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illegale Absicht verfolgte. Eine fremde Dame, spätabends allein auf der Straße, das war ungewöhnlich. Und August Ruf, der Stadtpfarrer, war bekannt für seine antinazistische Einstellung. Joseph Stehle witterte ein mögliches Geschäft für sich. Zu lange schon hatte er seine Fähigkeit, Wertsachen über die deutsch-schweizerische Grenze zu schieben, nicht mehr genutzt.

      Er sah in der Dunkelheit, wie der Frau im Pfarrhaus Einlass gewährt wurde. Er wartete. Es dauerte circa eine halbe Stunde, dann kam sie wieder aus dem Pfarrhaus heraus und ging direkt zum Central-Hotel.

      Stehle folgte ihr durch die Adolf-Hitler-Straße bis vor das Hotel in der Innenstadt Singens. Er sah, wie nach kurzer Zeit in einem Gästezimmer ein Licht angeknipst wurde. Es war im ersten Stock, das dritte Zimmer von links.

      Stehle rauchte genüsslich eine Zigarette und wartete, bis ihr Licht erlosch.

      Dann wusste er, was er zu tun hatte.

      Kapitel 2

      »Nichts wäre leichter, als mit dem Boot den ganzen Kladderadatsch von Kreuzlingen nach Meersburg zu schippern, warum nur müssen wir versteckt über diese kahlen Felder kutschieren?«

      »Was machst du dir einen Kopf? Bisher ging immer alles glatt, Opa wird schon wissen, warum er uns mit der Karre nach Zürich geschickt hat!«

      »Sind wir überhaupt noch in der Schweiz? Oder sind wir schon in Deutschland?«

      »Was soll’s, wir sind mitten in Europa, mach dir nicht ins Hemd, du Scheißer.«

      Sven steuerte den schweren, silbergrauen Mercedes mit leichter Hand über die schmalen Straßen am Südhang des Randen entlang. Das eingebaute Navigationsgerät verriet ihm die kleinsten Feldwege mit allen möglichen Grenzübergängen. Sven war wie immer gut gelaunt. Er hatte eine große, neumodische Sonnenbrille auf der Nase, freche Sommersprossen und lockige, blonde Haare, die ihm tollkühn ins Gesicht hingen. Er grinste verwegen und drehte das Radio lauter. Er hatte gerade eine CD der Böhsen Onkelz eingeschoben und grölte mit. »Nur die Besten sterben jung …«

      Sven führte oft und gerne Aufträge für seinen Opa aus. Der kleine Gefallen, den er ihm heute tat, war eine Lappalie. Einmal Zürich und zurück, pah! Er würde die Karre noch einige Zeit behalten dürfen, und schon allein dieser Gedanke gefiel ihm. Heute Abend würde er damit eine Tour durch die Singener Innenstadt unternehmen. Zwar waren die Gartenwirtschaften jetzt im späten Herbst längst geschlossen, aber seine Kumpels hingen noch immer gerne vor dem ›Exil‹, einer seiner Stammkneipen, herum.

      Sein nur um wenige Jahre älterer Bruder Bernd dagegen wirkte eher ängstlich. Er saß steif neben Sven. Er trug eine etwas biedere Kombination: braune Kordhose, blaues Hemd und ein schwarzes Sakko. Seine Haare waren kurz geschnitten, seine Brille hatte dicke Gläser mit Zylindern. Im Gegensatz zu seinem Bruder gefielen ihm die Aufträge seines Opas nie. Er hatte dabei immer das Gefühl, etwas zu tun, das er nicht ganz durchschaute.

      Auf der anderen Seite war der Auftritt heute Morgen cool gewesen. Sie waren in Zürich in der Bahnhofstraße direkt beim Hauptsitz der Schweizer Bankgenossenschaft vorgefahren. Locker hatte Sven den Wagenschlüssel in die Hände eines Bediensteten geworfen, dann hatten sie die Papiere von Opa auf einen Tisch gelegt, und schon waren sie bedient worden wie Staatsgäste im Bundespräsidialamt. Es hatte Kaffee und feinste Sprüngli-Pralinen und anschließend eine Führung in die Katakomben des noblen Bankhauses gegeben. Dort hatte ihnen ein weiterer Bediensteter mehrere Schlüssel überreicht, und gemeinsam hatten sein Bruder Sven und er mehrere Fächer seines Opas in dem Saferaum geplündert. Sie hatten dabei konzentriert vorgehen, zum Teil nummerierte Goldbarren entnehmen und notieren sowie einen nicht unerheblichen Batzen Bargeld zusammenzählen müssen.

      »Befehl von Opa«, hatte Sven gegrinst und einige Scheine, wie in einem schlechten Hollywoodstreifen, in die Luft geworfen.

      »Woher der das alles nur hat?«, wollte Bernd im Auto wissen.

