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und Kapital – geplaudert, und die zumeist mit wenig Liebreiz ausgestatteten Töchter aus gutem Hause versuchten, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, gehörte er doch zu den begehrtesten Junggesellen in Berlin, war reich, gescheit und sah fabelhaft aus. Zudem hatte er einen umwerfenden Charme, weshalb ihm die leicht entflammbaren Frauenherzen gern verziehen, dass er ein Flegel war, überheblich und zügellos.

      Der Sohn wäre wohl längst vor die Tür gesetzt worden, wenn man das Gerede nicht befürchtet hätte. Abgesehen davon war der Filius ein brillanter Kopf und durchaus prädestiniert, den väterlichen Betrieb zu übernehmen. Also sah man ihm so manche Eskapade nach, ließ ihm noch etwas Zeit, sich auszutoben, hoffte aber, dass er sich eines Tages besinnen und das Lebenswerk des Vaters weiterführen würde. Noch interessierte sich der Junior nicht im Geringsten für die Fabrik und die Verpflichtungen, die sich daraus ergaben und seinem ungehemmten Treiben im Wege gestanden wären. Er lebte in einem Rausch von Annehmlichkeiten, gab sich Saufgelagen mit seinen Kumpanen hin, besuchte Tanzbuden und Tingeltangel, setzte auf Pferde – meist auf die falschen –, und einen Großteil seiner Zeit widmete er dem anderen Geschlecht. Mit fünfzehn hatte er erste Erfahrungen gesammelt. Sie war acht Jahre älter als er und hatte pralle Brüste und einen wunderbaren Mund. Ein Dienstmädchen, das ihm aufgefallen war, weil es höchst erotisch mit dem Staubwedel umzugehen verstand. Als seine Mutter davon erfuhr, wurde das arme Mädchen entlassen, und der Sohn erhielt Stubenarrest, und überdies wurde mit einem strengen Internat oder einer Klosterschule gedroht. Doch der junge Mann nahm die elterlichen Maßregelungen eher als sportliche Herausforderung, bewegte seine Lenden weiter im gewohnten Rhythmus und bändelte, weil man zu Hause so ein Theater veranstalten musste, mit dem weiblichen Personal aus den Nachbarvillen an.

      Für eine gewisse Zeit wirkten diese Dienstmädchen auf den Jüngling unwiderstehlich, sie waren willig und nicht selten wild, bis die Federn stoben. Mit zunehmendem Alter folgten anspruchsvollere Affären, darunter jene mit der scheuen Ehefrau eines Pastors. Er wollte nur sehen, ob es ihm gelingen würde, eine solche Ballung an Tugendhaftigkeit auf die Seite des Lasters zu ziehen. Danach setzte sich der Tanz der kurzen Abenteuer mit ständig wechselnden Partnerinnen fort – mit der Tochter eines hohen Militärs, mit einer taufrisch verwitweten Aristokratin mittleren Alters, mit einer Warenhausangestellten, mit zwei adeligen Schwestern (gleichzeitig) und mit einer sündhaft gut gebauten Suffragette. Emanzipation empfand er zwar als überflüssig, aber auf der Matratze bescherte ihm die aktive Kämpferin für die Gleichberechtigung bis dahin ungeahnte Erlebnisse.

      Der Millionärssohn unterschied sich nicht grundsätzlich von seinen gleichaltrigen Freunden, mit denen er oft durch die Straßen der Stadt zog. Auch sie genossen dieses legere Einerlei, finanziell unabhängig und mit dieser lausbubenhaften Arroganz. Doch der smarte Junior hatte noch eine andere, dunkle Seite, die er zuweilen hemmungslos auslebte und von der niemand wusste. Getrieben von der unbändigen Lust nach Abenteuer unternahm er regelmäßig Ausflüge in die Niederungen des Milieus, wo er sich manchmal nächtelang herumtrieb. Er trug dann zerschlissene Kleidung und wirres Haar, war unrasiert und vergaß seine Herkunft. In lärmenden Destillen, wo zahnlose Männer zum Akkordeon sangen und Weiber ihre Röcke lüpften, wo es nach faulem Atem roch und Speisereste in den Bärten hingen, wo sich streunende Köter die Flöhe aus dem Fell kratzten und die Fenster vom Schweiß und von den Dämpfen beschlugen, fand er das, was ihm in den Kreisen der reichen Herrschaften fehlte: Hemmungslosigkeit. Grölend soff er sich mit Gaunern, Zuhältern und ehemaligen Sträflingen unter den Tisch, lachte mit Dirnen über derbe Witze oder verschwand mit ihnen in einem schäbigen Hinterzimmer. In solchen Momenten war er von allen guten Geistern verlassen, riskierte die Syphilis oder auch ein Messer zwischen den Rippen. Doch nur hier fand sein anderes Ich Befriedigung.

