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Wange und lachte befreit auf.

      Vor ihr schlugen Bläschen hoch, gefolgt von Adrians Kopf. Mit einem Ruck saß er neben ihr und nahm seinerseits die Taucherbrille ab. »Alles in Ordnung?«

      Sie zuckte mit den Achseln, als wäre nichts passiert.

      »Glauben Sie jetzt, dass es hier spukt?«

      »Ich glaube, Sie hätten die Schlange etwas höflicher bitten sollen.«

      Adrian nickte belustigt und erklärte ihr dann, sich noch einmal in eine Meditation begeben zu wollen, um die Geister in der Höhle zu besänftigen.

      Minutenlang saßen sie nebeneinander da, Minuten, in denen Fernanda einfach nur schwieg. Schließlich wandte er ihr seinen Kopf zu: »Bereit?«

      »Ja. Aber haben Sie gefunden, wonach wir suchen?«, fragte sie vorsichtig.

      »Seit Urzeiten gebiert das Wasser Leben«, murmelte er und löste zwei Behälter vom Tauchgurt, hielt die Proben gegen das Licht der einfallenden Sonne. Die Flüssigkeit wies eine geleeartige Konsistenz auf. »Plastikpartikel sind durch das Gestein eingedrungen«, stellte er trocken fest und deutete mit ernster Miene auf die Felswände. »Der Stein auf der gesamten Halbinsel ist porös. Der Regen sickert durch den Boden und sammelt sich in den Unterwasserhöhlen. Sie sind über Hunderte von Kilometern miteinander verbunden.« Seine Stimme hatte den dozierenden Klang eines Akademikers angenommen. »Über uns befinden sich Müllkippen, die meisten davon sind illegal. Der Abfall hat sich den Weg in die Tiefe gebahnt – und wird das Grundwasser einer gesamten Region verseuchen.«

      »Wie schlimm ist es?«, fragte sie.

      »Ich kann es nicht sagen, ich muss die Proben untersuchen lassen.« Adrian verstaute die Behälter wieder an seinem Gurt und überprüfte die Gerätschaften. »Ohne das Licht Ihrer Lampe halten Sie sich dicht an meinen Füßen, haben Sie keine Angst.«

      Bevor die beiden ihre Taucherbrille über den Kopf stülpten, verweilte ihr Blick noch auf dem Wasser. Die Landschaft wandelte sich vor ihrem inneren Auge. Sie sah verrottenden Müll am heiligen Ort, menschengemachtes Treibgut: Flaschen, zerfasernde Binden und klebriges Plastik. Die Schönheit, die sie verspürt hatte, war dem Eindruck eines nassen Grabes gewichen. Sie brauchten eine gute Stunde, um an den Eingang der Höhle zurückzuschwimmen.

      Später dann, auf der Küstenstraße nach Tulum, ihrem Zielort, sprachen sie kein Wort miteinander. Nur einmal geriet Adrian aus der Fassung und schlug mit der Hand aufs Lenkrad. Sie wusste, dass sein ohnmächtiger Ärger der fortschreitenden Zerstörung der Schutzgebiete geschuldet war. Sie blickte aus dem Fenster. Als sie Tulum das erste Mal besucht hatte, hatte es friedlich im Dornröschenschlaf eines Fischerdörfchens gelegen. Unberührte Strände, kristallklares Wasser, ein Idyll der mexikanischen Karibik. Nur ein paar Hütten in Meeresnähe, sonst nichts. Einmal hatte sie in den Ruinen der Maya-Stätte übernachtet, unter freiem Sternenhimmel. Sie bat Adrian, sie dort aussteigen zu lassen, sie wollte die wenigen Kilometer zum Treffpunkt zu Fuß gehen. Sie winkte dem weiterfahrenden Kollegen kurz nach und drehte sich dem Meer zu.

      Was ist mit den Orten meiner Erinnerungen geschehen?, dachte sie und schlenderte los. Am Strand stieß sie auf Schamanen, die Touristen mit Kakao reinigten. Sie traf auf Männer in Tangas und auf traurig streunende Hunde. Ein Hotel reihte sich an das nächste. Weiter hinten an einer Felsgruppe sah sie Frauen in Federn gekleidet, die sich in Trance tanzten, umringt von ratternden Dieselmotoren, die dem hiesigen Treiben den notwendigen Strom lieferten. Sie roch Benzin und den Gestank roher Eier, der einem Wall in der Sonne verfaulender brauner Algen entwich. Ein Arbeiter kehrte den Strand, versuchte ihn piekfein und postkartenweiß zu halten; eine absurde Sisyphusarbeit, bei der er die Algen aufhäufte, mit einer Schubkarre wegbrachte, während die Wellen wieder und wieder den dunklen Schlamm an Land spülten. Das Wasser, ehemals türkisfarben, wirkte wie dünner Kaffee.

      Sie kletterte über Felsen hinweg und durchquerte schließlich eine Bucht. Sie traf auf ein Kind, das ihr mit seinen zarten Händen einen Regenbogen schenkte, eine Geste der Liebe, die ihr wohl und zugleich weh tat, dann bedrängte sie ein Ausländer, der ihr Drogen verkaufen wollte. Als sie dankend ablehnte, pries er seine Massagekünste an. Fernanda löste ihre Erinnerungen an diesen einst unberührten Ort in den Fluten auf.

