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deutschem Boden. Wir müssen schon heute für die Zeit nach Hitler sorgen. Eure Armee hält an der Ostfront die Russen nicht mehr auf. Stalin ist auf dem Vormarsch, wir bekommen täglich neue Meldungen von den Russen. Weißt du, was das heißt?«

      Joseph Stehle hatte endlich eine einigermaßen erträgliche Lage gefunden. Er hatte seinen Gurgelknopf unter der drückenden Sohle etwas auf die Seite drehen können. Angestrengt schielte er zu seinem Peiniger hoch.

      Carrington zog erneut an der Zigarette und schnippte sie dann weit weg, während er den Rauch energisch aus den Lungenflügeln blies.

      Dann schaute er wieder zu Stehle hinunter, nahm den Fuß vom Hals des fragwürdigen Millionärs und kniete sich neben ihn. Er fasste ihn am Kragen und zog dessen Kopf zu sich hoch. »Es gibt für dich nur eine Chance«, seine Stimme wurde jetzt leise, fast komplizenhaft redete er auf ihn ein, »du schließt dich uns an. Wir sind ein kleiner Kreis, der weiß, dass unser Feind nicht Hitler ist, sondern Stalin. Wir wissen, dass Hitler geopfert werden muss, darauf wartet die Weltöffentlichkeit. Aber halte unsere Regierung nicht für blöd. Der Präsident weiß, wer langfristig unsere Verbündeten sind. Deshalb wollen wir mit dir einig werden. Wir werden dein Geld freigeben, ohne dass sich in Zukunft irgendwelche Spuren mehr verfolgen lassen, woher das Geld überhaupt kam. Aber den Großteil des Geldes, das ohnehin nicht dir gehört, benötigen wir für den Aufbau unserer Organisation nach dem Krieg hier in Europa.«

      In Stehles Kopf pochte es. Er drehte das Gesicht zur Seite und spuckte Blut. Seine Lippen waren aufgeplatzt, jetzt schwollen sie an. Er bekam kein Wort heraus.

      John Carrington legte Stehles Kopf sachte auf den Schotter zurück. »Ich sage dir, wie es weitergeht«, fuhr er fort, »du wirst deinen Bankdirektor überzeugen, dass er nur mit uns einen Teil seines und deines Kapitals in den Vereinigten Staaten retten kann. Mach ihm klar, dass wir seine Bank in Schutt und Asche legen, wenn er unsere Anweisungen nicht befolgt. Wir haben alle Mittel und Wege, euch beide zu vernichten oder euch am Leben zu lassen. Ihr werdet von uns hören.«

      Joseph Stehle kam nicht dazu, auch nur ein Wort zu erwidern. Es schien Carrington keinen Deut zu interessieren, was er noch vorzubringen gehabt hätte. Carrington stellte ihn vor die Entscheidung, vor die jeder Straßenräuber sein Opfer stellt: Geld oder Leben?

      Dann verschwand er in der Dunkelheit.

      *

      Joseph Stehle kam nur langsam wieder zu sich. Er tastete sein rechtes Bein ab und versuchte, vorsichtig aufzustehen. Dann humpelte er zu seinem Fahrrad, suchte seine beiden Eimer, tastete den dunklen Boden nach seinen vier Würsten ab und fluchte leise vor sich hin.

      Im Vorderrad waren vier Speichen gebrochen. Carrington hatte ihm offensichtlich einfach einen Stock ins Rad gesteckt. Das erklärte auch seinen Abwurf über den Fahrradlenker. Die Wurstsuppen waren aus den Eimern gelaufen und im Erdreich versickert. Wenigstens lagen die vier Würste aber noch auf dem Boden.

      Töchterchen Mechthilde weinte, als sie ihren Vater im Flur stehen sah.

      Dafür lachte sie schon am nächsten Tag wieder, als auf dem Sauerkraut mit Salzkartoffeln zwei Leber- und zwei Blutwürste vor sich hin dampften: »Papa, du bist der Beste«, küsste sie ihn auf seine verwundeten Lippen.

      Joseph Stehle drückte sein Kreuz durch und strahlte. Wenn seine kleine Tochter zu ihm aufsah, dann war die Welt für ihn in Ordnung.

      *

      Wenige Wochen später begannen die Alliierten, gezielt das deutsche Verkehrsnetz zu bombardieren. Trotzdem fuhren noch immer die Züge über die Grenze von Singen nach Schaffhausen. Joseph Stehle wollte die Gelegenheit bei einer seiner nächsten Fahrten nach Schaffhausen nutzen, um nach seinem Komplizen Oswald Wohl zu sehen und zu bilanzieren, wie viel seines Kapitals noch beweglich war.

      Sein Zug lief in Schaffhausen um 8.10 Uhr ein und musste planmäßig um 11.30 Uhr zur Rückfahrt bereitstehen. Die Lok mit ihren drei Waggons sollte auf Gleis drei einfach stehen bleiben, denn der größte Teil des normalen Zugverkehrs stand kurz vor dem Erliegen. Nur noch einzelne Verbindungen gab es von Schaffhausen nach Singen, und nur noch wenige Verbindungen weiter bis nach Zürich. Die Verbindungen nach Basel, über die deutschen Städte Tiengen und Waldshut, waren eingeschränkt worden.