      »Du fragst, wie immer, zu viel«, wies ihn Sven zurecht. »Du weißt doch: W-Fragen beantwortet nur der liebe Gott.«

      »Scheiß drauf, das muss gerade der Alte sagen, der weiß ja nicht einmal, wie man Gott schreibt.« Bernd hasste die Ausflüchte seines Opas auf alle die Fragen, die darauf abzielten, ein bisschen Licht in das mysteriöse Leben des alten Herrn zu bringen.

      »Dafür muss er einen guten Draht zu ihm haben«, beschwichtigte Sven seinen Bruder, »der Nebel kommt doch wie vom lieben Gott selbst gemacht.«

      Es war ein klarer Novembertag. Für die Jahreszeit war es bisher viel zu warm. Sonnenstrahlen schafften sich immer wieder einen Weg durch die wallenden Nebelbänke, die vom See aus dank dem leichten Ostwind sanft westwärts geschoben wurden. Jetzt in den späten Nachmittagsstunden drückten sich die Nebelbänke aus dem Tal unterhalb des Randen nach oben in die Hügelkette zwischen der Schweiz und Deutschland empor. Die Wälder liegen hier einsam, nur unterbrochen von einigen Wiesen und Feldern und wenigen einzelnen Bauernhöfen. Wanderer können sich nur schwer orientieren, wo und wann sie die Staatsgrenze überschreiten. Dabei kann es vorkommen, dass sie trotz Geradeausmarsch in nur eine Himmelsrichtung öfter die Grenzseite wechseln, als sie es selbst wahrnehmen. Hie und da stehen alte, längst vermooste Grenzsteine, manchmal ein neues Schild, das Grenzgänger ermahnt, nicht zu schmuggeln.

      Die Autofahrer haben es leichter, sich zu orientieren. Sie sehen zumindest die obligatorischen Grenzschranken, sofern sie auf den ordentlichen Straßen fahren. Und an jedem offiziellen Grenzübergang entlang dieser kleinen Landstraßen wehen sichtbar deutsche und schweizerische Flaggen in gemeinsamer Eintracht.

      Allerdings sind die Zollhäuser selbst oft unbesetzt. Eine Garantie dafür gibt es aber nicht, denn hin und wieder wird trotz Personalmangels auch an den kleinen Grenzübergängen kontrolliert. Doch das Besetzen dieser Posten lohnt sich kaum. Es gibt an den kleinen Grenzübergängen fast keinen Verkehr. Meist sind es nur wenige Traktoren, die dort über die Grenze fahren, denn die deutschen Landwirte verpachten ihre Äcker gerne an Schweizer Bauern. Diese bezahlen mehr als ihre deutschen Kollegen.

      Die beiden Brüder hatten sich den kleinen Grenzübergang bei Wiechs am Randen, zwischen dem kleinen Flecken der schweizerischen Ortschaft Bibern und dem noch kleineren deutschen Klecks Beuren, ausgesucht. Langsam näherten sie sich dem kleinen Zollhäuschen von der Schweizer Seite kommend. Beide Staatsfahnen hingen vor der Zollstation schlaff im Wind. Die Amtsstube war in einem Gebäude untergebracht, das nicht viel mehr Raum bot als eine Garage. Trotzdem war das Häuschen ordentlich hergerichtet. Vor den Fenstern haderten rote Geranien mit einem bevorstehenden Winter, dem noch immer die Kraft fehlte, echte, für sie tödliche Fröste zu schicken.

      Sven hatte circa 100 Meter vor dem Grenzübergang angehalten. Er griff zu einem Fernglas auf der Rückbank des Wagens. Er schob seine Sonnenbrille lässig nach oben und hob das Glas vor seine Augen. Dann schwenkte er, wie ein Jäger auf der Pirsch, die Straße vor sich ab. Er spähte nach einem Auto der Zollbeamten, sah aber keines. Beruhigt gab er langsam wieder Gas.

      »Lass uns doch erst mal zu Fuß die Lage abchecken«, riet Bernd und minderte die Lautstärke der Böhsen Onkelz.

      »Pah, die faulen Säcke sind doch alle zu Hause«, provozierte Sven und drückte das Gaspedal kräftiger durch. Der schwere Wagen schaltete automatisch vom zweiten in den dritten Gang und beschleunigte.

      Bernd nahm das Fernglas von Sven und spähte nun ebenfalls. Er sah die geöffnete Schranke und die Tür des Zollhäuschens verschlossen. Erleichtert erwiderte er: »Du hast recht, der Schlagbaum ist oben.«

      »Give me five«, forderte Sven seinen Bruder auf, und sie schlugen ihre jeweils rechten Handflächen aneinander.

      Lachend überquerten sie die unbesetzte Grenzstation.

      »Und jetzt nichts wie Gas«, freute sich Bernd und drückte mit seiner linken Hand auf das rechte Knie seines Bruders und damit dessen Fuß noch fester auf das Gaspedal.

      Nach dem ungehinderten Grenzübertritt bogen die beiden in ein weiteres Nebensträßchen auf dem Weg von dem schweizerischen Örtchen Thayngen in Richtung des deutschen Kleinstädtchens Tengen.

      Über

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