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Macht des Mannes von anständiger Gesinnung gegen die Zumutung, die aus den fünf Zeilen sprach. Er zerriss den Wisch in Fetzen, der jedenfalls von irgend einem Dienstboten stammte, der einen Kaufmannsjüngling zum Schreiben bewogen hatte. Aber der Zweifel stieg wie ein dumpfes Etwas in ihm empor und begann die Eifersucht langsam zu nähren, bis sie seine guten Grundsätze wankend machte.

      Zu derselben Stunde am Sonnabend wollte Mama Rossig mit ihrer Tochter ausfahren — das hatte man ihm zu verstehen gegeben. Beide wussten, dass er um diese Zeit gewöhnlich in der Königlichen Bibliothek war. Der Zweifel siegte über den Abscheu vor namenlosen Verdächtigungen. Am anderen Tage war man im Theater, wo er sich nichts merken liess. Aber am nächsten Tage, dem Sonnabend, eilte er zur angegebenen Stunde nach der Lützowstrasse. Sofort sah er dem Hausmädchen an, dass sie nicht recht wusste, wie sie sich zu verhalten habe. Das gnädige Fräulein sei unpässlich, so dass die gnädige Frau allein habe ausfahren müssen.

      Er winkte die Anmeldung ab, klopfte leise, vertraut mit allen Räumlichkeiten und Gewohnheiten des Hauses, sofort an die erste Tür links, hinter der er Stimmen gehört hatte, und trat rasch ein. Wie aufgescheuchte Verbrecher stoben sie auseinander, Thea und ein bärtiger Herr, den er noch nie gesehen hatte. Ein hochgewachsener, hübscher Kerl, etwas viel Modekupfer mit einem Stich ins Schwerenöterische, und dem ewigen verbindlichen Lächeln.

      Gegenseitige Verlegenheit, dumpfe Pause und Suchen nach Worten von seiten des Fräulein Braut. Um so mehr kraterte es aber in ihm, so dass er seine Fragen heiss hervorpolterte.

      „Nun, du zu Hause? Du sagtest mir doch —.“

      „Ich fühlte mich nicht ganz wohl —.“

      Ihr Stammeln bestärkte ihn in seinem Verdacht, und so war er kaum Herr seiner Sinne. „Ich finde, dass du sehr wohl aussiehst.“ Dann mit einer Seitenwendung zu dem anderen, sich vorstellend: „Doktor Hauff.“

      Sie schnell einfallend: „Gestatte, dass ich dir vorstelle: Herr, von Bülow, mein Cousin. Nach längerer Abwesenheit heute eingetroffen.“

      Sofort wusste er, dass sie log, denn das irrende Lächeln auf dem Gesichte des anderen gab ihm die Ergänzung. Das Blut stieg ihm noch heller in die Wange, und er fühlte brennend, wie der bisherige Zweifel sich in sinnlose Kälte umsetzte. Das Schlimme war, dass er sie schöner fand, denn je. Heisse Leidenschaft loderte in ihm. Seine Knie zitterten, und seinen ganzen Körper durchzog jenes Erbeben, das das Unbegreifliche hervorruft.

      „Seit wann hast du denn einen derartigen Cousin? Darüber hast du ja nie zu mir gesprochen.“

      „Ich muss doch bitten,“ warf der andere ein.

      „Bitten Sie später, ich werde Ihnen Gelegenheit dazu geben,“ hielt er ihm kurz entgegen. Dann wiederholte er um so eindringlicher seine Frage an sie.

      „Mein Gott, man kann doch einen Cousin haben, den selbst ein Bräutigam noch nicht zu kennen braucht,“ gab sie zurück, gefasster geworden.

      „Gewiss, das kann man,“ presste er bebend hervor. „Dann braucht man aber seinen Cousin nicht zu verheimlichen. Ihm vor allen Dingen kein tête-à-tête hinter dem Rücken von Mama und mir zu geben. Obendrein seine Anwesenheit durch Unpässlichkeit zu verdecken. Ich will dir die Wahrheit sagen: Fräulein Thea Rossig hatte die Liebenswürdigkeit, mich mit ihrem sogenannten Herrn Cousin in fein ausgeklügelter Weise zu hintergehen.“

      „Herr —!“ brauste der andere wieder auf.

      Hauff mass ihn stumpf vom Kopf bis zu den Füssen, zuckte mit den Achseln und wandte sich wieder an Thea.

      „Wir sind noch nicht verheiratet,“ kam es kurz von ihren Lippen. Sie hatte sich rasch in alles gefunden, hob die Schultern und ging mit gemachtem Stolz durchs Zimmer.

      Ihm war es, als risse man ihm langsam eine Binde von den Augen, was ihm Schmerzen bereitete. Lange starrte er sie sprachlos an, immer auf Worte wartend, die das Gehörte wieder gutmachen könnten. Dann, als er sich bewusst wurde, nicht falsch gehört zu haben, fand er allmählich seine Würde wieder, die ihm künstliche Ruhe gab.

