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lächerlich machen,“ waren seine Gedanken. Und so nahm er seine ganze Kraft zusammen und ging weiter, mit der Empfindung eines gewissen Hemmnisses in seinen Beinen, das er vordem nie gekannt hatte. Wiederholt blickte er sich um, als könnte er einen Verfolger hinter sich haben. Irgend ein schwaches Geräusch hatte seine erregte Phantasie mit plötzlichem Schrecken erfüllt.

      Der Schatten, der in der Entfernung zwischen den Bäumen hing, wurde dunkler. Die Stämme hoben sich schwärzer aus der Dämmerung hervor, die seinen Blick verwirrte. Die heisse Sehnsucht nach dem Klang einer menschlichen Stimme erwachte in ihm, und damit verband sich die Gedankenfrage: „Wo ist sie eigentlich?“ Er meinte die Unbekannte, nach der er sich vergeblich umgeschaut hatte.

      Er wunderte sich, sie nicht mehr zu sehen, da man ihm versichert hatte, sie habe denselben Weg hier eingeschlagen. Vielleicht war sie schnell gegangen oder war irgendwo abgebogen, wo sie es näher zu haben glaubte. Plötzlich, als er eine Weile unsicher weitergeschritten war, den Blick immer vor sich auf den Weg gerichtet, der kaum noch zu erkennen war, bekam sein Herz einen jähen Ruck, so dass er seinen Schritt bannte. Vor sich sah er eine schwarze Frauengestalt dahinwandeln. Das konnte nur sie sein, er fühlte es sofort an einer gewissen Beruhigung, die ihn überkam.

      Sein Entschluss war gefasst, er wollte nicht an ihr vorübergehen, ohne sie angesprochen zu haben. Und so begrüsste er sie mit einer scherzhaften Wendung. „Also habe ich Sie doch noch eingeholt.“

      „Ah, Sie sind’s, mein Herr. Ich konnte mir denken, dass Sie mir nachkommen würden.“ Sie hatte seinen Gruss nur leicht durch ein Kopfnicken erwidert und ging nun mit ihm weiter.

      Er stutzte und gab dann verwundert zurück: „Sie konnten sich denken? Wieso?“

      „Gewiss, mein Herr, Sie hatten eine Begleitung nötig. Ich kenne das Gefühl, unter dem nervenschwache Menschen in der Verlassenheit leiden. Obendrein hier, mitten im Walde. Sie klammern sich da an den ersten besten an, der ihnen über den Weg läuft und den sie vielleicht in gesunden Tagen niemals beachtet hätten.“

      Er erschrak förmlich vor diesem sicheren Erkennen seines Zustandes, so dass er sie von der Seite betrachtete, um irgend einen hämischen Zug an ihr zu entdecken. Aber in ihrem Gesicht, das unter dem Schleier hervorleuchtete, regte sich nichts.

      „Sie scheinen sich in meinem Zustand doch zu irren, meine Gnädige,“ sagte er ärgerlich.

      „Aber so lassen Sie doch, bitte, das ‚Gnädige‘. Ich sprach doch schon im Forsthaus darüber. Hier im Walde klingt es mir wie eine Beleidigung der Natur.“

      „Bitte um Verzeihung — ich hatte ganz vergessen. Es soll gewiss nicht wieder vorkommen.“

      „Dann werden wir auch bis zum Bahnhof viel besser auskommen.“

      Er glaubte aus den Worten „bis zum Bahnhof“ eine Betonung herauszuhören, durch welche sie ihn auf eine gewisse Schranke zwischen sich und ihm aufmerksam machen wolle.

      „Also — mein ‚Fräulein‘, wenn Sie gestatten,“ warf er um so höflicher ein.

      Schweigend gingen sie eine Weile weiter. Es war, als wären sie von derselben Empfindung beseelt: nun, wo der Zufall sie wieder zusammengeführt hatte, sich nicht besonders zu beeilen. Die Ruhe, die von ihr ausging und sich gleichsam auf ihn übertrug, berührte ihn wohltuend. Merkwürdig, wie das Angstgefühl von ihm wich, wie er sich befreiter fühlte, wie der schweigende Wald mit seinen drohenden Stämmen ihm weniger unheimlich vorkam.

      „Weshalb soll ich mich in Ihrem Zustand geirrt haben?“ begann sie wieder. „Ich sah Ihnen schon am Teufelssee an, was Ihnen fehlt. Ich merkte es an dem Fettglanz auf Ihrer Stirn, überhaupt an der ganzen Hast Ihrer Bewegungen.“

      „In welchem Krankenhause waren Sie denn barmherzige Schwester?“ hatte er schon auf den Lippen, als sie ihm wieder zuvorkam.

      „Sie leiden an Zwangsvorstellungen und haben Angst vor dem Alleinsein. Und das kann nur durch Willenskraft überwunden werden. Weniger arbeiten und mehr ruhen. Gewiss sind Sie geistig zu stark beschäftigt. Vielleicht haben Sie auch seelischen Kummer gehabt.“

      „Woher wissen Sie das?“ unterbrach er sie zaghaft.

