Скачать книгу

      Einen ganzen Winter hindurch ging es so, Hauff kam aus dem Frack kaum heraus, so dass er sich einbildete, in ihm zu schlafen. Und als er dann die Belohnung von der „Pikanten“ weg hatte, die ihm sehr alltäglich vorkam, erschien ihm plötzlich alles wieder sehr schal und nüchtern, so dass er die Saisonrechnung noch einmal überflog und zu dem Ergebnis kam, wenig gearbeitet, aber viele Schulden gemacht zu haben.

      Vater Steuerrat, dem gebeichtet werden musste, half aus, wofür Hans das heilige Versprechen geben musste, in die alte Bahn zurückzukehren. Schon der Nerven wegen! Denn damit hatte es plötzlich zu hapern begonnen, was Nelius, Hauffs Freund und ärztlicher Berater, durchaus nicht sehr wunderlich fand. Wenn das so weiter ginge, könnte „Hänschens“ einmal die Telegraphendrähte in seinem Körper summen hören, und das würde gerade kein angenehmes Gefühl in ihm erwecken, hatte der Praktikus hinzugefügt.

      Alles das zog wie ein grosser Geistesflug an Hauff vorüber, während er nach oben ins Wesenlose starrte.

      Die Stimme seiner Wirtin im Nebenzimmer und gleich darauf lautes Klopfen hinderten ihn am weiteren Träumen mit offenen Augen. Es war Doktor Nelius, der den Kopf hereinsteckte und dann, als er den Patienten munter erblickte, mit einem dröhnenden „Guten Tag“ ins Zimmer trat.

      „Nun, die Kunstkritik liegt ohne Kater im Bett? Da ist das Stadium wohl bedenklich?“ begann er gemütlich, nachdem er Hauff die Hand entgegengestreckt hatte.

      „So ist es, lieber Doktor, sie nimmt einen visionären Charakter an.“

      „Das hat sie eigentlich schon in gefunden Tagen gehabt,“ fiel Nelius lachend ein und legte den glänzenden Zylinderhut nebst Stock mit silberner Krücke beiseite.

      „Aber erlauben Sie mal.“

      Doktor Nelius winkte ab. „Ich weiss schon, lieber Freund, was Sie sagen wollen. Auch was Sie bei sich denken. Ich sei natürlich wieder ein Böotier, der von den heiligen Aufgaben der Kritik nichts verstünde. Na ja, mag sein. Ich mache mir eben meine Kritik ganz allein. Den armen Kerl, den Sie neulich da heruntergerissen haben, der tut mir wirklich leid. Mir haben die Bilder sehr gut gefallen. Wenn Sie’s nicht geschrieben hätten, wäre ich überhaupt nicht hingegangen. Aber ich ahnte schon das Visionäre bei Ihnen. Es konnte ja auch gar nicht ausbleiben. Nach solchem Schlemmerleben ... Weiss schon, weiss schon — ich weiss überhaupt alles!“

      Er winkte abermals ab. „Einen Augenblick.“ Er öffnete die Tür wieder und rief ins Nebenzimmer: „Er lebt, Frau Rat, keine Sorge. Edles Unkraut vergeht nie. Bitte also die Roggenmehlsuppe kochen zu lassen. Etwa drei kleine Tassen. Etwas durchschlagen.“

      „Soll alles prompt besorgt werden, Herr Doktor,“ klang es zurück.

      Dann klappte die Tür wieder, und Doktor Nelius stellte sich nun dicht an das Bett, betrachtete Hauff prüfend und fühlte dessen Puls, während er auf seine Uhr blickte. Frau Kolbe hatte bereits am frühen Vormittag aus Sorge um ihren Mieter zu ihm geschickt und ihm die nötige Aufklärung gegeben.

      „Was soll ich trinken? Mehlsuppe?“ fragte Hauff etwas verblüfft.

      „Aus Roggenmehl sogar, lieber Freund,“ fiel ihm Nelius, ernst ins Wort. „Wir fangen genau wieder damit an, wo wir vor einem Jahre aufgehört haben. Ihre Zunge sieht nicht sehr vertrauenerweckend aus, und der Puls soll durchaus nicht so bleiben. ,Der Magen ist der Tyrann des Menschen‘, sagte der selige Homer schon, aber wir wollen ihn schon kriegen — den Tyrannen nämlich ... Nun aber schleunigst heraus, wenn ich bitten darf. Die Nerven sind nicht dazu da, durch Stilliegen gemästet zu werden. Das sind Revolutionäre, denen man am besten durch Bewegung die Mucken austreibt. Geheime Versammlungen werden hier nicht geduldet. Daraus entsteht nur eine gesundheitswidrige Grübelsucht. Also wenn ich bitten darf — stöhnen Sie nicht, ächzen Sie nicht, sondern erheben Sie Ihren kunstbegeisterten Korpus so schnell als möglich. Ich werde mir einstweilen nebenan Ihre Bücher von aussen ansehen. Dabei kommt man manchmal auf bessere Gedanken, als wenn man sie liest.“

      Er griff wieder zu Hut und Stock und verschwand im Nebenzimmer, während Hauff, ermutigt durch diese humoristische Unterhaltung, sich schleunigst erhob, um sich zweckmässig anzukleiden.

