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Er kurbelte die Scheibe herunter, fuhr an einem Pick-up vorbei, der am Straßenrand parkte, wenig später jedoch losfuhr und ihn bald schon überholte. Erst als der Wagen ihn schnitt, seine Geschwindigkeit drosselte und ihn zum Anhalten zwang, registrierte er die vermummten Männer mit gezogenen Handfeuerwaffen, die sich auf der Ladefläche erhoben und nun in einer flüssigen Bewegung und mit gerichtetem Lauf auf seinen Ford zumarschierten.

      »Schaut mal Leute, wir haben einen Hippie gefunden«, schrie einer der Männer und machte sich über Damions langes Haar lustig. »Los, steig, aus, Jesús

      Aus dem Radio tönte das Solo eines Saxophons zu Ende. Er stieg aus dem Wagen. Alles ging schnell: Die Männer überwältigten ihn, durchsuchten seine Taschen, den Kofferraum, warfen ihn schließlich auf die Ladefläche, fesselten ihn und verbanden ihm die Augen. Ein gutes Zeichen?, überlegte er. Er sollte sich bloß den Weg nicht merken, das war wahrscheinlich alles. Mehrmals stieß er sich den Kopf an der Ladefläche. Irgendwann endete die Fahrt. Die Männer brachten ihn in einen düsteren Raum. Die Sonne fiel durch ein Loch in der Wand. Sie zogen ihn nackt aus und fesselten ihn an einen Stuhl in der Mitte des Raumes. In der Ecke lag eine Matratze. Der Geruch von Urin und Sex ließ das Licht klebrig wirken. Er sah Schatten, die stumm ihre Zigaretten hielten; einige Männer, die ihre Maschinengewehre säuberten, und andere, die sich eine TV-Liveübertragung eines Fußballspiels ansahen. Ein Schädel näherte sich ihm von hinten. Er spürte das Gesicht plötzlich über sich, als es seinen Kopf fast berührte: »Wie geht es dir, Jesús?«, flüsterte es hämisch über ihm. Damion blickte das Gesicht nicht an, zwang sich zur Ruhe und sprach sich Mut zu: Alles würde ein gutes Ende nehmen, solange er diesem Gesicht nicht in die Augen schaute.

      »Wir haben in deinem Wagen nichts Wertvolles gefunden. Du hast nicht mal Geld dabei. Was bist du nur für eine arme Sau!« Der Typ beugte sich vor, und da erkannte Damion ihn. Die Zigaretten glühten auf, die Männer stießen konzentriert Rauchschwaden aus. »Aber vielleicht hat deine Familie ein bisschen Kohle? – Was meint ihr?« Die Gruppe johlte.

      Damion hörte Schritte, sah schwerfällige Silhouetten, die näherkamen und einen Halbkreis um ihn bildeten. Langes Schweigen. Der Anführer trat dichter an ihn heran. »Weißt du, warum sie mich El Cuchillo nennen? Das Messerchen?«

      Damion schluckte, mit fast unmenschlicher Anstrengung versuchte er, den Blick Richtung Boden zu halten. Schau ihn nicht an, befahl er sich, und wiegte seinen Oberkörper hin und her; er verkrampfte bei dem Versuch, die Fesseln zu lösen, die in sein Fleisch schnitten. El Cuchillo schlich um ihn herum und flüsterte ihm ins Ohr. »Ich schneide Leuten die Ohren und Nasen ab.« Noch bevor die Worte in ihn einsickern konnten, spürte er, wie ein winziges Stück Fleisch aus seinem Ohr herausgebissen wurde. Die Männer grölten, als El Cuchillo einen Blutklumpen zu Boden spuckte. Damion widerstand dem Impuls aufzuschreien. Er wünschte sich, ohnmächtig zu werden. Doch die Ohnmacht blieb aus. Der Fernseher zeigte einen Flankenlauf. Ein Spieler köpfelte den Ball ins Netz. Ein paar Typen im Hintergrund jubelten.

      »Jesús. Ruf doch deine Maria an«, scherzte El Cuchillo und zückte ein Handy aus der Tasche. »Sie hat bestimmt was für dich zur Seite gelegt.« Er zündete sich eine Zigarette an, blies Rauchkaskaden in die Luft. Ein Glanz von Grausamkeit schwelte in seinen Augen. Das Handy glitt in die Tasche zurück. Er nahm die Zigarette und rieb sie zwischen den Fingern, ging auf Damion zu und drückte das glühende Ende der Zigarette auf seinem Gesicht aus, nahe dem rechten Auge. Es roch sofort nach versengtem Fleisch. Damion verschwamm das Augenlicht. Er wusste nicht, ob ihm Blut oder Tränen die Wangen herunterliefen. El Cuchillo klopfte sich vor Erregung auf die Brust. »Das Ende, amigo!«, hörte er ihn sagen. Dann, in einem äußerst irritierenden Moment, kicherte Damion auf. Zuerst leise, dann lauter. »Willst du aus mir auch einen Cowboy machen?«, röchelte er und spuckte auf den Boden. »Wie der Lieutenant damals? Oder mich auf die Straße schmeißen? Wie den Kerl vor ein paar Wochen? Der hat doch auch auf diesem Stuhl gesessen, nicht wahr?« Er schaute seinen Peiniger angriffslustig an. »Was ist, Ángel, keine Lust mehr?«

      Der Mann fuhr beim Ausruf seines Namens zusammen. »Wer zum Teufel bist du?«, fragte er.

