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stöhnte, er fühlte sich nach der Absolution noch beschissener, flüsterte ihr trotzdem ein paar aufmunternde Worte ins Telefon und legte schnell auf. Gleichzeitig kam er sich so mies vor, wie es vermutlich Lena gerade ging.

      Der Mooser Fischtopf mit den Bodenseefischen Hecht, Zander und Kretzer sowie der sagenumwobenen Rouille ließen ihn schnell wieder an seine Bodenseeliebe glauben. Er schrieb Lena eine aufmunternde SMS, verdrängte für den Rest des Abends sein schlechtes Gewissen und bestellte noch ein zweites Glas Wein. Der Riesling vom Hohentwieler Elisabethenberg des Weinguts Vollmayer schenkte ihm eine angenehme Säure und die Sicherheit, dass seine Entscheidung, an den Bodensee zu ziehen, auf jeden Fall gut war.

      Kapitel 4

      ›Strahlender Apriltag voller Wunder und Blüten. Mit klarblauem Himmel erwachte der 1. April 1944‹, schrieb der Schaffhauser Bürger Erwin Nägeli in sein Tagebuch. Es waren die Zeiten, in denen die Schweizer ihre Neutralität genossen. Denn auf der anderen Seite der Grenze erschallte Tag für Tag der hässliche Sirenenton des Bombenalarms. Die Schaffhauser sahen von ihrem Marktplatz aus jeden Tag die Staffeln von Hunderten silbern glänzenden Flugzeugen mit deren tödlichen Frachten am nördlichen Horizont. Sie hörten das ferne Grollen der Explosionen und das Hacken der Bordwaffen. Waldshut, Blumberg, Singen – die deutschen Städte rund um ihre Heimat standen in Flammen. Doch im vermeintlich sicheren Schaffhausen ging alles seinen Gang. Die Friedenstaube im Rundbogen des Herrenackerviertels gurrte.

      Doch um 11 Uhr desselben Tages sollte Erwin Nägeli tot sein und sich Schaffhausen mitten im Krieg befinden.

      *

      Zwei Tage zuvor war Joseph Stehle als Schaffner der Deutschen Reichsbahn wieder einmal über die Grenze von Singen nach Schaffhausen gefahren. Er hatte nur einen kurzen fahrplanmäßigen Aufenthalt und wollte diesen nutzen, um sein beachtliches Kapital, das er längst auf mehrere amerikanische Banken verteilt hatte, nach Argentinien zu transferieren. Er hatte gehört, dass seit Kriegseintritt der Amerikaner der Kapitalfluss auch aus der Schweiz nach Amerika streng überwacht wurde. Mehrere Milliarden waren schon über den großen Teich überwiesen worden. Kapital, das zum Teil vor den Nazis geschützt werden sollte, aber auch, so vermutete die US-Regierung, Nazigeld selbst.

      *

      Joseph Stehle hatte es nicht weit vom Bahnhof zu seiner Bank. Er drückte rasch die Klinke der Banktür und wollte eintreten. Doch gleichzeitig mit ihm drängte sich ein anderer vermeintlicher Kunde in den Geschäftsraum.

      Der kleine Kassierer hinter dem Panzerglas schaute interessiert auf. Stehle achtete nicht weiter auf den zweiten Mann, schloss die Tür und ging zielstrebig auf den Kassierer zu. Barsch forderte er ihn auf: »Ich muss Direktor Wohl, den Junior, reden, schnell!«

      Der Kassierer nickte untertänig und drückte auf einen Klingelknopf, der vor ihm in die Tresen montiert war. Dann blickte er auf den Mann neben Stehle, doch dieser sagte kein Wort.

      »Mein Herr«, forderte der Kassierer ihn auf, seinen Wunsch zu formulieren, und schaute ihn direkt an.

      Der Fremde aber blieb stumm. Er schien nur Augen für Stehle zu haben und beobachtete diesen unverhohlen.

      Jetzt erst fiel der Mann auch Stehle selbst auf. Er war sehr jung, sicherlich keine 30 Jahre alt. Er hatte blondes, kurz geschorenes Haar, sodass die Haarspitzen sich kaum legen konnten. Sie standen, wie bei einer umgedrehten Bürste, auffallend steil nach oben. Sein Gesicht wirkte, trotz seines jugendlichen Aussehens, streng. Der Anzug, den er trug, schien teuer, sein Trenchcoat war salopp.

      Die beiden Männer musterten sich kurz und stechend.

      Stehle wurde unsicher.

      Der Fremde lächelte lässig.

      »Mein Herr, bitte, was kann ich für Sie tun?«, intonierte der Kassierer erneut mit ungeduldiger Stimme.

      »Sie?«, lächelte der Mann den Kassierer an, »Sie, nichts!«

      Der Kassierer wandte sich verunsichert zu Stehle.

      Dieser zuckte ratlos die Achseln.

