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Sie, Sie sind ein schrecklicher Herr.“

      „Ich will Sie gesund machen, das ist das Ganze.“

      Hauff setzte sich wieder, und Nelius erläuterte ihm die Verordnungen, denen er sich von jetzt ab täglich unterwerfen müsse. Währenddessen ging der Arzt seiner sonstigen Gewohnheit gemäss durch das Zimmer und nahm bald diesen, bald jenen Gegenstand in die Hand, um ihn flüchtig zu betrachten. „Vor allen Dingen müssen Sie wieder ruhig werden,“ schloss er seinen langen Erguss, „deshalb verschreibe ich Ihnen diese Diätkur. Nur leicht verdauliche Sachen essen, wenig, aber öfter. Alle zwei Stunden ungefähr. Sie müssen Ihren Magen wieder grosspäppeln. Das Rauchen stellen Sie vorläufig ganz ein. Und wenn Sie eine Bierkneipe sehen, dann gehen Sie lieber herum. Das Höchste, was Sie sich leisten dürfen, ist ein Glas leichter Mosel ... Hören Sie auch zu, was ich Ihnen sage?“ unterbrach er sich.

      „Nein, das kann ich nicht,“ warf ihm Hauff entgegen. „Ihr Herumlaufen macht mich noch kränker. Sie berühren alle Gegenstände und setzen sie auf einen falschen Fleck. Sie sind ja noch nervöser als ich.“

      Doktor Nelius blieb stehen und blickte ihn verblüfft an. „Ich, und nervös? Na hören Sie mal — ich bin der ruhigste Mensch von der Welt.“

      „Das sagen alle nervösen Menschen.“

      „Woher wissen Sie das?“ sagte Nelius diesmal gereizt.

      „Aus Ihrem eigenen Munde, Verehrtester.“

      Doktor Nelius hielt es für ratsam, in sich zu gehen. Denselben Vorwurf hatte er erst gestern von einem seiner Patienten bekommen, und so stellte er das Herumlaufen ein.

      „Übrigens — Sie dürfen niemals vergessen, lieber Freund, dass zwischen nervös und nervenkrank ein grosser Unterschied ist,“ begann er wieder. „Nervosität ist prickelnder Sekt, Nervenkrankheit aber ist stagnierende Bärme, die ja einen verdammten Beigeschmack haben soll. Damit Sie’s wissen! Und nun auf Wiedersehen morgen. Ich werde draussen noch einmal mit der Frau Rat sprechen.“

      Er war schon bis an der Tür, als er noch einmal stehenblieb. „Sagen Sie doch — was war das eigentlich für eine Dame gestern?“

      „Eine Madonna,“ erwiderte Hauff, weil er sofort wieder an Giovanni Bellini denken musste.

      Der Arzt drohte mit dem Finger. „Sie reden schon von einer Madonna. Das ist verdächtig. Ist die alte Wunde schon vernarbt?“

      „Madonnen sollen ja Wunder tun,“ gab Hauff zurück, während er sich müde auf den Tisch stützte. Dieser Einfall war ihm durch den Kopf geschossen, eigentlich mehr, um sich herauszureden.

      Doktor Nelius lachte laut auf, ohne an den tieferen Sinn der Worte zu denken. „Ah, ich verstehe — Sie wollen neue Heilung für das alte Leiden haben.“ Sofort aber wieder ernst werdend, fügte er nachdrücklich hinzu: „Schlagen Sie sich alle diese Gedanken aus dem Kopf. Denken Sie vorläufig an kein Weib, denn Liebe schafft neuen Kummer, wie ich mal irgendwo von einem grossen Franzosen gelesen habe. Denken Sie nur an sich, denn Ihre Heilung ruht in Ihnen. Die Zeiten der Wunder sind vorüber.“

      „Meinen Sie?“

      „Ja, das meine ich. Es gibt nur noch ein grosses Wunder, und das ist die Natur. Alles andere ist vom Übel. Das weiss ich als Arzt am besten. Ich habe ja gar nichts dagegen, wenn Sie Ihre Gefühle von den gemalten Madonnen beeinflussen lassen, das soll ja ästhetisch wirken; aber die lebenden lassen Sie hübsch beiseite, es gibt eben keine mehr. Adieu, Sie gläubiger Apostel.“

      Er war verschwunden. Hauff stand lange auf demselben Fleck, blickte ihm nach und geriet erst in Bewegung, als die Stimmen seiner Wirtin und des Doktors draussen verhallt waren. Kaum befand er sich fünf Minuten allein, als ihn eine unerklärliche Unruhe aus einem Zimmer ins andere trieb. Er öffnete die Balkontür und trat schliesslich hinaus. Der Anblick der Menschen unten stimmte ihn sicherer. Nun wusste er: nur die Anwesenheit Nelius’ hatte ihn ruhiger gemacht. Unwillkürlich trat er von der Brüstung des Balkons zurück. Merkwürdig — die Strasse erschien ihm heute viel tiefer, gähnender als sonst, so dass er förmlich Schwindel empfand. Und er hatte doch zuvor niemals daran gelitten.