      Joseph Stehle eilte gleich nach der Einfahrt in den Bahnhof Schaffhausen in sein Dienstabteil und zog seine Uniform aus. Es war nicht mehr die Zeit, in der man sich auf Schweizer Straßen gerne als Deutscher zu erkennen gab. Leger, in Zivil gekleidet, schlenderte er Richtung Bankhaus Wohl & Brüder.

      Das Bankhaus hatte den Angriff der US-Bomber heil überstanden. Trotzdem beschlich Stehle ein flaues Gefühl, als er das schmale Haus in der Schaffhauser Innenstadt betrachtete. Er roch den Stiefel Carringtons in seiner Nase und griff unwillkürlich nach seinen gerade verheilten Wunden im Gesicht. Kurz verharrte sein Schritt, unsicher schaute er sich um.

      »Mach doch keis Büro uuf«, drohte plötzlich eine Stimme hinter ihm, und Stehle spürte einen stumpfen Gegenstand in seinem Kreuz. »Chum, gang wiiter«, forderte ihn die Stimme auf und schob ihn über die Straße in das Bankhaus.

      Der Schalterraum wirkte auf Stehle noch düsterer als sonst. Dann sah er, dass das einzige Fenster des Raumes mit Zeitungspapier zugeklebt war. Der Mann hinter ihm verschloss die Ladentür. »Chunnsch druus?«, fragte er ihn und forderte ihn auf: »Hei gang wiiter, du kennscht doch de Wäg.«

      Der Kassenraum war verwaist. Stehle sah, dass die Nebentür in das Besprechungszimmer offen stand. Aus dem Zimmer hörte er Stimmen und sah im Gegenlicht in der Luft Rauchschwaden stehen. Er roch Zigarettenqualm und erinnerte sich an den amerikanischen Agenten. Der Mann, der ganz offensichtlich vor der Bank auf ihn gewartet hatte, schob ihn in den Raum.

      »Grüezi«, lachte ihn in einem schrecklichen, nachgeäfften Schweizerenglischdeutsch John Carrington an, »welcome in our Club!«

      Stehle fluchte innerlich. Wie konnte er so blauäugig schon wieder diesem Mann in die Fänge laufen.

      »Es war eine Frage der Zeit, des korrekten Fahrplanes der Deutschen Reichsbahn und eures Dienstplans«, beantwortete Carrington Stehles unausgesprochene Frage, »wir mussten uns wiederbegegnen.«

      Stehle blieb wie angewurzelt unter dem Türrahmen stehen. In dem Besprechungsraum saßen neben Carrington noch drei weitere, ihm unbekannte Männer, und Oswald Wohl. Über dem Besprechungstisch strahlte eine Leuchtröhre, da auch in diesem Raum die Fenster verhängt waren. Auf dem Tisch lag eine Unzahl von Papieren. Stehle erkannte, dass es sich um Kontoauszüge handeln musste, die Runde hatte ihn offensichtlich erwartet.

      »Ja«, lachte Carrington, »alles Ihre Konten, gratuliere, was für ein erfolgreicher Schaffner Sie doch sind.«

      Stehle wurde blass. Wie viele Ängste und bange Minuten hatte er durchgestanden, um dieses Kapital anzuhäufen. Selbst zum Mörder war er geworden und zum Verräter. Er dachte an Luise Levy und vor allem an Katharina. Und nun sollte alles umsonst gewesen sein? Er blickte Hilfe suchend zu Wohl.

      »Mir sind die Hände gebunden, Joseph. Lass uns in Ruhe darüber reden«, flüsterte der.

      »Woher wissen Sie, welches meine Konten sind«, fragte Stehle barsch, »und mit welchem Recht sitzen Sie hier?«

      »Stalin«, begann Carrington einen längeren Monolog, »Sie haben die Chance, die Machtverhältnisse von morgen schon heute zu akzeptieren. Sie können mit uns zusammenarbeiten und uns nach dem Ende des Krieges mit Ihrem Geld helfen, eine sinnvolle Verteidigung gegen das kommunistische Bollwerk und die Rote Armee aufzubauen. Ihr Geld ist verloren, wenn Sie sich gegen uns stellen. Sie können unser Freund werden, wenn Sie mit uns nach vorne schauen. Wir, das sind die neuen Machthaber in Europa. Vergessen Sie Ihren Traum von einem Vierten Reich. Wir alle müssen gemeinsam gegen nur eine Gefahr kämpfen, gegen die Rote Armee. Stalin wird sich nicht mit Berlin zufriedengeben, er will bis zum Rhein, oder vielleicht sogar bis zum Atlantik. Deshalb sitzen hier am Tisch auch Freunde des britischen Geheimdienstes MI 5 und ein offizieller Vertreter der Schweizer Bankenaufsicht, der aber auch ein Mitglied des Schweizer Geheimdienstes P 26 ist. Glauben Sie mir, ohne uns ist Ihr Geld futsch. Mit uns können Sie nach dem Ende des

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