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schlingt seine Arme um ihren Rücken, zieht ihr Gesicht an seins ran, aber er küsst sie einfach nicht, ich versteh’s nicht, der küsst sie einfach nicht.«

      »Schau an, unser Romeo träumt in seinem Notizbuch.« Benedetto ließ sein samtenes, mediterranes Lachen hören. Er zündete sich eine Zigarette an, zog so intensiv an ihr, dass sie sich heiß und schnell verzehrte.

      »Und wer ist die …?« Viktors Kopf wies zum Fenster.

      »Ich stelle sie dir gern vor.«

      »Schon gut. – Und deine Freundin?«

      »Wir sind nicht mehr zusammen.«

      »Neulich hast du mir von ihr noch vorgeschwärmt?«

      Benedetto hob, gemeinsam mit beiden Armen, die Augenbrauen und ließ sie auch gemeinsam wieder fallen.

      »Dein Herz ist ein Stundenhotel«, sagte Viktor kühl.

      »Entspann dich mal!«

      Viktor blickte seinen Freund ernst an. Entspannen – diese Aufforderung war ihm lästig geworden. Er entschuldigte sich, denn er spürte, wie eine Flamme in ihm hochschlug. Er verließ den Saal, ging tiefer hinein in den Bauch des Weltkulturmuseums, durch die Kammern des sich mit Nachtgrau anfüllenden Gebäudes, bis er dessen Herzstück erreicht hatte: den Maskensaal. Der Raum war verschachtelt, von Zirpen- und Trommelgeräuschen beschallt. Er erinnerte sich, wie er als kleines Kind noch staunend diese Welt erkundet hatte. Auch jetzt wirkten die Masken wundersam auf ihn, hier wie Tiere, dort wie Gespenster. Doch je länger er sie anstarrte, desto mehr bedrückten sie ihn. Wer schaut hier eigentlich auf wen?, dachte er und fragte sich, worin der Sinn bestand, das Andersartige zu feiern, indem man es ausstellte. Eine aus Holz geschnitzte Maske leuchtete in der Aneinanderreihung der Objekte auf, ihr übermäßig großer, mit Haaren beklebter Kopf wies drei perfekt runde Löcher auf: zwei Augen und ein Mund. Viktor starrte auf den Mund. In dessen Dunkelheit hinein. Warum habe ich nie mit einem Mann geschlafen?, fragte er sich. So viel zum freien Willen, war sein nächster Gedanke, ein Gedanke, der ihm zeitlebens wichtig gewesen war. Er las die Überschriften auf dem Schild zu den Masken: Besuch der Geister.

      Vor kurzem hatte er Benedetto gezeichnet, als dieser nachts in seinem Studio unangekündigt vorbeigeschaut hatte. Er wusste nicht, wie es dazu gekommen war. Plötzlich hatte Benedetto mitten im Raum gestanden und Opernmusik aufgelegt. Seine sonst gekonnte Führung des Kohlestiftes auf Papier – Benedettos Anblick hatte sie aus der Bahn gehoben, als er sein Hemd ausgezogen und über den Stuhl geworfen hatte. Viktor hatte dann auf das weiche Papier nur noch sanften Druck ausgeübt, mehr schraffiert als gezeichnet, am Ende aber waren die Linien harmonisch ausgefallen. Beim Abschied spürten sie gegenseitig ihren Atem. Eine für Viktor angenehme, aber nicht fassbare Nähe hatte in der Luft gelegen. Benedetto hatte sich mit der Hand über seine Hosennaht gestrichen, eine kurze, flüchtige, aber dennoch offensichtlich deutlich vollzogene Geste. Viktor hatte mit Unbehagen reagiert und es verborgen gehalten, anstatt es mit Benedetto zu erkunden.

      »Welche Maske passt zu dir?«

      Viktor schrak auf. Der hochgewachsene Mann aus der Abendgesellschaft stand im Halbschatten und deutete auf die Vitrine. »Welche Maske?«, fragte der Fremde erneut und trat in den fahlen Lichtkegel der Deckenlampe. Viktor sah das straff gespannte Trapez dieser Schultern. Von Nahem betrachtet war die Nase des Fremden ähnlich krumm wie seine eigene, eine grässliche Wunde zeichnete sich unter dem Auge ab, etwas mit seinem Ohr stimmte nicht. »Verrät die Maske nicht mehr über den Menschen als sein Gesicht?« Das war keine wirkliche Frage, eher eine Mitteilung, mit tiefer Stimme in den Raum geworfen. Der Fremde legte seine kräftige Hand auf Viktors Schulter. »Damion«, stellte er sich vor. Viktors Mundwinkel sprangen hin und her, mit Mühe hielt er Worte zurück, die aggressiv geklungen hätten. »Warum so einsam?«, fragte der Fremde.