      Er flüchtete förmlich ins Zimmer, setzte sich auf das Sofa und versuchte die Zeitung zu lesen, aber die Buchstaben erschienen ihm sonderbar verschwommen. Er bildete sich ein, der Druck sei schlecht, endlich aber kam er dahinter, dass er seit gestern an einem nervösen Flimmern leiden müsse. Er warf das Blatt wieder beiseite und liess sich am Arbeitstisch nieder, um einige notwendige Briefe zu schreiben. Dadurch würde er gewiss auf andere Gedanken kommen.

      Aber kaum hatte er die Feder angesetzt, als er eine gewisse Unsicherheit in seiner rechten Hand fühlte, die er vordem nie empfunden hatte. Sonst hatte er kräftige Schriftzüge, nun vermochte er die Buchstaben kaum auszuschreiben, so dass sie wie hingekritzelt aussahen.

      „Dein Puls schlägt zu hastig,“ sagte er sich und begann an ihm zu fühlen. Die Neigung zum Weiterschreiben schwand, und er wollte nun alles bis zum Nachmittage aufschieben, wo er jedenfalls ruhiger geworden sein würde.

      „Was sind das alles für Zustände?“ dachte er dann, als er aufs neue durch die Zimmer ging, unentschlossen, was er beginnen solle. Sein ganzer Körper schien aus Erregung zusammengesetzt zu sein. Er fühlte an seinem Herzen, das unheimlich rasch schlug, und tödliche Angst erfasste ihn wieder. Er wollte wissen, wie er aussähe, und suchte nach dem Stellspiegel, ohne ihn zu finden. Sicher hatte ihn Doktor Nelius mitgenommen, und so kam ein ärgerlicher Ausruf über seine Lippen.

      Er eilte an den Wandspiegel und brachte sein Gesicht dem Glas ganz nahe. Hatte er blaue Lippen? Aber natürlich doch! Zum mindesten waren sie bläulich angehaucht. Er nagte an seinen Lippen, um mit Gewalt dadurch das Blut in Erregung zu bringen, und dabei entsann er sich der Bemerkung der Unbekannten gestern im Walde, dass er an Zwangsvorstellungen leide, und dass dies alles nur durch Willenskraft überwunden werden könne. Lebhaft stand sie vor ihm, mit ihrer Ruhe, ihrer abgemessenen Handbewegung.

      Der Drang nach frischer Luft und unter Menschen zu sein, erfasste ihn mächtig. Und damit verknüpfte sich die unbestimmte Sehnsucht, diesem seltsamen Weibe durch einen abermaligen glücklichen Zufall zu begegnen, um ihre Stimme wieder zu vernehmen.

      Rasch rüstete er sich zum Ausgehen, wobei er eine Hast entfaltete, als stünden unsichtbare Verfolger hinter ihm, die ihn zur Eile antrieben. Seine Bewegungen waren zerfahren, alles nahm er mehrmals in die Hand, als wüsste er nicht, wozu er es gebrauchen sollte.

      Er suchte die Seife, trotzdem sie vor ihm lag, vermisste das Handtuch, das wie immer an der alten Stelle hing, und kramte lange nach dem Anzug, den er heute anziehen wollte. Die kranken Nerven beeinflussten seinen Willen, so dass sein ganzes Tun in Auflösung war. Halb erst fertig, stürzte er wieder in das Arbeitszimmer und dann in den kleinen Nebensalon, weil ihn hier von den Mitbewohnern nur eine Tür trennte. Es war wie eine Flucht vor bösen Geistern, denen er nicht unterliegen wollte.

      Schon hatte er die Absicht, nach seiner Wirtin zu klingeln, als er seine Schwäche siegreich überwand. Die Abschiedsworte der Unbekannten fielen ihm ein und das Versprechen, das er ihr gegeben hatte. Merkwürdig, dass er in diesem Augenblicke gar nicht an den Arzt dachte, sondern immer nur an sie, die ihm so grosse Teilnahme entgegengebracht hatte.

      „Schäme dich, sei ein Mann,“ hallte es in ihm, und er biss die Lippen zusammen, betrat wieder das Arbeitszimmer und bannte mit Gewalt die folternde Angst. Als es aber klopfte und die Frau Rechnungsrat eintrat, atmete er erleichtert auf. Niemals hatte er die Anwesenheit seiner Wirtin so angenehm empfunden als gerade jetzt, und es schien ihm, als ginge ein gewisser Zauber von dieser alten Dame aus, für deren etwas plump geratene Gesichtszüge er sich nie hatte begeistern können, die ihm nun aber wie die erlösende Sonne entgegenstrahlten.

      „Ei, ei, Frau Rat, was haben Sie für eine schöne Haube auf,“ plauderte er los.

      „Gefällt sie Ihnen?“ gab sie verwundert zurück, da er sich noch niemals für derartige Dinge interessiert hatte.

      „Sehr sogar, Frau Rat. Namentlich das lila Band kleidet Sie prächtig. Sie wissen, auf Farben verstehe ich mich.“

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