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können gut scherzen,“ sagte Hauff wieder, während er sich über die erste Tasse mit einem Gesicht hermachte, von dem sich der Arzt eine Momentaufnahme wünschte. „Kriegen Sie erst einmal solchen Zustand.“

      „Was für einen Zustand denn?“ fragte Nelius gut geheuchelt zurück. „Sie halten sich wohl für krank?“

      „Selbstverständlich, mein Bester. Sehen Sie sich doch einmal meine blauen Lippen an. Wenn das noch nichts sein soll —.“

      „Blaue Lippen. Wo denn? Sie waren doch sonst nie so farbenblind? Soviel ich sehen kann, haben Sie die schönsten roten Lippen von der Welt. Ich wollte, ich hätte immer solche.“

      „Sie werden mich darüber nicht hinwegtäuschen können. Sehen kann ich wenigstens noch, und der Spiegel im Schlafzimmer hat sehr weisses Glas.“

      „Das konnte ich mir ja denken, dass Sie sich eingehend beäugeln würden,“ sagte Nelius lächelnd. „Nehmen Sie sich um Gotteswillen vor der Spiegelkrankheit in acht. Das ist die gefährlichste ... Sitzen geblieben! Sonst wird die Suppe kalt.“

      Hauff hatte sich erhoben mit der unverkennbaren Absicht, einen kleinen Stellspiegel herbeizuholen, der auf einem Notenständer neben dem Schreibtisch stand. Sofort drückte ihn der Arzt auf die Sofaecke nieder, indem er fortfuhr: „Daraus wird nichts, lieber Freund und Kupferstecher. Sie haben mir zu glauben und nicht Ihrem getrübten Blick. Das bitte ich mir von heute ab ein für allemal aus. Sonst nehme ich die Feder in die Hand und schreibe ein Feuilleton über farbenblinde Kunstkritiker, die als solche das Publikum jahrelang getäuscht haben.“

      „Sie behandeln mich ja heute ausserordentlich liebenswürdig, erwiderte Hauff, indem er sich zur Heiterkeit zwang.

      „Es soll ja erst losgehen, lieber Freund.“

      „Aber wenn Sie meinen, dass mein Blick heute getrübt sei, will ich mich Ihnen gern fügen,“ fuhr Hauff unbeirrt fort. „Es ging mir schon gestern abend so, die Häuser standen, und sie standen auch nicht.“

      „Na, sehen Sie ...“

      „Ich glaubte, verrückt zu werden.“

      „Bilden Sie sich nur nicht solche Torheiten ein. So ’was dürfen Sie überhaupt gar nicht aussprechen — es ist strafwürdig.“

      „Man kann doch nur einen Zustand schildern, wie man ihn empfindet. Und das tut man am besten durch das allein zutreffende Wort.“

      „Dann sage ich Ihnen als Arzt, dass Sie von medizinischen Seelenzuständen so gut wie gar nichts verstehen,“ fiel ihm Nelius trocken ins Wort. „Das Verrücktwerden sieht man nicht kommen. Verrückt wird man, ohne dass man es weiss. Dafür lasse ich Ihnen meinen Kopf zum Pfande.“

      „Das wäre ja entsetzlich, lieber Doktor. Was sollte meine Wirtin sagen, wenn sie Sie so herauslaufen sähe.“ Er lachte leicht auf, so dass der Arzt mit einfiel.

      „Sie können noch Witze machen, ei, sehen Sie mal an. Und dann tun Sie wunder wie schwer krank Sie seien?“

      „Bei solcher Mehlsuppe muss einem ja der Galgenhumor kommen.“

      „Gefällt mir sehr. Trinken Sie also getrost noch die dritte Tasse. Und dann wollen wir einmal vernünftig reden.“

      Hauff erzählte umständlich alles das, was ihm am Nachmittage des vergangenen Tages passiert war, auch die Begegnung mit der unbekannten Dame erwähnte er, aber nur oberflächlich, soweit es für den Arzt von Interesse sein konnte. Doktor Nelius unterbrach ihn fortwährend, was Hauff bei sich unausstehlich fand, da er seinen Bericht in eine gewisse novellistische Form gekleidet hatte, wodurch er sich mit einem Schimmer des Martyriums umgeben glaubte. Er hielt sich wirklich für schwer krank, und so vermochte er nicht zu begreifen, dass der Arzt nicht sofort in eine Trauerhymne ausbrach. „Sie finden das wohl noch lächerlich, lieber Freund?“ fragte er etwas erbost.

