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geklärt, aber noch erfüllt von den leisen Schauern der Nässe. Das erste frische Grün der Grasspitzen lugte verlangend aus dem Boden hervor. In der Ferne zwischen den Stämmen hing der graue Nebeldunst des Abends, der schwer und trübe, beschleunigt durch die dunkeln Wolkenmassen am Himmel, früh hereinzubrechen drohte.

      Und diese trostlose Stimmung im Walde war es gerade, die auf Hauffs Gemüt gewirkt und seine Nerven in Aufruhr gebracht hatte. Noch einmal wollte er in einem grossen Gedankenzug den Vorgang mit allen Einzelheiten zusammenfassen, aber es gelang ihm nicht, denn ihm fehlte die Kraft zum Denken — jene frische befriedigende Kraft, die ihn noch am Abend vorher in seiner Studierstube so beglückt hatte. Wie froh hatte er sich schlafen gelegt, zwar aufgeregt wie immer nach geistiger Tätigkeit, die bis tief in die Nacht währte, aber doch friedlich, ungepeinigt von dem Angstgefühl, das ihn nun die Einsamkeit wie ein Schreckgespenst empfinden liess. Denn er wusste: hätte man ihm einen goldenen Berg versprochen, er würde heute nicht noch einmal denselben Weg genommen haben, den er soeben zurückgelegt hatte.

      Er war krank, wirklich krank; in einer Stunde war er es geworden, wie die heitere Schönheit sich plötzlich in traurige Hässlichkeit verwandelt. Er fühlte einen anderen Menschen in seinen Kleidern, einen über die Jahre hinaus gealterten, der den Gedanken nicht los werden konnte, der Tod müsste ihn doch noch plötzlich ereilen.

      Sein Herz schlug ihm bis zum Halse, so dass er fortwährend an die Kehle griff, und Handflächen und Stirn waren fettig von nervösem Angstschweiss, der immer aufs neue sich zeigte, so oft er ihn auch trocknete.

      Als das Stahlknecht eine Weile beobachtet hatte, kam ihm dieses Benehmen sonderbar vor, und noch mehr, als Hauff wiederholt mit der Frage hervorkam, wie er denn aussehe.

      „Aber ganz gesund, Herr Doktor, ganz gesund,“ gab er zurück. „Man sollte meinen, dass Ihnen gar nichts fehlt.“ Sein Gedanke dabei aber war: „Etwas los bei ihm da oben muss doch sein.“ Und er wurde in dieser Meinung noch bestärkt, als Hauff ihm erwiderte: „Die kranken Nerven kann man nicht sehen, lieber Mann.“

      Stahlknecht schritt auf seinen grossen Waldtretern gleichmässig neben ihm her. Das Wort „Nerven“ machte ihm wieder zu schaffen. Das mussten ja verflixte Dinger sein, die dem Menschen zusetzten, ohne dass man es ihm ansehen konnte. Nur die feinen Leute sollten sie haben, davon hatte er schon gehört. Menschen seines Schlages blieben davon verschont, das wusste er auch.

      „Nun können der Herr Doktor sich ja selbst etwas verschreiben, was gut tut dagegen,“ sagte er wieder. Seiner Meinung nach waren alle Herren, die diesen Titel führten, Ärzte. Und als Hauff ihm die Aufklärung gab, dass er es mit einem „anderen Doktor“ zu tun habe, machte der Hüne ein etwas dummes Gesicht, schob seine Mütze zurück und sagte wichtig: „Das is nu so, Herr Doktor. Sie müssen mit dem Kopp arbeiten und wir mit den Fäusten. Dafür kriegen wir auch die Dinger nich, die Sie haben.“ Dann, nach einer Kunstpause, kam er vorsichtig mit der Frage hervor, was die Nerven eigentlich seien.

      „Bestien, Bestien, lieber Stahlknecht,“ gab Hauff zur Antwort, „kleine, lose Bestien. Sie peinigen uns, ohne dass wir sie dafür bestrafen können. Im Gegenteil — wir müssen ihnen noch gut zureden und sie sanft behandeln. Sonst rächen sie sich doppelt.“

      Nun wurde Stahlknecht erst recht nicht daraus klug. Mit einem „Ach, so ist das“ schwieg er sich aus.

      Sie waren am Teufelssee angelangt, zu dem es bergab ging. Still und grau lag der Spiegel des Wassers, in dem sich der Torfstich vorn wie eine schwarze Wand in der Tiefe verlor. Der bewölkte Himmel, die dunkeln Kiefern, die sich drüben, den Berg hinauf, wie eine starrende Wehr auftürmten, das leise Prasseln des Regens, der jetzt aufs neue in grossen Strichen herniederfiel — alles erhöhte die trübe Stimmung in Hauffs Seele. Gerade so hatte sich plötzlich der Himmel verfinstert, als er es Nacht in sich und um sich werden fühlte.

      „Kommen Sie schneller,“ sagte er und klammerte sich ängstlicher an des Waldarbeiters Arm fest.

