Скачать книгу

»wir haben eine Baugenehmigung in den Dünen. Das sei, sagen sie, Verrat, wie die Windräder in West-Jütland.«

      Viktor winkte ab. »Wir bauen nicht in, sondern an den Dünen. Außerdem hält der Bauherr zu uns. Er hat …«

      »… heute abgesagt«, unterbrach ihn Anton und schob sich die Brille zurecht. Der vollkommen ruhig ausgesprochene Satz stampfte Viktor innerlich zu Boden.

      »Wie bitte?« Er blickte Anton hilflos an.

      »Zu viel Trubel! In mehr als 30 Ländern wurde über das Dune House berichtet. Gib das Stichwort einfach mal in eine Suchmaschine ein. Die ersten Leute fahnden schon nach dem Bauplatz. Er hat einfach Angst. Er will dort nicht mehr wohnen – und hat das Projekt abgeblasen.«

      »Was heißt das?«

      »Das heißt, dass wir, nach der Abfindung, …«, Anton lächelte zum ersten Mal, »pleite sind.«

      »Wir haben noch den Wettbewerb.« Viktor biss sich auf die Unterlippe, wollte verkünden, dass alles gut werde, die Worte blieben ihm aber im Hals stecken. Er schielte zur Silbermedaille der Architekturschule aus seiner Zeit in London. Sie strahlte keine Zuversicht mehr aus, sondern prangte mit dem verlorenen Glanz einer nicht eingelösten Zukunft verlogen an der Wand. Sein Partner trat einen Schritt näher auf ihn zu und strich mit dem Finger über den Lehmstein. »Du weißt, Gregor und ich bekommen ein Kind. Wir haben grünes Licht für die Adoption.«

      Viktor hob beide Brauen. »Du wirst ein guter Vater sein«, sagte er ruhig, und fügte hinzu: »Oder eine Mutter, wie immer du möchtest.«

      Anton blieb ernst. Ihm stand nicht der Sinn danach, die Atmosphäre mit Gelächter zu reinigen. »Ich mag deine Entwürfe«, sagte er stattdessen. »Den Atriumturm oder die Mensa auf den FäröerInseln, in der sich die Studenten verlieben sollen, um so das Problem der Abwanderung zu lösen. Etwas naiv …«

      »… aber?«

      »Wir müssen etwas Normales bauen«, wetterte er. »Mit Beton, wie alle anderen, nicht mit Lehm. Wir haben noch die Anfrage der Tanzschule. Sie wollen einen LED-Sternenhimmel haben, der sich individuell steuern lässt, ebenso wie die Spots und Lichtvouten.«

      »Die Fata Andromeda«, entfuhr es Viktor. »Ich reiße lieber Decken ein, damit Menschen unter echten Sternen tanzen.«

      »So«, sagte Anton leise, und die Worte kamen wie ein Seufzer über seine Lippen: »Das ist dein Problem: Arroganz. Je weniger Kunden wir haben, desto aufsässiger wirst du. Sanieren wir einfach ein Haus von reichen Leuten, das wäre …«

      »Zeitverschwendung«, fiel Viktor ihm ins Wort. »Wenn wir damit anfangen, dekorieren wir Villen, und zwar ein Leben lang.«

      »Irrtum. Wir haben kein Leben mehr«, blaffte Anton, nahm die Brille ab, und putzte die Gläser mit dem Zipfel seines Hemdes. Viktor wandte seinem Partner den Rücken zu und begab sich an seinen Schreibtisch. Durch die offenstehende Tür seines Büros sah er die Praktikantin aus Barcelona kommen. Jeden Morgen warf sie ihre Tasche auf den Boden, blickte sich dann forsch um, dann einem ihrer beiden Chefs in die Augen, dann kochte sie missmutig Kaffee: In diesem Ablauf der immer gleichen Gesten verbarg sich eine einzige Aufforderung – gebt mir endlich Arbeit!

      Die Stille im Studioraum bedrückte Viktor, er schlich sich an den Zeichentisch und blätterte die letzten Entwürfe zum Dune House durch, das die Presse weltweit elektrisiert hatte, das aber nun, wie es aussah, niemals gebaut werden sollte. Er sah das Architekturmodell vor sich stehen und hielt inne; dort lag ein weiteres Modell im Maßstab 1 : 100, und ein noch genaueres im Verhältnis 1 : 50. Nur ein einziger Maßstab war ihm nicht geglückt: 1 : 1. Ein ganz normales Haus, kein Palast aus Pappe.

      Er streckte den Rücken und wurde auf ein Objekt auf seinem Schreibtisch aufmerksam. Er nahm es in beide Hände, besah es sich genauer: Eine nicht gerade kleine Statue, ihre Beine waren zum Lotussitz verschränkt, sie thronte auf einem Sockel voller kryptischer Inschriften.

      »Was hat es damit auf sich?«, rief er ins Studio.