      „Sie haben recht, mein gnädiges Fräulein, wir sind noch nicht verheiratet. Wenn sich hinter diesen Worten ein Wunsch versteckt haben sollte, so soll Ihnen derselbe erfüllt werden. Da aber meine Ehre bei dieser Angelegenheit im Spiele ist, so werden Sie mir gestatten, noch eine letzte Auseinandersetzung mit Ihrer Frau Mama haben zu dürfen. Natürlich auch mit Ihnen, mein Herr.“

      Eine stumme Verbeugung von seiten des anderen, ein kurzes: „Aber Hans, bist du toll!“ von Theas Lippen, das sich wie ein Vorschlag zur Versöhnung anhören sollte, und dann ging er mit einer Verbeugung nach zwei Seiten, ein Gefühlsgemisch mit sich hinaustragend, das aus Kummer, Ekel und nagender Eifersucht bestand.

      Noch am selben Nachmittage liess sich Frau Rossig bei ihm melden. Es gab Auftritt Numero zwei, in dem eine tiefbetrübte Mutter, die ihre Tochter auf Irrwegen sieht, die Hauptrolle spielte. Thea hatte es vorgezogen, der zu erwartenden Anklage mit einem Geständnis zuvorzukommen. Hauff musste eine lange Rede über sich ergehen lassen, deren Kern darin bestand, dass Herr von Bülow ein entarteter Sprössling seines Namens sei, sich bereits früher stark für Thea interessiert habe, dass der Papa Ingenieur aber von einer Verbindung mit ihm durchaus nichts habe wissen wollen. Trotzdem habe Bülow Thea auf Schritt und Tritt verfolgt und förmlich eine Suggestion auf sie ausgeübt, so dass der Familienzwist nicht aufgehört habe.

      Nun sei er plötzlich wieder aufgetaucht, nachdem er sich ein Jahr lang irgendwo im Auslande herumgedrückt hatte, weil „er musste“. Sie, Frau Rossig, sei ganz unglücklich darüber, denn sie sei völlig unschuldig an dieser Zusammenkunft in ihrer eigenen Wohnung, die Thea „dem Menschen“ nur noch einmal bewilligt, weil er sie darum inständigst gebeten habe. Sie habe mit Thea deswegen eine fürchterliche Szene gehabt und sich für verpflichtet gehalten, sofort zu ihm zu eilen, um ihn nicht in schlimmen Gedanken sitzen zu lassen.

      Frau Rossig hatte sich so in Szene gesetzt, dass ihr die hellen Thränen flossen. Hauff war aber plötzlich ernüchtert. Er blieb auch fest, als er erfuhr, dass Bülow Berlin wieder verlassen habe, und als am anderen Tage ein langer Brief Theas kam, der viel von Reue und heiligen Versprechen enthielt. Frau Rossig hatte von ihrer Tochter nur gehört, er aber hatte gesehen, und dieser Eindruck in seiner Seele war nicht mehr zu verwischen. Der unzarte Trotz, den sie ihm entgegengesetzt hatte, war ihm wie die kalte Berechnung einer unverbesserlichen Kokette erschienen. Wenn sie ihn schon als Braut so hinterging, wie würde sie ihn erst als Frau betrügen.

      Er hob die Verlobung auf. Es gab neue Thränen der Mama Rossig, aber er blieb standhaft. Thea fügte sich merkwürdig rasch in das Unvermeidliche, und das gerade gab seinem Herzen einen neuen Stoss. Hätte sie anhaltende Reue empfunden, so würde er wenigstens die Genugtuung mit sich herumgetragen haben, auch sie nicht ganz glücklich zu sehen. Ihre Gleichgültigkeit jedoch erfüllte ihn mit um so tieferem Schmerze, da er zum erstenmal wirkliche Liebe an ein Weib verschwendet hatte.

      Er floh Berlin und ging nach Italien, wo er die Kunststätten durchzog und darüber für eine weit verbreitete Wochenschrift Reisebriefe schrieb. Er wollte überwinden, aber es gelang ihm nicht. Und so kam er als ein stiller Mann zurück, reicher an Kenntnissen und Erfahrungen, aber ärmer an Glauben an die Menschheit. Ein Schatten war in sein Gemüt gefallen, den niemand sah, dessen stete Begleitung er aber verspürte. Er wurde menschenscheu, kannte nur noch die Arbeit und passte sich mit innerem Widerwillen jener Geselligkeit an, der er von Berufs wegen nicht gut entgehen konnte.

      Dann kam eine Zeit, wo er wie zum Trotz gegen sich selbst zu leben begann, um nicht ganz zu verdummen, wie er sich einredete. Eine kleine pikante Frau hatte es ihm angetan, die Gefallen an seiner Trübsal gefunden hatte. Ihr verheissungsvolles Lächeln war das Sesam, das ihm die verhaltene Lebenslust erschloss. Er folgte ihr wie ein Hündchen von Fest zu Fest durch die erlaubten Orgien der Berliner Gesellschaft, wartend auf den heissersehnten Lohn.

      Es waren immer dieselben Wandelbilder: Salonstatisterie, verlogene Verbindlichkeit nach allen Seiten, Handküsse auf nicht mehr einwandfreies dänisches Leder, wenn’s hoch kam auf einen erhitzten Oberarm, Wein- und Sektrausch, dazu die bekannte Abfütterung grossen oder kleinen Stils, der herkömmliche Reigen, der die jungen

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