      Schließlich regte sich der Fremde doch und sagte mit deutlich hörbarem englischen Akzent: »Ich warte mit Herrn Stehle auf Ihren Bankdirektor.«

      Plötzlich witterte Joseph Stehle Gefahr. Woher kannte der Mann seinen Namen? Der Kassierer hatte ihn nicht damit angesprochen. Was wollte er von ihm? Er blickte ihn scharf an.

      Der Fremde reagierte gelassen: »Ich hoffe, Sie haben Zeit.«

      »Nein, keine Minute!«

      »Ich weiß, Ihr Zug, Sie müssen zurück nach Deutschland. Aber Sie werden sich ein bisschen Zeit nehmen müssen«, antwortete der Mann selbstsicher.

      Stehle schluckte. Er wusste nicht, was er dem fremden Mann antworten sollte, zu selbstbewusst stand dieser neben ihm.

      Der Kassierer spitzte seine Ohren. Endlich, schien er zu denken, endlich brach jemand die Arroganz dieses überheblichen Schaffners.

      Noch bevor Stehle sich fangen konnte, öffnete ein hagerer, großer Mann mit akkurat kurz rasiertem Oberlippenbart die Tür zu dem Besprechungszimmer neben der Kasse und nickte Stehle auffordernd zu.

      Dieser wollte sich aus der unangenehmen Situation retten, setzte zu einem stürmischen Lauf an, hielt dann plötzlich nach zwei Schritten wieder inne und schaute unsicher zu dem Bürstenhaarschnitt im Trenchcoat zurück.

      Doch dieser stand schon fast wieder auf seiner Höhe, lächelte ihm aufmunternd zu und ging zielgerade weiter an ihm vorbei auf den vermeintlichen Bankdirektor zu: »Grüezi, Herr Wohl«, sagte er und reichte dem verdutzten Bankchef unverfroren seine Hand. »John Carrington is my name. Aber lassen Sie uns alle zusammen drinnen weiter sprechen«, lud er die beiden überraschten Herren in das Besprechungszimmer ein, aus dem der Bankdirektor gerade getreten war.

      Joseph Stehle setzte seinen begonnenen Sturmlauf fort und hetzte ebenfalls in den Besprechungsraum hinterher. Kaum drinnen, drehte er sich sofort um und stellte sich vor den fremden Eindringling. »Es reicht, wer sind Sie? Was wollen Sie? Woher kennen Sie meinen Namen?«

      John Carrington lachte belustigt: »Reiche Männer sind schnell bekannt. Und Sie sind verdammt reich – für einen Schaffner sogar ungewöhnlich reich.«

      Der jugendlich wirkende Bankdirektor vergewisserte sich mit einem geübten Blick, dass keine weiteren Kunden in der Filiale zu Zeugen des Schauspiels geworden waren, und schloss schnell die Tür. »Was wollen Sie?«, blaffte nun auch er den fremden Mann an.

      »Ich bin ein Agent der US-Finanzpolizei«, stellte John Carrington sich vor, »und wir haben ein paar Fragen an Sie und Ihren Kunden Stehle, oder soll ich sagen Ihren Komplizen?«

      Das war das Stichwort für einen Auftritt des Bankdirektors. Oswald Wohl, Schweizer Staatsbürger und Eigner der Privatbank Wohl & Brüder, setzte zu einer Lehrstunde zum Thema Schweizer Bankgeheimnis an: »Sie wissen wohl nicht, wo Sie sich hier befinden?«, raunzte er in Richtung des vermeintlichen amerikanischen Agenten, »Sie sind hier auf neutralem Boden der Schweizer Eidgenossenschaft, und hier gilt nur das Schweizer Recht, und zwar nach dem Bankengesetz von 1934. Wir sind dem Geheimnisschutz verpflichtet, und niemand wird hier zu keiner Zeit in diesen Räumen irgendetwas sagen oder erzählen über Bankgeschäfte gegenüber Dritten, ob gegenüber dem Staat, dessen Organen wie der Polizei oder wem auch immer. Schon gar nicht gegenüber der«, dabei lächelte er nun milde, »der US-Finanzpolizei!«

      Nach dieser Tirade holte Oswald Wohl tief Luft und rüstete zur zweiten Runde. Er piekste mit dem Zeigefinger dem ungebetenen Besucher auf die Brust: »Im Übrigen, Herr Amerikaner«, referierte er ereifernd weiter, »im Übrigen werden Sie uns hier nicht zu einer Straftat drängen können, denn wenn ich Ihnen, und dann noch einem Amerikaner, auch nur ein Sterbenswörtchen von den Geschäften irgendeines Kunden erzählen würde, würde ich mich nach Schweizer Recht strafbar machen. Nach Schweizer Recht!«, betonte er laut, »und nur das zählt hier, verstanden?«

      John Carrington hatte alle Ausführungen des

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