Скачать книгу

waren, wie aus dem Nichts, mehrere eisern schillernde Pflugscharen aufgetaucht. Die Scharen standen drohend in die Luft, direkt vor der Frontscheibe. Sie gehörten zu einem Traktor, der, ohne auf den Verkehr zu achten, von dem Acker auf die kleine Straße gefahren war. Die Straßenverkehrsordnung schien den Fahrer nicht zu kümmern. Der saß geschützt hoch oben auf seiner Zugmaschine, Nebelscheinwerfer hatte er nicht eingeschaltet. Warum auch? Mag sein, dass er gedacht hatte, beim Pflügen würden sie ihm auch im Nebel nicht weiterhelfen. Und auch Nebelschlussleuchten hatte der Bauer bis zu diesem Tag auf dem Feld noch nie eingeschaltet.

      Sven hatte die Pflugscharen in Höhe seiner Frontscheibe gerade noch vor sich gesehen, war heftig erschrocken und stand unvermittelt auf dem Bremspedal, während er laut und aggressiv hupte.

      Der Bauer hörte das Warnsignal offensichtlich nicht, oder es interessierte ihn nicht. Er streifte den für ihn vermeintlichen Städter in seinem Mercedes mit keinem Blick, wendete geschickt seinen schweren Traktor auf dem schmalen Sträßchen und setzte die sechs Pflugscharen danach in aller Seelenruhe wieder in das Erdreich am Straßenrand.

      Sven sah das Schaffhauser Nummernschild an dem Traktor, hupte erneut und zeigte dem Schweizer Bauer seinen gestreckten Mittelfinger. Doch dieser schien sich um die beiden Jungs in dem teuren Auto immer noch nicht zu scheren und zog gemächlich weiter seine Bahn.

      Die beiden Brüder fuhren mit deutlich hörbarem Vollgas weiter. Sie sahen nicht mehr, wie der Bauer grob lächelte, ebenfalls sein Gaspedal bis zum Anschlag drückte und zu seinem Handy griff.

      »Bauerntrottel«, quittierte Sven die Begegnung und reduzierte das Gas gerade rechtzeitig vor der nächsten scharfen Rechtskurve wieder.

      »Für den sind wir die Schwobenärsche, die hier eh nichts verloren haben, der Chaibe, der weiß doch nicht einmal den Unterschied zwischen Baden und Schwaben«, pflichtete Bernd seinem Bruder bei. »Dabei nehmen die mit ihren teuren Fränkli den deutschen Bauern ihre Felder weg.«

      »Deutsches Land in deutsche Hand!«, skandierte Sven und reckte seine rechte Hand, mit ausgestrecktem Arm und ausgestreckten Fingern, hoch nach vorn.

      »Stimmt«, pflichtete ihm Bernd bei, »die haben jetzt schon einige Tausend Hektar bei uns gepachtet oder gar gekauft. Die deutschen Bauern können bei diesen Preisen, die die Schweizer Bauern bezahlen, längst nicht mehr mithalten. Das ist nicht in Ordnung.«

      »Genau«, stachelte Sven seinen Bruder an, »und wenn dann ein deutscher Bauer irgendetwas in die Schweiz einführen will, dann zahlt er kräftig Zoll, der Schweizer Chaibe aber nicht.«

      Dass bei diesem Deal die deutschen Landbesitzer den Reibach machten, so wie auch die Schweizer Grundstücksbesitzer, wenn reiche Deutsche sich ihr Häuschen in der Steueroase Schweiz kauften, so weit wollten die jungen Männer nicht denken. Konnten sie auch nicht, denn so unvermittelt, wie zuvor der Traktor aufgetaucht war, tauchte jetzt ein Zollwagen vor ihnen auf.

      »Scheiße«, entfuhr es Bernd. »Was machen wir jetzt?«

      »Ganz cool bleiben«, versuchte Sven ihn zu beruhigen und holte eine Pistole aus dem Handschuhfach.

      »Bist du verrückt?«, entsetzte sich Bernd.

      »Bleib cool, lass die doch erst mal rankommen, meist winken sie einen sowieso durch.«

      Der Zollwagen fuhr an die Fahrbahnseite, zwei Zöllner stiegen aus, beide setzten sich ihre Dienstmützen auf den Kopf. Dann stellten sie sich mitten auf die Straße und nahmen den Mercedes mit festem Blick ins Visier.

      Sven lenkte den Wagen langsam auf die Beamten zu.

      Er wirkte unentschlossen, er überlegte: Wenn sie ihn nur durchwinken oder nur die Papiere kontrollieren wollten, dann hatte er keinen Grund, sich jetzt auffallend zu verhalten.

      Wenn sie ihn stoppen würden, um den Wagen zu filzen, dann musste er sich etwas einfallen lassen.