      Viertes Kapitel.

      Inzwischen erfreute sich Doktor Nelius’ Auge an den Liebhabereinbänden der Bibliothek, die in einem grossen, offenen Regal fast die ganze mächtige Hinterwand des Arbeitsraumes einnahm. Das tat er jedesmal, sobald er bei Hauff anwesend war. Er gehörte zu den unruhigen Geistern, die sich, um ganz bei der Sache zu bleiben, immer mit nebensächlichen Dingen beschäftigen müssen. Aber seine Nervosität war von jener harmlosen, ungefährlichen Spielart, die bei geistigen Berufsmenschen während des Winters eigentlich nur auftaucht, um durch die sechswöchentliche Erholungsreise im Sommer vertrieben zu werden, bis sie allmählich wiederkehrt.

      Doktor Nelius war ein eleganter, zur Korpulenz neigender Herr, nicht über die Mittelgrösse hinausragend, der stets auf tadellose Kleidung hielt und mehr eitel auf seinen wohlgepflegten, stark entwickelten Blondvollbart sein durfte als auf seinen Schädel, der nur noch von einigen verlassenen Härchen getrübt wurde. Beides passte aber vortrefflich zusammen, denn man hätte sich diese Glatze nicht ohne Bart und diesen Bart nicht ohne Glatze vorstellen können.

      Er hatte, da er reich mit Mitteln ausgestattet war, als Junggeselle und Assistenzarzt einer bedeutenden medizinischen Grösse etwas flott gelebt, war dann aber schon als Dreissigjähriger in die Ehe gesprungen und wiegte sich nun bereits in dem Stolz eines „vierfachen“ Vaters. Von Natur aus witzig veranlagt, trug er beizeiten grosse Offenheit zur Schau, die ihn bei vielen seiner „eingebildeten Kranken“ gefürchtet gemacht hatte. Trotzdem besass er viel Gemüt, das er bei seinen ärmeren Patienten in einen regen Wohltätigkeitssinn umzusetzen pflegte.

      Nach einigen Minuten stellte er den Prachtband wieder in die entstandene Lücke, entledigte sich seines Frühjahrpaletots und ging dann nachdenklich in dem grossen Balkonzimmer umher, ohne all die Dinge weiter zu betrachten, die er hier bereits unzähligemal gesehen hatte: den prächtigen Stich der Schule von Athen Raphaels über dem Schreibtisch, den mächtigen Zeuskopf, der die Bibliothek krönte, eine gelungene Ölkopie der Hexe von Franz Hals, die oben aus der einen Wandecke des Zimmers herauszuspringen drohte, und die vielen anderen grossen und kleinen Kunstgegenstände, die überall umherstanden und hingen, wo nur Platz dazu war.

      Es sah sehr zwanglos-künstlerisch in diesem Zimmer aus, in dem Hauff alles zusammengetragen hatte, was sein Vermögen ausmachte und ihm das Geistesbrot seines Berufs war: Aufmerksamkeiten befreundeter Maler und Bildhauer („ohne Bestechung“, wie er scherzend zu sagen pflegte), kleine Erinnerungen von zarten Frauenhänden, den massiv geschnitzten Arbeitstisch, den antiken Lutherstuhl, das Pantherfell zu Füssen, die beiden alten Glasmalereien, die die Höhe der Fensterscheiben nicht ganz erreichten, und einen hübschen Rauchtisch im japanischen Stil —, ein Weihnachtsgeschenk der „Pikanten“, mit der schönen Widmung auf der Platte: „Nimmst du mich, so hast du mich“, was eigentlich sehr doppelsinnig klang, trotzdem es ein Selbstbestimmungsspruch der Zigarren sein sollte.

      Es roch nach „Kunst und Persönlichkeit“, wie Doktor Nelius diese Stimmung näher bezeichnete. Augenblicklich hatte er aber keinen Sinn dafür, denn seine Gedanken bewegten sich in einer ganz anderen Richtung, trotzdem er zum zweitenmal an die Bibliothek getreten war und nun ein anderes Buch für würdig hielt, seinen goldstrotzenden Rückentitel von ihm betrachten zu lassen.

      Der Zustand Hauffs machte ihm Sorge. Er würde sich aber hüten mit der ganzen Wahrheit herauszurücken, denn er wollte bessern und nicht verschlimmern. Während er noch darüber nachdachte, trat Hauff, seine Haussammetjoppe an, ein seidenes Tuch lose um den Hals geschlungen, hastig herein, so dass er die Tür förmlich hinter sich zuschlug.

      „Na, Sie tun ja gerade so, als verfolgte Sie jemand,“ sagte Nelius heiter.

      „Es war auch beinahe so. Wissen Sie, es ist merkwürdig —, ich konnte plötzlich nicht mehr allein im Zimmer bleiben.“

      „Trinken Sie nur erst Ihre Mehlsuppe, dann werden Sie schon ruhiger werden,“ gab der Arzt trocken zurück.

      Es

Скачать книгу