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erstenmal blieb sie stehen, dabei vernahm er, wie sie mit grossen Zügen die Luft einsog. Dann sagte sie: „Ich habe den Kiefernduft zu gern. Namentlich nach einem Regen. Sie sollten auch noch ein paar kräftige Züge nehmen. Das ist gesund für die Nerven. Wie lange dauert’s, und man muss wieder die stickige Luft in den Strassen atmen.“

      Er glaubte ihr einen Gefallen tun zu müssen, und so tat er dasselbe wie sie.

      Näher erschallte das Fauchen der Lokomotive, deren leichten Pfiff man vernahm, und vor ihnen in der Ferne lag nun der schwache Schein der beginnenden Lichtung.

      „Lieben Sie Berlin?“ sagte sie dann wieder, als sie weitergeschritten waren.

      „Manchmal hasse ich es,“ gab er zurück, um ihren Widerspruch herauszufordern. „Es zerreibt die Kräfte mehr als jede andere Stadt.“

      „Aber es hat einen grossen Vorzug,“ sprach sie weiter, „man kann nirgends einsamer sein als unter einer Million Menschen, die man nicht kennt und von denen man nicht gekannt wird. Dabei hat man das schöne Gefühl, niemals allein zu sein. Das werden Sie auch schon noch empfinden — gerade jetzt bei Ihrem Leiden. Passen Sie auf.“

      „Und doch gehen Sie hier allein spazieren,“ wandte er ein.

      „Um neue Kräfte für den täglichen Kampf zu sammeln. Und ich liebe diesen täglichen Kampf, weil man an ihm seine Kraft erproben kann. Das wird Ihnen vielleicht etwas wunderlich klingen, weil eine Frau es sagt, aber es ist so. Es wird jetzt soviel von dem sogenannten Milieu gesprochen, das die Menschen umwandle. Das sagen immer diejenigen, die für ihre Energielosigkeit eine Entschuldigung haben wollen. Ich bleibe dabei, dass der Wille alles macht, vorausgesetzt, dass ein gesunder Organismus vorhanden ist. Willensstärke gibt auch Seelenreinheit. Der Mut ist immer der bessere Teil der Kraft.“

      Weshalb sagte sie das alles gerade ihm? Hatte sie schon so manchen Spezialfall erlebt, aus dem sie die Berechtigung herleitete, ihre Erkenntnis in kleinen Dosen zum besten zu geben? Gar zu gern hätte er etwas Näheres darüber erfahren, er machte auch mehrmals während der gleichgültigen Unterhaltung, die nun folgte, eine dahinzielende Wendung, der sie aber jedesmal geschickt auswich. Sie schien keine Neigung zu haben, auf ihre Verhältnisse einzugehen.

      „Hätten Sie sich nicht gefürchtet, allein zum Bahnhof zu gehen? Es ist doch bereits finster geworden,“ sagte er plötzlich, weil er schon längst darauf zurückkommen wollte.

      „Fürchten? Weshalb? Ich habe ja gesunde Nerven.“

      Er schwieg. Am liebsten hätte er ihr gesagt, dass sie zu beneiden sei, aber er dachte es nur und verlor sich in Gedanken.

      „Es ist auch nur der reine Zufall, dass es heute so spät geworden ist,“ fuhr sie währenddessen fort. „Ich weiss wohl, dass es nicht gerade angenehm auffällt, wenn eine Dame allein so weite Spaziergänge macht, aber ich bin nun mal ganz selbständig. Auch in solchen Dingen. Früher ging ich oft mit meinem seligen Vater, aber nun — —.“

      Er glaubte einen ähnlichen leichten Seufzer zu vernehmen, wie sie ihn bereits im Forsthause ausgestossen hatte. Ohne Zweifel musste sie stillen Kummer haben, den sie aber tapfer zu verbergen trachtete. Er wusste nicht, wie es kam — aber es war ihm nicht unangenehm, dass der „ältere Herr“, von dem die Frau Förster gesprochen hatte, jedenfalls der Verstorbene gewesen war.

      Sie habe sich übrigens heute mit einer anderen Dame verabredet gehabt, die aber plötzlich verhindert gewesen sei, fuhr sie fort. Sie habe aber dabei nicht viel verloren, denn die Betreffende sei etwas geschwätzig, und das verderbe ihr manchmal die ganze Stimmung. Der Weg bis zum Teufelssee sei in der Regel immer belebt, und sie wundere sich selbst, dass sie heute so wenig Menschen begegnet sei. Die lieben Berliner wüssten eben gar nicht, was sie auch in der Woche an ihrem Grunewald hätten.

      Hauff gab ihr zu verstehen, dass sie sich, falls sie Lust dazu hätte, getrost den Herren anschliessen könnte, mit denen er sonst hier seine Wanderungen unternehme. Es seien allerdings einige alte Brummbären darunter, mit denen sie schon vorliebnehmen müsste.