      »Scheiße, jetzt sitzen wir in der Falle, der Stinke-Schwizer-Bauerntrottel, der hat uns die auf den Hals gehetzt«, fluchte Bernd.

      Sven grinste verächtlich. Er hielt noch immer die Pistole in der rechten Hand, entsicherte sie jetzt mit der linken und ließ dabei dem Mercedes freihändig den Lauf. Leise schnurrend bewegte sich der Wagen auf die beiden Männer zu.

      Diese postierten sich links und rechts der schmalen Fahrbahn.

      Sven ließ den Wagen zwischen sie rollen.

      Der Zöllner auf der rechten Seite des Wagens hielt seine Hand hoch. Das Zeichen war unmissverständlich: Stopp!

      Sven blickte in den Rückspiegel und entdeckte einen Dienstwagen des Schweizer Zolls hinter ihnen.

      »Aha, so ist das, na denn gut«, kommentierte er die Zange, in die sie geraten waren, und klemmte die Pistole zwischen seine Schenkel.

      »Was machen wir jetzt?«, fragte Bernd ängstlich.

      »Opa sein Geld bringen«, erwiderte Sven völlig gelassen und betätigte den automatischen Fensterheber. Das Glas senkte sich, der Wagen rollte zwischen die beiden Zöllner. Der eine blieb auf der einen Seite am Wagen stehen, der andere stand links auf der Höhe des Beifahrerfensters.

      »Guten Tag, Ihre Papiere bitte«, forderte der Zöllner auf der Fahrerseite Sven auf.

      Sven schaute dem Zöllner in die Augen, lächelte freundlich und griff zwischen seine Beine.

      Dann ging alles sehr schnell: Sven hob die Waffe für den Polizisten kaum sichtbar mit der rechten Hand hoch und feuerte gleichzeitig los. Er gab einfach einen Schuss aus der Hüfte durch das geöffnete Fenster in Richtung des Zollbeamten ab. Gleichzeitig schlug er das Lenkrad scharf nach rechts ein, gab Vollgas, touchierte den rechts stehenden Zöllner und fegte ihn damit von der Straße. Der Wagen machte einen Satz und stob geradeaus davon.

      Die beiden deutschen Zöllner blieben auf dem Boden liegend zurück. Die Schweizer Zollbeamten schalteten vorschriftsmäßig ihr Martinshorn ein und preschten zu ihren deutschen Kollegen. Über Funk schlug der eine Alarm, der andere kümmerte sich zunächst um die beiden Verletzten.

      Sven blickte in den Rückspiegel und lachte: »Dem hab ich ein Ei abgeschossen«, prustete er.

      Bernd saß kreidebleich neben ihm: »Du spinnst, du bist völlig verrückt, was jetzt?«

      »Bleib cool«, beruhigte Sven seinen Bruder, »bis die sich von ihrem Schock erholt haben, sind wir über alle Berge.«

      Der Alarm der Schweizer Zöllner rief zunächst nur die Schweizer Kollegen auf den Plan. Doch dank der internationalen Zusammenarbeit gab es eine Alarmstufe, die auch auf der jeweils anderen Seite der Grenze gehört wurde. Im Hauptzollamt Singen blinkten nur wenige Minuten später die roten Alarmlämpchen in der Einsatzzentrale auf. Von dort aus wurde bald eine Großfahndung auf der deutschen Seite gesteuert. Mordversuch an einem Kollegen! Aus allen Polizeistationen von Waldshut über Villingen-Schwenningen bis nach Singen und Konstanz rückten alle Mann aus.

      Sven aber gab sich zuversichtlich. Er fuhr zunächst in Richtung Engen. Er wollte diesem Wirrwarr der kleinen Sträßchen entlang der Grenze entkommen. Auf der Autobahn konnte er mit seinem stark motorisierten Wagen schnell Kilometer wettmachen. Auf der anderen Seite war ihm klar, dass gerade dort die Straßensperren zuerst aufgebaut würden. Das sprach für die kleinen Nebenstraßen.

      »Wir sollten möglichst schnell in Singen alles in meinen Golf umladen«, schlug Bernd vor.

      »Bist du verrückt? Jetzt nach Singen hineinfahren?«, herrschte Sven ihn an.

      »Klar, volle Kanne der Polizei entgegen, das glauben die doch nie«, verteidigte Bernd seine Idee. »Die sind jetzt auf alle Autos geeicht, die möglichst weit vom Tatort wegfahren. Wer dagegen in der Nähe bleibt, hat nichts zu verbergen.«

      Sven bremste scharf ab und schoss in einen Waldweg. »Schnell, wechseln wir die Nummernschilder aus«, befahl er seinem Bruder und sprang aus dem Wagen, riss die hintere Tür auf, hob die Rückbank hoch und machte sich an der Innenverkleidung des Wagens zu schaffen.

      Bernd rannte in der Zwischenzeit um

Скачать книгу