      »Interessant, dass dir das Ding jetzt erst auffällt. Du musst ganz schön verpennt sein.« Anton schlurfte langsam auf Viktor zu, stand schließlich vor ihm, in der gebeugten Haltung eines schlaksigen Hünen, und reckte betont langsam den Zeigefinger empor. »Darf ich vorstellen? – Das … ist Xochipilli. Bei den Azteken die Göttin des Tanzes, der Blumen und der Künste.«

      Viktor lächelte. »Und sie kommt?«

      »Kam per Post. Mach sie auf.«

      »Auf?« Er fingerte an der Statue herum. Sie wog schwer in seinen Händen. Er hob sie hoch, wendete und prüfte sie von allen Seiten – und wusste nicht wie.

      »Hier.« Anton drückte auf einen Knopf am rechten Ohr der Statue. Ihr Schädel poppte auf. Viktor fischte ein Bündel Dokumente heraus, die er auf den Schreibtisch legte, sein Augenmerk fiel auf einen bedruckten Briefumschlag: Xinatli, die Vision.

      »Öffne ihn und lies selbst! Dürfte dich interessieren«, sagte Anton.

      Viktor räusperte sich, las dann laut vor: »Können wir noch berührt werden, wenn uns die Kunst nicht mehr berühren kann?« Er blickte auf, die Frage war groß, er fand sie sympathisch. Sein Studiopartner hatte bereits die Arme vor seiner Brust verschränkt und fixierte einen unsichtbaren Fleck an der Wand. Viktor las weiter. »Nie war die Kunst so frei. Vor allem in der westlichen Hemisphäre. Weder formale Kriterien noch Deutungen weisen sie in ihre Schranken. Sie kann zieren oder verstören. Sie pocht auf Autonomie, obgleich sie allein vom Markt entschieden wird, vom Magnetismus der Aufmerksamkeit. In einer Zeit schreiender Ungerechtigkeit, in einer Ära der Armut, Migration und Naturzerstörung erscheint dies überflüssiger denn je. Wir brauchen ein weitaus globaleres Verständnis von Kunst. Wir brauchen: einen Klimawandel im Geiste.« Viktor griff nach einem Stift, machte Randnotizen auf dem Briefbogen – und las weiter. »Zu selten riskieren Museen, aufs Ganze zu gehen und unser aller Zusammenleben durch neue Ideen voranzubringen. Es ist an der Zeit, dass sich Kunst am Leben inspiriert, nicht an seiner Entfremdung. Es ist ebenso an der Zeit, unserer kalt rechnenden Ökonomie eine erotisierende Ökologie gegenüberzustellen. Kunst kann eine nie dagewesene Beziehung mit der Natur eingehen, sobald sie ihrer Fülle, ja, ihrer poetischen Kraft nachgeht und den Zyklus von Wachsen, Vergehen und Werden verinnerlicht. Was würden wir über unseren Wirkungsrahmen als Mensch lernen können, wenn wir uns nicht mehr über die Natur erheben, sondern sie in unsere schöpferischen Möglichkeiten aufnehmen und in ihnen weitertragen? Xinatli soll ein neuer Außenposten sein, wo wir erforschen können, was für unser Leben das Miterleben bedeutet. Menschen jeglicher Herkunft sollen sich gegenseitig erfahren dürfen. Am Ende wird Xinatli nicht nur ein Ort sein, sondern eine lebendige Philosophie des Zusammenlebens im 21. Jahrhundert garantieren. Unterzeichnet. Fernanda Raíz.«

      Viktor stockte. »Fantastisch! Aber wer ist diese Fernanda Raíz?«

      »Tja.«

      »Sag schon. Wer ist diese Frau?«

      »Eine mexikanische Kunstsammlerin. Tochter von einem hohen Tier irgendeiner Bergbaufirma. Reiche Erbin – und ein Phantom. Sie scheut Auftritte in der Öffentlichkeit.«

      »Wie kommt sie auf uns?« Viktor blätterte durch die übrigen Dokumente, hob kurz bedeutungsvoll die Hand, ließ sie wieder sinken, blätterte weiter, sah plötzlich den Namen Damion auf der Projektliste stehen und spürte ein flaues Gefühl im Magen.

      »Wir sollen ein Gebäude im Dschungel entwerfen«, sagte Anton.

      »Was?«

      »Ein Museum. Im mexikanischen Dschungel«, wiederholte er ungeduldig. »Das hier ist die Ausschreibung für das Hauptgebäude der Sammlung und für ein sogenanntes Respirationszentrum, eine Art Hotel, vermute ich.«

      »Wo befindet sich die Baufläche?«

      »Das ist jetzt nicht dein Ernst!«

      »Wo befindet sich die Baufläche?«

      »Ich habe sie auf keiner Karte finden können, wohl an der Grenze zwischen Chiapas und Tabasco.«

      »Sagt

Скачать книгу