      »Unter Geistern ist man nicht einsam«, schnellte es aus Viktor heraus, ohne dass er das Gefühl hatte, Herr der Lage zu sein. »Aber ja, wir sollten zurück zu den andern.«

      Sie liefen nebeneinander an den Ausstellungsobjekten vorbei, durchschritten diverse Kammern, sahen hier irgendwelche Vogelfedern, dort zu Schmuck oder Werkzeug bearbeitete Metalle. Eine Schautafel dokumentierte die Vermessung von Körpern indigener Gemeinschaften. Stirnbreite, Länge der Augen, Orbitalhöhe, Abstand der Brustwarzen, Umfang des Halses, des Leibes auf Nabelhöhe, der Oberarme, der Unterarme, der Waden, die Entfernung vom Tragun zur Nasenwurzel, die Entfernung vom Tragun zur Mitte der Oberlippe, die Entfernung vom Tragun zur Mitte der Unterlippe. Der Lärm der Abendgesellschaft tönte lauter an sie heran, wenige Schritte später waren sie wieder unter den gut gekleideten Gästen. Damion musterte die Bilder an den Wänden. »Und du? Sag bloß, du malst auch hintersinnige Mandalas?«

      »Ich – «, Viktor fand keine geeignete Antwort, fragte schließlich stattdessen: »Du bist nicht von hier?«

      »Scharf beobachtet.«

      »Woher?«

      »Chicago.«

      »Der Chicago River. Ein seltsamer Fluss.«

      »Warum seltsam, Kleiner?«

      »Ach, nicht wichtig.« Viktor argumentierte nicht mehr so gern, er bestellte lieber Alkohol.

      »Nein, erzähl schon, komm!«

      »Also, na ja, anscheinend ergießt sich der Fluss in den Michigan-See. Aber in Wirklichkeit ergießt sich der Michigan-See in den Chicago River. Weil der derart verdreckt war, hat man vor über hundert Jahren kurzerhand einen Seitenarm in einen Industriekanal verwandelt, die Brühe umgeleitet und das Flussbett so tief ausgebaggert, dass der See nun in den Fluss zurückfließen muss. Eine Vergewaltigung der Natur.«

      »Sachte, sachte!« Damion sprach leise und legte ihm erneut eine Hand auf die Schulter. »Der Fluss ist heute ein Juwel der Stadt. Ein wirkliches Juwel. Die Leute, sie schwimmen in ihm, er macht sie glücklich.«

      »Strenggenommen … « Viktor hielt inne, das Interesse an der Unterhaltung versickerte in ihm. Einige Augenblicke standen die beiden voneinander abgewandt nebeneinander da. Damion griff sich einen Cocktail vom Tablett, das ein Kellner an ihm vorbeitrug. Er warf das Rührstäbchen weg und prostete der Frau mit den dunkel umschatteten Augen zu.

      »Strenggenommen hast du sie eben schon angestarrt. Sie kommt aus Venezuela«, sagte Damion, eine nimmermüde Wachsamkeit im Blick. »Vater: Weinbauer aus Chile«, ergänzte er. »Sie heißt Irene.« Sein ausgestreckter Arm ermutigte die junge Frau, doch näherzutreten. »Darf ich vorstellen?« Der Klang in Damions Stimme verwandelte sich, wurde samtweich und verbindlich. »Wie war noch gleich dein Name?«, fragte er. Vier Augen blickten Viktor erwartungsvoll an.

      »Viktor Sørless.«

      »Irene ist Aktivistin. Sie setzt sich für Kinder ein, die in Gefängnissen aufgewachsen sind.«

      »Freut mich.« Viktor streckte ihr seine Hand entgegen. Er lächelte. Sie lächelte zurück, die nervöse Unruhe in ihrer Schulter ließ seine Hand in der Luft allein schweben.

      »Vicky hier, der ist auch talentiert. Was machst du noch mal genau?« Damion hob gespannt den Kopf.

      Viktor stutzte. »Architekt.« Er ging also auf das Spiel ein.

      »Ich bleibe ein paar Tage in der Stadt«, sagte Irene. Sie wirkte zutraulich. »Was kann ich mir anschauen?«

      Viktor schüttelte den Kopf. »In der Stadt? Nichts. Nichts wirklich Interessantes.«

      Sie blickte ihn irritiert an. Hastig klopfte er sich auf die Brust und tastete sein Sakko ab.

      »Vielleicht habe ich hier etwas für dich. Warte … das Haus in den Dünen.« Seine Stimme überschlug sich. »Es befindet sich gerade im Bau, an der dänischen Küste, ein hübscher Ausflug dahin. Moment … hier … das sind meine Skizzen dazu.«

      »Das Haus in den Dünen?«, äffte Damion ihn ironisch nach.

      »Eine Galerie im Wind«, fuhr Viktor fort. »Das Gebäude wurde für einen Berührungssynästhetiker entworfen. So jemand spürt auf eigener Haut, wenn andere sich berühren. Der Wind in den Dünen

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