      Damion dehnte die Pause aus. Dann sagte er: »Ein Freund, Ángel.«

      »Was willst du?«

      »Dir ein Angebot unterbreiten.«

      Ein Söldner trat aus dem Schatten hervor und fluchte. »Der Typ nervt. Machen wir ihn kalt.«

      Ángel schleuderte ihn zurück. Seine Augen glichen tiefen Gräben, aus deren Dunkel Blitze aufschossen. »Nein«, keifte er. »Ich will wissen, was er zu sagen hat.«

       36

      EIN LUFTZUG wehte Fernanda eine Strähne aus der Stirn. Sie blickte zum felsigen Eingang einer unterirdischen Höhle, dann in das missmutige Gesicht ihres Gegenübers, forschte nach einer kurzen Notiz, einem Nicken, nach etwas, das sie darin bestärkt hätte, weitergehen zu können. Sie war aufgeregt. Allein bis hierher hatte sich der Weg als recht beschwerlich erwiesen. Vor drei Tagen hatte ihr Begleiter, Adrian Chan Sánchez, ein die Kultur der Maya ehrender Wissenschaftler der Universität Oriente in Valladolid, eine Korallenschlange vor der Kalksteinhöhle gesichtet. »Jeder Eingang hat einen eigenen Wächter«, hallte sein Orakelspruch in ihr nach. Drei Nächte hatten sie im Dschungel kampiert und Zeremonien zur Besänftigung der Geister abgehalten. Den Mayas galten die Unterwasserhöhlen als heilig, sie verehrten die Cenotes als Tore zur Unterwelt, das wusste Fernanda. Dennoch war sie erstaunt darüber, wie viel Ehrfurcht der Wissenschaftler dem auserkorenen Wächter entgegengebracht hatte.

      »Die Passage ist offen«, erklärte Adrian, und nickte ihr zu. Ein kleiner Lustschauer rieselte ihr über den Rücken, wohl Ausdruck des menschlichen Instinkts, wie sie glaubte, wenn es eine Schwelle zu überqueren gilt, ohne dass man die Folgen überblicken kann. Sie schulterten ihre Rucksäcke mit den Tauchgeräten und gingen durch den steinernen Korridor auf die kreisrunde Cenote zu. Die Sonne drang dünn durch den Spalt im Felsen ein, ihre Kraft verlor sich, die Farben verdämmerten. Die Enge der Felsenschlucht presste die beiden vorwärts, bis sie eine Senke erreichten. Vor ihnen tat sich ein mit türkisfarbenem Wasser gefülltes Erdloch auf. Es ähnelte einem überdimensionalen marmornen Taufbecken, war von Pflanzen und Wurzeln umwuchert. Wortlos zogen sie ihre Ausrüstung über, glitten ins Wasser; eine letzte Kontrolle, dann sanken beide in die Tiefe. Stufe um Stufe drang Stille in Fernanda ein. Nur wenige Meter vergingen, schon hielt die Cenote sie gefangen. Fernanda hatte das Gefühl, hinter die Zeit zu gelangen. Sie folgte dem verlockenden Ruf der Höhle, tauchte an Steinen, Schatten und versunkenen Bäumen vorbei; folgte den engen, sich stets weiterverzweigenden Röhren im Gestein und tastete sich voller Lust immer tiefer hinein in den Bauch der Höhle, vorbei an weiteren Öffnungen, die sich plötzlich über ihr auftaten und das grandiose Spiel des Lichtes aufblitzen ließen. Nie hatte sie sich der menschlichen Sphäre ferner gefühlt. Schwerelos, schwebend, endlich undefiniert: ein kleines Nichts im Weltenraum.

      Plötzlich flimmerte ihre Lampe und erlosch. Etwas Glitschiges streifte ihr Gesicht, ihr Atem beschleunigte sich, ging flacher. Sie geriet in Panik, glaubte, dass es ihr an Luft fehle, sie schlug um sich, biss auf den Bügel in ihrem Mund. Ihre Bewegungen wurden hastiger, sie ermahnte sich, kontrollierter zu atmen – tiefer – und die Luft aus der Lunge zu pressen, sie tauchte in vollkommener Dunkelheit weiter vorwärts und konzentrierte sich auf einen einzigen Gedanken: keine Panik! Langsam, Atemzug für Atemzug, schwamm sie in dem unterirdischen Gang Meter um Meter in der Hoffnung weiter, dass sich wieder eine der typischen Öffnungen im Erdboden zeigen würde, wo sie auftauchen könnte. Der fahle Lichtschein, den Adrians Lampe in ihre Richtung warf, beruhigte sie. Minuten später zeigte sich tatsächlich das fantastische Schauspiel eindringenden Sonnenlichts über ihr im Wasser. Die aufblühende Farbenpracht zwischen tiefblauen und helltürkisen Tönen, das Glitzern im Gestein verhießen mehr als nur Rettung: Die eben noch verspürte Angst wich einem Staunen über das unfassbar Schöne vor ihr. Sie tauchte auf, hievte ihren Körper aus dem Wasser, streifte sich die Taucherbrille ab und spuckte den Atemregler aus. Sie keuchte: die Höhle, das Wasser, das Licht, der intensive erste Atemzug an freier Luft. Sie lächelte. Mit ihrer Geburt hatte sie für eine Enttäuschung gesorgt, die bittere Enttäuschung bei ihrem Vater,

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