fond, der andere rannte an die Front des Wagens zur Motorhaube und schraubte an der Stoßstange herum. Bald war Sibold klar: Der Mann entfernte das Kennzeichen.

      »Heiliger Strohsack!«, fluchte Horst Sibold und fragte sich: »Muss ich diese Lausbuben eigentlich sehen?« Unwillig schüttelte er seinen Kopf. Er hatte Feierabend. Er schnupperte mit seiner Nase schon den Duft von Saiblingen. Er sah ihr zartrosa Fischfleisch vor sich. Er sah aber auch, wie der eine Bursche um das Auto sprang und nun ein neues Kennzeichen an dem Wagen befestigte.

      Der Kriminalhauptkommissar fluchte. Er griff in seine Hosentasche und tippte eine Nummer in sein Handy. Auf dem Display erschien: ›Anrufe werden umgeleitet‹.

      Horst Sibold wurde ungeduldig. Unwillig schaute er dem Schauspiel, das die beiden Burschen boten, weiter zu.

      Mit der Wiederholungstaste versuchte er erneut, eine Verbindung in das Kommissariat herzustellen. Immer noch war besetzt. Jetzt wählte Sibold die Nummer der Zentrale. Es dauerte verhältnismäßig lange, bis abgenommen wurde. Sibold hätte am liebsten losgepoltert, doch er musste leise sein. Also nannte er nur kurz seinen Namen und gab an, was er gerade sah.

      »Ein möglicher Autoschieber juckt uns gerade wenig, Herr Hauptkommissar«, urteilte der diensthabende Telefonist in der Einsatzzentrale am anderen Ende der Leitung, »hier ist die Hölle los, ein Kollege des Zolls wurde gerade angeschossen.«

      »Wo?«, fragte Sibold.

      »Beim Grenzübergang Bibern.«

      »Wie ging das vor sich?«

      »Ich habe jetzt keine Zeit, Herr Hauptkommissar«, entschuldigte sich der Telefonist und wollte das Gespräch beenden.

      »Glauben Sie, ich?«, stöhnte Sibold. »Glauben Sie, ich habe Zeit? Ich habe dienstfrei! Schicken Sie eine Streife, aber hopp!«

      »Kollege! Es gibt hier keine Streife, die ich schicken könnte. Alle Mann sind im Einsatz, wir haben im Moment Wichtigeres zu tun, als einem Autodiebstahl nachzugehen.«

      Horst Sibold hörte nur noch ein Klicken. Er schluckte trocken und zwang sich zu innerer Ruhe. Er spähte zu den beiden Burschen hinüber und sah, wie sie jetzt wieder im Wagen saßen und rückwärts auf die Straße stießen.

      Schnell schlug er sich die Saiblinge aus dem Kopf und den Kofferraumdeckel zu. Klar, stimmte er der Einsatzentscheidung zu: Versuchter Mord an einem Kollegen, da hatte alles andere hintenanzustehen. Aber er konnte deshalb doch nicht diese zwei Trübspitze

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