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will morgen persönlich kommen und während einer Pressekonferenz dem Chef zu seinem schnellen Erfolg gratulieren«, klärte ihn der Kollege auf.

      »Dann haben wir ja bis morgen noch etwas zu tun.« Horst Sibold stellte sein Wasserglas neben leere Sektgläser, legte dem Kollegen eine Hand auf die Schulter und schob ihn aus dem Raum. »Ich habe eine Idee«, drängte er ihn zum Gehen.

      Sibold fuhr mit seinem Kollegen von der Hegau-Klinik, am Rande der Singener Weststadt, direkt in die Erzbergstraße in der Innenstadt. Dort saßen die beiden Untersuchungshäftlinge in der Justizvollzugsanstalt jeweils in einer Einzelzelle.

      *

      Sven und Bernd waren bis zu jenem Morgen abwechselnd verhört worden. Immer wieder wurden sie gebetsmühlenartig das Gleiche gefragt. Dann wurden die Aussagen abgeglichen und immer wieder mit neuen möglichen Variationen der vermeintliche Tathergang im Einzelnen durchexerziert. Schließlich waren sie alle erschöpft. An Dienstzeiten und vor allem Vorschriften zur Länge der Verhörzeiten hatten sie sich nicht gehalten.

      Dass Sven abgebrühter war, stellte sich bald heraus. Ihn konnten sie nur dann aus der Reserve locken, wenn sie ihn mit neuen Teilgeständnissen seines Bruders Bernd konfrontierten.

      Horst Sibold fuhr nach den Verhören in den frühen Morgenstunden gegen 4 Uhr nach Hause. In der Küche seiner Junggesellenwohnung dachte er noch einmal kurz an seinen verpassten Saibling, der nun noch immer in der Biber schwamm. Früher hätte er jetzt ein Bier oder gar eine Flasche Wein geköpft. Jetzt aber legte er sich mit einem flauen Gefühl im Magen ins Bett.

      Um 8 Uhr klingelte das Telefon. Sein Abteilungsleiter bestätigte ihm die Berufung in die Soko. Er solle sofort seinen Dienst antreten. Hätte Sibold gewusst, dass zum Dienst antreten strammstehen vor dem Staatssekretär hieß, hätte er sich Zeit gelassen. So aber hatte er sich schnell einen Kaffee aufgebrüht, ein Käsebrot verschlungen und war losgefahren.

      Dafür hatte er während der Rede des Landespolitikers im Krankenhaus fieberhaft überlegt, wie sie der Aussagebereitschaft der beiden Jungs nachhelfen konnten. Sven gegen Bernd, Bernd gegen Sven – das schien ihm der einzige Erfolg versprechende Weg zu sein.

      Von der Burgstraße bog Sibold direkt über die Widerholdstraße in die Erzbergstraße. Hier stand das einzige, während des Zweiten Weltkriegs in den Jahren 1939 bis 1942 erbaute deutsche Gefängnis. Es hatte seine abschreckende äußere Fassade verloren und stand heute leicht zu übersehen hell und freundlich hergerichtet inmitten einer Wohnsiedlung. Es diente nun in erster Linie Männern über 62 Jahren als Haftanstalt. ›Seniorenresidenz‹ nannten die Singener das Gefängnis liebevoll – ein einmaliges Versuchsmodell, bei dem die Insassen ihren Vollzugsalltag weitgehend selbstständig gestalten sollten.

      Der Vollzugsbeamte erkannte den neutralen Dienstwagen der Kripo mit Freiburger Kennzeichen und öffnete das schwere Metalltor. Sibold fuhr in die Schleuse, nachdem sich das Tor hinter ihm geschlossen hatte, durch ein zweites Tor, direkt in den Innenhof.

      Ein paar ältere Männer standen zwanglos im Hof zusammen und hielten sich an hölzernen Besenstielen fest. Sie hatten wohl die Aufgabe, einzelnen, wenigen Herbstblättern nachzustellen, die der Wind über die Mauer geweht hatte. Doch jetzt war eine heftige Diskussion zur Trainerfrage des SC Freiburg unter ihnen ausgebrochen. Einer von ihnen forderte energisch die Reaktivierung von Volker Finke, alle anderen aber bekundeten Solidarität mit dem neuen Trainer Robin Dutt, der zurzeit nicht so glücklich agierte. Finke dagegen war der alleinige Rekordhalter im deutschen Profifußball, der über 15 Jahre den badischen Klub trainierte und mit dem Verein in dieser Zeit dreimal in die Bundesliga auf- und wieder abgestiegen war. »Der Dutt packt des scho no«, verteidigte ein Senior der Haftanstalt den neuen Trainer, »die stiege uf.«

      Auch die beiden Polizisten bewegten sich völlig frei auf dem Gefängnisgelände. Sie gingen an der diskutierenden Häftlingsgruppe vorbei. Sibold grüßte sie mit einem freundlichen: »Guten Morgen, meine Herren«, und konnte sich als Schwabe einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen, »der Finke ist in Rente, der Trainer des Landes heißt Armin Veh!«