      Habe ich nicht Gleiches vor? Der Gedanke ließ sie in den Wellen erschaudern. Ihr Außenposten im Dschungel würde auch in die Natur eingreifen, mit unvorhersehbaren Folgen. Sie dachte zurück an den Brief jenes Mannes, den sie so sehr geschätzt hatte. Seine Fähigkeit zuzuhören, hatte schon gereicht, ihr Vertrauen zu einer Zeit zu gewinnen, in der ihr irgendwelche Typen noch die Handlung eines Films erklären wollten. »Schau, mi amor«, hatte sie einmal einen Verflossenen im Kino flüstern hören. »Gleich küssen sie sich. Schau, wie sie ihn ansieht. Alles nur Fassade! Die lieben sich gar nicht. Hast du bemerkt, wie sie den Musiker anschaut?«

      Sie senkte den Kopf, ließ sich ins Rauschen des Meeres fallen. Ihre Erziehung war klassisch verlaufen, ihre Entfremdung auch. Sie war in einer Klosterschule ausgebildet worden, deren Werte die Frau dem Mann zur Seite stellten. Als ihr Vater erfahren hatte, dass sie lieber Zeitschriften wie La Correa Feminista las und sich als Heranwachsende in pequenos grupos organisierte, kleinen Frauenzirkeln, die Foucault besprachen, gegen den Machismo ankämpften und über die reproduktive Union aus Mann und Frau diskutierten, war er ausgerastet. Als Zeichen, dass sie verrückt sei und nicht er, hatte der Patriarch seine Tochter in die Psychiatrie einweisen lassen, das Haus des Lachens genannt. Sehr schick für jene Zeit, dachte sie nun, wie im reichen Paris. Die Tage dort waren einander sehr ähnlich verlaufen: Die Flagge ehren, Frühsport treiben, die meisten Patienten hatten erst Elektroschocks erhalten, dann eine Therapie. Es hatte in der Kolonialvilla drei Pavillons gegeben, einen für die Aussätzigen, einen für die Armen und einen für die Reichen. Sie hatte sich dort mit Señor Trenecito angefreundet, dem Mann der Züglein. Er hatte gern behauptet, Eigentümer aller Eisenbahnen der Welt zu sein sowie einer Zugstrecke, die die Erde in Zukunft mit dem Mond verbinden würde. Sie hatte Sympathie mit der grauhaarigen Frau gehegt, die stundenlang mit ihrer Lupe Insekten beobachtete und beleidigt war, wenn jemand in ihren Raum eindrang. Ein halbes Jahr Psychiatrie hatte sie nicht von dem »feministischen Unsinn« heilen können, wie von ihrem Vater erhofft. An dem Tag, als sie wieder ihr Elternhaus betreten hatte, hatte sie in ihr Tagebuch notiert:

      Was ist die Realität, wenn nicht eine unaufhörliche Parodie des Lebens, ein Maskenspiel, eine bis ins Unendliche vervielfältigte Darstellung unser selbst in der Familie, im Staat, in der Bildung, den Städten und ihren Gebäuden, in der Wissenschaft, der Sexualität, im Wort, der Wirtschaft und ihrem Fortschritt, ja selbst in all den verdrängten Fragmenten, die uns ausmachen?

      Vertrete nichts und niemanden, außer den einen schönen Moment der Verrückten, die ihn gemacht haben.

      Ihr Weg in die Kunst schien vorgezeichnet zu sein. Allerdings hatte sie in dieser Welt wenige Verrückte getroffen, die meisten Menschen, denen sie begegnet war, stellten sich als »Scheusale« heraus, als Handlanger der Lüge oder der eigenen Eitelkeit. Sie blickte auf den Strand, er hatte sich geleert. Vor ihr lag eine Hütte, mit einer Balustrade aus Holz und einem Dach aus Palmblättern. Der Wind hatte Sand auf die Stufen geweht. Damions athletische Statur sprang ihr ins Auge, seine breiten, definierten Schultern. Selten war sie einem so gut trainierten Mann in seinen Vierzigern begegnet. Er winkte sie herbei und empfing sie auf der Veranda, die Sonnenbrille auf, in Shorts, sein Hemd war aufgeknöpft.

      »Bereit, das Kernteam kennenzulernen?«, rief er ihr zu und strich sich in der gut eingeübten Gestik eines vom Leben verwöhnten Sonnyboys eine tiefhängende Strähne aus dem Gesicht. »Wir haben Fisch zubereitet«, köderte er. Seine Laune stimmte sie milde.

      Sie ging an ihm vorbei, schnell fuhr ein dicht zusammengerücktes Bündel an Personen auseinander, Tische wurden verschoben, Stühle im Halbkreis arrangiert. Getuschel war hörbar, als Damion aus Fernandas Schatten hervortrat. Er hielt inne und versicherte sich der Blicke, die auf ihm ruhten. »Okay, machen wir es kurz.« Er zeigte auf eine junge Frau im Trägerhemd mit kurzgeschorenem, schwarzem Haar, spitzen Wangen und großen, grünen Augen, die sich lässig an der Tischkante anlehnte. »Sabina: in Tijuana aufgewachsen, in San Diego Kunstgeschichte studiert, in der texanischen Künstlerkolonie Marfa den Laden

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