      Sofort fiel sie ihm mit der Bemerkung ins Wort, dass er gar nicht wissen könne, ob er in den nächsten Tagen den Mut finden werde, den Wald wieder aufzusuchen. Mit den Nervenanfällen sei es wie mit dem Feuer, das man scheue, wenn Man sich einmal verbrannt habe. Man meide den Ort, wo einem so etwas passiert sei. Die Zukunft würde ihm beweisen, dass sie recht gehabt habe.

      „Ich danke Ihnen jedenfalls sehr für Ihre Liebenswürdigkeit,“ schloss sie. „Wenn der Zufall es einmal so macht, will ich mich Ihnen gern anschliessen. Hoffentlich dulden mich dann die Herren ein wenig.“

      „Aber ich bitte Sie —!“ wandte er zur Beruhigung ein.

      „Bitten Sie lieber nicht, Sie könnten bei der Majorität doch auf Widerstand stossen.“

      Sie hatten die Lichter des Bahnhofs vor sich und mussten sich nun beeilen, um den Zug noch zu erreichen. Der Zufall wollte es, dass sie allein in einem Wagenabteil zweiter Klasse fuhren. Sie hatte ihm gegenüber Platz genommen, und als sie den Schleier wieder über den Hut schob, weil sie es nach dem andauernden Gehen warm fand, hatte er jetzt erst Gelegenheit, sie im hellen Lichte aufmerksam zu betrachten. Der flüchtige Eindruck, den er von ihr im Forsthause empfangen hatte, war verwischt, und so wunderte er sich nun, sie ganz anders zu finden, als wie er sie sich im Dunkel des Waldes ausgemalt hatte.

      Entschieden hatte sie etwas Kluges in ihrem Gesicht, was auch die auffallende Weichheit ihrer Linien nicht verdrängen konnte. „Ich hätte sie mindestens für Dreissig gehalten,“ dachte er, „aber sie kann doch höchstens Mitte der Zwanzig sein. Das macht wohl die Art ihres Auftretens.“

      Während sie an ihren Handschuhen nestelte und den Blick dabei gesenkt hielt, so dass er die langen, seidenartigen Wimpern bewundern konnte, setzte er seine heimliche Beobachtung fort. Die Base war vielleicht zu wenig fein, der Mund nicht klein genug, um für tadellos schön zu gelten, dafür aber war der Schwung der Lippenlinien edel und herausfordernd. „Zum Küssen“, fügte er seiner Gedankenbeschreibung hinzu. Das Ohr war zierlich und anliegend, so dass es ihm wie eine rosige Fleischmuschel erschien. „Auch Kinn und Hals sind ganz mollig,“ dachte er weite.

      Am meisten gefiel ihm die Zartheit ihrer Gesichtsfarbe, in die das Laufen die gesunde Wangenröte getrieben hatte. Fürwahr, es war ein merkwürdiger Typus, über den er als Kunstschriftsteller nicht so leicht hinwegkommen konnte. Sie erschien ihm wie ein Gemisch von Weib und Kind — wie eines jener seltsamen Geschöpfe, deren Äusserungen dem Aussehen ganz widersprechen. Wenn sie schwieg, glaubte er sie für unbedeutend zu halten, sprach sie dann aber in ihrer gemessenen, wohlüberlegten Weise, so hätte er am liebsten die Augen schliessen mögen, um sich in der Einbildung zu wiegender habe eine reife, lebenskundige Frau vor sich.

      Ihre Hände machten ihm besonders zu schaffen. Sie hatte die Handschuhe abgestreift und in ihren Schoss gelegt. Da sie die Empfindung hatte, dass ihr der Hut nicht recht sitze, so nahm sie ihn ab, nachdem sie sich vergeblich bemüht hatte, die lange Nadel gefügiger zu machen. Glänzend-braunes Haar leuchtete ihm entgegen, das in der Mitte glatt gescheitelt war, sich nach den Ohren zu leicht kräuselte und am Hinterkopf in einen üppigen Flechtenkranz auslief. Während sie mit der Hand darüber hinfuhr und den losen Knoten fester steckte, kamen ihm die beweglichen Finger wie weisse Schlangen vor, die sich durcheinander wühlten. Fast aufdringlich musterte er sie, so dass er vermeinte, ihre Rote setzte sich bis in die Stirn fort, als sie sich beobachtet fühlte.

      „Was für schöne Hände Sie haben,“ sagte er unwillkürlich, hingerissen vom Schauen, „ein Maler könnte seine Freude daran haben.“

      „Meinen Sie? Dann muss ich sie mir selbst einmal ansehen.“ Mit einem kurzen Lachen brachte sie beide Handflächen zusammen und musterte sie mit der Neugierde eines Kindes.

      Sie erschien ihm plötzlich freundlicher, nicht mehr so würdevoll wie im Waldes weicher und weibischer in ihrem Wesen. „Die Gioconda von Leonardo da Vinci hat solche Hände.“

      „Ach was. Nie etwas davon gehört.“

      „Gerade so spitz auslaufend, geschmeidig, fast ohne Knochen.“

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