      „Wieso?“

      „Nun, Sie lächeln ja fortwährend.“

      „Über Ihre Behauptung, dass Sie schwer herzleidend seien.“

      „Bin ich auch — seit gestern.“

      „Doch nicht infolge der neuen Damenbekanntschaft?“

      „Machen Sie doch nicht solche Witze! Mein Herz schlägt mir tatsächlich bis zum Halse, und im Kopfe ist mir ganz dumm. Ich fürchte einen Schlaganfall.“

      Doktor Nelius lachte schallend auf. „Alles Rache Ihres Magens für die schlechte Behandlung, die Sie ihm haben zuteil werden lassen. Ich habe Ihnen schon früher einmal gesagt, dass die Magennerven kleine Bestien sind.“

      „Davon habe ich auch den ergiebigsten Gebrauch gemacht. Sogar die biederen Waldarbeiter wissen es schon.“

      „Diese kleinen Bestien rächen sich nun,“ fuhr Nelius fort, „sie telegraphieren ans Herz, und das Herz gibt die Depesche ans Gehirn weiter.“

      „Sehr poetisch ausgedrückt.“

      „Aber auch sehr naturalistisch.“

      „Und was steht in dieser Depesche?“

      „Dass die kleinen Bestien die subtilste Behandlung verlangen, um die Bewohner der beiden oberen Etagen in Ruhe zu lassen. Das heisst mit anderen Worten, Sie müssen so diät als möglich leben. Und nun, bitte, ziehen Sie einmal die Kleedage ab.“

      Doktor Nelius setzte sein Hörrohr an, lauschte aufmerksam, beklopfte den Oberkörper hinten und vorn und schmunzelte befriedigt. „Alles in Ordnung. Sie können ganz beruhigt sein,“ sagte er dann, „nur das Herz hat zuwenig Energie. Ein bisschen Magenerweiterung, aber das wollen wir schon kriegen ... Immer ruhig, immer ruhig! Deswegen brauchen Sie nicht gleich aufzufahren. Sie leiden hauptsächlich an nervöser Dyspepsie.“

      „Was ist denn das?“

      „Eigentlich Verdauungsschwäche, eigentlich auch nicht. Das ist ja auch ganz Nebensache, die Patienten brauchen nicht alles zu wissen. Die Hauptsache ist, dass Sie alles befolgen, was der Arzt Ihnen verordnet.“

      „Sie sind bezaubernd gütig.“

      „Wie immer,“ gab Nelius spöttisch-verbindlich zurück.

      „Und es wird mir wirklich nichts passieren?“

      „Was sollte Ihnen passieren? Wenn Sie alles das tun, was ich Ihnen verordne, kann Ihnen mit derselben Sicherheit etwas passieren, mit der ich etwa die Treppe herunterfalle oder von einem Omnibus überfahren werde. Hoffentlich sind Sie nun zufrieden. Und plagen Sie sich nicht mit Einbildungen, denn die Einbildungen sind Ihr gefährlichster Feind. Den müssen Sie vor allem überwinden, dann wird auch das andere allmählich kommen. Verschreiben tue ich Ihnen vorläufig nichts. Sie sind auf natürlichem Wege krank geworden und sollen auf demselben Wege auch wieder gesund werden. Hoffentlich sind Sie nun von meiner guten Meinung für Sie überzeugt.“

      „Ich würde Sie küssen, Doktor, wenn Sie ein hübsches Mädchen wären.“

      „Derartige Gedanken lassen Sie vorläufig, das rate ich Ihnen ausdrücklich. Beschäftigen können Sie sich, aber höchstens zwei Stunden täglich. Mit dem vielen Arbeiten hat’s vorläufig ein Ende.“

      Doktor Nelius war ernst geworden. Er setzte sich an den Sofatisch, machte sich Notizen in seinem Taschenbuch und schrieb dann auf einem Blatt Papier, das er sich ausgebeten hatte, die Diätverordnung nieder. Plötzlich sprang er auf. Hauff hatte die Gelegenheit benutzt, sich wieder an den kleinen Spiegel zu stehlen, den ihm nun Nelius entriss. „Ja, wenn Sie nicht auf mich hören wollen, dann suchen Sie sich, bitte, lieber einen anderen Arzt,“ sagte er mit gemachter Wut. „Begucken Sie sich lieber in Ihren Kupferstichen, das zerstreut. Und zerstreuen sollen Sie sich ... Das Glas wird konfisziert und Ihrer Wirtin übergeben, die es bei Todesstrafe einschliessen muss.“

      „Vielleicht lassen Sie die Wandspiegel auch einschliessen,“ fiel ihm Hauff ärgerlich ins Wort.

      Doktor Nelius lachte. „Die können Sie wenigstens nicht in die Hand nehmen. Und so dicht können Sie sich darin auch nicht

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