      „Nun hat’s keine Weile mehr, Herr Doktor. Da pustet die Maschine schon.“

      Vorn, der Fahrstrasse zu, die hinauf nach Westend führte, lagen die Charlottenburger Wasserwerke. Das rote Mauerwerk hob sich leuchtend aus dem Waldesgrunde ab, und wie eine Porphyrsäule ragte der Schlot in den Regendunst hinein, gekrönt von dem schwarzen Qualm, der sich in mächtigen Flocken um seinen Kranz legte. Das dumpfe Fauchen der Maschine schien aus der Erde zu kommen. Hauff blieb verwirrt stehen. Er glaubte wieder das laute Klopfen seines Herzens zu vernehmen, und so ging er erst beruhigt weiter, als Stahlknecht ihm seinen Irrtum genommen hatte.

      Das Forsthaus lag hinter dem Wasserwerk. Es war ein schmuckes, steinernes Haus, das mit seinem Erker und den Treppenüberdachungen mehr den Eindruck eines Landhauses machte. Hinter dem Hause befand sich ein Gärtchen, in dem kleine Lauben mit Naturtischen dm Wanderer zum Ruhen einluden. Es gab nur Kaffee und frische Milch. Die Frau Förster, eine rundliche Frau mit einnehmenden Zügen, stand im Rahmen der Haustür. Sie hatte die beiden kommen sehen und war verwundert hinausgeeilt.

      „Dem Herrn Doktor ist schlimm geworden,“ raunte ihr Stahlknecht zu, als Hauff wortlos nach einem „Guten Tag“ in dem kleinen Wohnzimmer Platz genommen hatte, das mit den vielen Geweihen, dem Schmuckschrank, der mächtigen Truhe und sonstigen Möbelstücken ein Gemisch von Stadt- und Landeinrichtung bildete.

      Oh, das tue ihr leid. Sie wolle gewiss alles tun, um dem Herrn wieder auf die Beine zu helfen. Sofort kam sie mit Baldriantropfen, von denen sie fünfzehn auf ein Stückchen Zucker tröpfelte, das sich Hauff geduldig in den Mund schieben liess. Dann blickte er wieder, den Kopf auf die Hand gestützt, durch die kleinen Scheiben hinaus in den Wald, ohne an etwas anderes als an seinen Zustand zu denken. Die Stubenluft tat ihm plötzlich wohl. Und so gab er sich mit stillem Behagen der ersten Ruhe hin.

      „Herr Doktor, ich kenne Sie ja gar nicht wieder,“ rief die Frau Förster aus, die ihn bisher nur als einen munteren, stets gut aufgelegten Herrn gekannt hatte.

      „Er hat’s mit den Nerven,“ raunte ihr Stahlknecht wieder zu, der, die Mütze in der Hand, bescheiden an der Tür stehen geblieben war. „Das sollen ja höllische Bestien sein, Frau Förstern. Und gut zureden soll man ihnen — und gut behandelt müssen sie auch werden.“

      Sie lachte unterdrückt. „Das wollen wir schon besorgen, Stahlknecht. Ein starker Kaffee tut Wunder. Sie können draussen auch eine Tasse trinken.“

      Hauff hatte ihm ein Markstück in die Hand gedrückt, und so empfahl er sich mit einem ungeschickten Bückling, dem Herrn Doktor gute Besserung wünschend.

      Es dauerte nicht lange und die Frau Försterin kam mit dem heissen Kaffee, den Hauff begierig schlürfte. Allmählich fühlte er sich belebt, die Mattigkeit schwand, das Herz schlug ruhiger, obgleich er den fettigen Schweiss nach wie vor auf Stirn und Hand verspürte. Die Neugierde der Wirtin regte sich. Stahlknecht hatte ihr zwar draussen von dem Auffinden Hauffs erzählt, sie hätte diesen aber noch gar zu gern ausgeforscht, wie denn alles gekommen sei. Schon wollte er gesprächig werden, als er bemerkte, dass sie nicht allein waren.

      Hinter ihm, am Sofatisch, sass eine junge Dame, die ebenfalls ihren Kaffee trank und allem Anscheine nach gleich ihm hier eingekehrt war. Sein Blick hatte sie nur flüchtig gestreift, so dass ihm nur ein Paar grosse, ganz merkwürdige Augen in der Erinnerung geblieben waren. Und so fühlte er sich plötzlich eingeschüchtert, hier von seiner Schwäche zu reden.

      „Oh, es ist durchaus nichts Besonderes, Frau Förster,“ bemerkte er ausweichend. „Nur ein kleines Unwohlsein, das bald vorübergehen wird. Das kann ja einem Menschen begegnen, der Frau und Kinder hat, wie Ihr Mann immer zu pflegen pflegt.“

      „Und der Herr Doktor haben noch nicht ’mal welche.“ Sie glaubte einen Witz gemacht zu haben, lachte laut auf, so dass ihre kernigen Zähne sichtbar wurden, fragte nach seinem sonstigen Begehren und ging dann, als er dankend abgelehnt hatte, mit einer alltäglichen Bemerkung hinaus, weil lautes Kindergeschrei vernehmbar wurde.

      Eine Weile herrschte Stille im Zimmer. Gleichmässig ertönte das harte Ticktack der alten Wanduhr und dazwischen das sanfte Klirren des Löffels vom Sofatische her. Hauffs Gedanken drehten sich um die Frage, wie er wohl nach Hause kommen

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