      D I E R E A L I T Ä T

       Ein Promenadengewächs, eine gute Seele und die Kehrseite Berlins

      Als Luise so verloren vor dem Stettiner Bahnhof stand, trat ein junger Mann an sie heran. Das hübsche Fräulein war ihm schon in der Bahnhofshalle aufgefallen, als er mit seinem Kumpel an der Wand gelehnt und Rauchkringel in die Luft gestoßen hatte.

      »Na, junges Fräulein, det erste Mal in Berlin?«

      Luise blieb stumm und schaute den Kerl, der sich so ungeniert an sie herangemacht hatte, verschämt aus den Augenwinkeln an. Über der Oberlippe trug er ein Schnauzbärtchen, eigentlich war es eher ein borstiger Bleistiftstrich, und darüber ragte seine arg lädierte Nase in die Berliner Luft, ein schmaler, knöchriger Grat, verziert mit einer blutverkrusteten Schramme. Er steckte in einem verschlissenen Anzug, und eine Schiebermütze hing ihm über dem Gesicht wie der Dachvorsprung eines Hauses.

      »Woher kommste?«

      »Von außerhalb«, sagte sie trocken.

      »Tja, Berlin is ’ne tolle Stadt. Glaub mir, hier kannste ganz jehörich dein Glück machen.« Eigentlich redete er einen breitgetretenen Dialekt, aber er wollte dem Fräulein imponieren und sagte dein statt deen und ganz statt janz. Doch lange hielt er das nicht durch, und bald verfiel er wieder in die Sprache der Straße, det Berlinisch, wat sich anhör’n tut, wie wenn eener mit ’nem ollen Pfannkuchen inner Klappe daherlabert. Er kratzte sich am Nacken, als müsste er überlegen, was er noch sagen könnte. »Det is so ’ne Sache mit dem Glück. Det liegt überall rum, man muss det nur packen, muss man.«

      »Und du weeßt, wo man es findet, det Glück?«, sagte sie jetzt leicht schnippisch.

      »Na klar. Ick bin hier jebor’n, kenne ’ne Menge Leute, habe Beziehung’n. Beziehung’n sin alles. Ohne die biste nüscht. Nimm mir, ick hab’s jut, hab ’ne Anstellung un’ jenieße nu meenen freien Abend.«

      Luise empfand ihn als Plage, schlimmer noch als die Fliegen jetzt im Sommer.

      »Suchste auch wat? Als Küchenmagd oder Dienstmädchen in ’nem feenen Haus? Ick hätt da wat für ’n Frauenzimmer wie dir. Is keene schwere Arbeit. Un ’n Bett und ’nen Teller Bulljong jibts ooch.« Bulljong hörte sich einfach besser an als Kohlsuppe.

      Luise musterte ihn erneut. Er strapazierte ihre Nerven, aber wer weiß, dachte sie dann, vielleicht sind diese Hauptstädter einfach etwas anders als wir vom Land. Womöglich ist es bei denen völlig normal, dass die in ihrer Freizeit spazierengehen, um sich nach Arbeitskräften für andere umzusehen. So konnten sie vermutlich etwas dazuverdienen.

      »Und? Wat is det für ’ne Arbeit?«, fragte sie.

      Gerade als der junge Mann seinen Mund aufklappen wollte, stellte sich eine Frau zwischen ihn und Luise. Sie hob ihren Zeigefinger, ein drohendes Unheil aus Knochen und Fleisch, zielte damit auf seine geschundene Nase und sagte: »Nimm deene Jebrüder Beeneken unter deene Arme und verkrümel dich, du falscher Fuffziger!«

      »He, he!«, rief der Bursche aufgeregt. »Pass bloß uff, du alte Kröte, du!«

      Sie reagierte nicht auf seine Gekläffe, ließ ihn links liegen, er war nicht der Beachtung wert. Und dann, zu Luise gewandt, fuhr sie in veränderter Tonart fort: »Beachte ihn nicht, Kindchen. Der ist ein übles Promenadengewächs. Solche wie der warten doch nur auf die ahnungslosen Mädchen vom Land, um sie für ein paar Mark an den nächsten Zuhälter zu verschachern. Jeden Tag stehen sie an den Bahnhöfen und halten Ausschau nach neuen Opfern – wie Metzger, die sich nach günstigem Schlachtvieh umsehen!« Sie spuckte die Wörter geradezu aus, schien die Bitterkeit ihres Inhalts auf der Zunge zu spüren. »Wenn du mit so einem gehst, kommst du bald nicht mehr hoch von dem Bett, das er dir versprochen hat. Und statt Bulljong gibt’s Schläge.«

      Während die streitbare Dame noch über den Berliner Abschaum wetterte, hatte sich der junge Mann bereits davongestohlen, auf seinem Gesicht ein hämisches Grienen, sein Gang gebückt wie der einer Hyäne, die man von ihrer Beute verjagt hat.

      Luise saß der Schrecken in den Gliedern. »Meene Mutter sagt immer, Berlin sei det Tor zur Verdammnis.«

      »Kommt drauf an, welche Tür du erwischst. Wenn’s die falsche ist, mein Kind, dann kann’s durchaus die Hölle sein. Oh ja.

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