      »Wenn schon Ralf Rangnick,« konterte der Wortführer der Gruppe, »iser badisches Hoffenheim ist noch immer weit vor eurem Schwoben-VfB.«

      Hinter der Eingangstür des Gefängnistrakts erwartete die Polizisten ein Vollzugsbeamter. »Sie wollen zu unsern beiden Youngsters?«

      Sibold bejahte. »Zuerst zu Bernd Vierneisel, dann zu Sven.«

      Das Altherrengefängnis in Singen diente auch zur Unterbringung der Untersuchungshäftlinge der Polizeibezirke Singen und Radolfzell. Auch die beiden Brüder wurden hier eingewiesen. Sie wurden jeweils in einem anderen Auto gefahren und mussten auch in verschiedenen Zellen, auf unterschiedlichen Ebenen, verwahrt werden; so lautete die Anordnung. Dass dies auch ausgeführt wurde, war nicht selbstverständlich, doch für Sibolds Plan wichtig. Deshalb ließ er sich zuerst zu Bernd führen.

      Der Vollzugsbeamte spähte durch den Spion der Zellentür. Dann lächelte er milde, öffnete das Schloss und zog die dicke, schwere Tür zu sich hin auf. Bernd Vierneisel lag zusammengekauert auf seinem Bett. Neben dem Bett stand ein Eimer, in den er sich erbrochen hatte.

      Die Zelle war karg eingerichtet. In der Ecke zum Fenster stand ein Bett. Am Fußende des Bettes war ein Waschbecken angebracht, daneben war die Toilettenschüssel montiert. Der Deckel stand offen, Erbrochenes befand sich auch hier. An der Wand gegenüber standen ein Tischchen und zwei Stühle. Mehr gab es nicht. Das Licht fiel durch ein kleines, vergittertes Fenster. Es roch streng, doch das Fenster war nicht zu öffnen. Der Fenstergriff war abmontiert.

      Der Justizvollzugsbeamte griff zu seinem Schlüsselbund, nahm einen Stuhl, ging zu dem Fenster, stellte sich auf den Stuhl und öffnete mit einem Vierkantschlüssel die Luke.

      Bernd sah zu ihm auf, seine Augen waren verquollen.

      Sibold sah, dass der Junge geweint hatte. Er schaute zu seinem Kollegen, gab ihm mit seinem Ellenbogen einen leichten Schubs, und die beiden begannen mit ihrem Verhörspiel.

      »Bernd«, sagte Sibold sanft, »wir müssen jetzt nach vorne schauen. Ihr habt euch die Scheiße eingebrockt, jetzt müssen wir darauf achten, dass wir zusammen ohne großen Schaden für euch die Suppe wieder auslöffeln. Du bist noch jung, versau dir dein Leben nicht wegen einiger Typen, die euch nur ausnutzen. Mach reinen Tisch, und ich helfe dir aus der Scheiße.«

      Bernd schluchzte.

      Sibold schob nach: »Warum willst du uns nicht sagen, von wem das Gold und Geld ist? Was hast du zu verlieren? Du sitzt hier im Knast, und die schicken die nächsten Kuriere los. Du könntest mit der Wahrheit auch deinem Bruder helfen. Dumm, dass er durchgedreht ist. Er baut einen Mist nach dem anderen. Hilf ihm. Du kannst ihn vor weiterem Unsinn bewahren.«

      Bernd schaute den Kommissar unsicher aus seinen verweinten Augen an.

      Sibold schnappte sich einen Stuhl, schob den übel riechenden Eimer mit einem Fuß von sich und setzte sich neben Bernd. »Schau mal, du warst in dem Wagen, mit dem ihr versucht habt, Geld und Wertsachen zu schmuggeln. Ein Vergehen gegen das Zollverwaltungsgesetz; Punkt, das ist das eine. Mein Gott, dafür gibt es Geldstrafen. Das andere ist die Frage: Woher stammen das Geld und das Gold? Dahinter verbergen sich die Fragen, die wir aufklären werden. Und dahinter stecken vermutlich Verbrechen, für die du deinen Kopf nicht hinhalten solltest. Da würde ich an deiner Stelle lieber aussagen.«

      Der junge Mann schwieg. Er schaute von Sibold zu dessen Kollegen, dann zu dem Justizvollzugsbeamten.

      Sibold gab dem Schließer ein Zeichen, daraufhin verließ dieser die Zelle. Sein Kollege übernahm jetzt in einem strengeren Ton den weiteren Part des Verhörs: »Der Mordversuch an einem Zollbeamten wiegt schwer. Es kann sein, dass Sie die Waffe nicht in den Händen hatten. Gut, wir haben keine Fingerabdrücke von Ihnen auf der Pistole gefunden. Aber es gibt ja auch Handschuhe.«

      Bernd drehte sich auf seinem Bett um. An die Wand nuschelte er: »Ich will meinen Anwalt sprechen, das ist mein Recht.«

      »Das ist dein Recht, aber nicht immer der beste Rat. Denk daran, du kannst mich immer sprechen, und ich meine es gut mit dir«,

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