      „Ich denke es mir, denn wie jemand, der toll gelebt hat, sehen Sie mir nicht aus,“ gab sie ruhig wie zuvor zurück.

      „Manchmal irrt man sich in der Diagnose, mein Fräulein — auch wenn sie von gescheiten Damen gestellt wird.“

      Sich durchaus nicht getroffen fühlend, lachte sie vergnügt auf, so dass er ihre Zähne blitzen sah. Dann sagte sie gelassen: „Ich irre mich nie, mein Herr. Unser ganzes Leben besteht aus einer Kette von Erfahrungen, und ich trage sie unsichtbar mit mir herum.“

      „Was für Erfahrungen mögen das sein?“ war sein Gedanke, als er sie abermals musterte. Sie war nur wenig kleiner als er, aber kräftig und fest gebaut. Trotzdem hatte sie einen leichten, fast schwebenden Gang, was ihm mehrmals auffiel. Kaum, dass er ihren Tritt hörte, während sie, immer zu seiner Rechten, mit ihm langsam dahinschlenderte. Abermals schwieg er sich aus und suchte aufs neue nach Worten. Fast verspürte er einen männlichen Zug in ihr, der aber sofort wieder verdrängt wurde durch den Schmelz ihrer Stimme, der etwas von einem vollen Glockenton hatte. Sie sprach schön und klar, als wäre sie auf jedes Wort vorbereitet. Und wenn sie ihre Hand dabei bewegte, so geschah es ungezwungen, wie in anerzogener Schönheitsform.

      Alles das nahm er voll Interesse wahr, während er still gegen diese Art der Überlegenheit ankämpfte, die ihn zugleich anzog und doch seinen Unmut erweckte.

      „Verzeihen Sie, wenn ich nochmals darauf zurückkomme,“ begann er wieder. „Weshalb soll ich gerade die Absicht gehabt haben, Sie einzuholen?“

      Sie lachte abermals leicht auf. „Das haben Sie noch nicht verschmerzt? Mein Gott, das ist sehr einfach —: Sie konnten eben keine andere Begleitung finden. Und die mussten Sie doch haben. Ich bin nicht so eitel anzunehmen, dass Ihr Interesse meiner Person galt. Stellen Sie sich vor, Sie wären einem alten Grossmütterchen begegnet. Wären Sie nicht ebenso zufrieden gewesen?“

      Es ärgerte ihn wieder, dass sie ihn wie einen durchsichtigen Glasmenschen behandelte, aber er unterdrückte seinen Groll und zwang sich zur Höflichkeit. „Ich will Ihnen nicht unrecht geben, mein Fräulein.“

      „Nun, sehen Sie. Ich treffe immer das Richtige. Leute, die Ihr Leiden haben, suchen um jeden Preis Gesellschaft,“ fuhr sie lebhaft fort. „Dann fühlen sie sich sicherer. Sind sie wieder allein, beginnt aufs neue der alte Zustand. Immer grübeln sie über ihr Leiden und kriegen’s mit der Angst. Das ist aber alles nicht so schlimm. Wenn nur der Organismus gesund ist, und hoffentlich ist’s bei Ihnen der Fall. Vor allem dürfen Sie nicht die Einsamkeit aufsuchen. Und dann meiden Sie nervöse Menschen, denn so etwas steckt an.“

      Er glaubte seinen Arzt zu hören, der ihm schon vor Wochen dieselben Ermahnungen erteilt hatte, als er zu ihm von einem „Knacks“ sprach, den er eines Tages wegbekommen könnte. Und so fühlte er sich verpflichtet, für ihre Ratschläge zu danken. Er träfe sich sonst immer mit einigen Herren hier im Grunewald, gerade heute aber habe er das Pech gehabt, niemand von ihnen zu sehen, da er mit einem späteren Zug gefahren sei.

      Ihr Gespräch stockte wieder, und so erging er sich in Gedanken über dieses merkwürdige Zusammentreffen, durch das er heilsame Lehren empfing. Mit dem Trost, den sie ihm gab, liess sie auch gleich eine schlimme Aussicht durchblicken. Ein leises Grauen packte ihn, als er daran dachte, das gewisse wohlige Gefühl, das er jetzt empfand, könnte schon in der nächsten Stunde in das gerade Gegenteil Umschlagen.

      „Es wird heute früh dunkel,“ unterbrach er dann das Schweigen, als mit der Dämmerung im Walde die Stämme hinten sich nur noch wie Schatten verwoben.

      „Ja, die Sonne ist hinter den Wolken untergegangen,“ erwiderte sie, wobei ihre Fussspitzen mit einer Wurzel in unangenehme Berührung kamen. Unwillkürlich streckte er die Hand nach ihr aus, um sie vor dem Stolpern zu bewahren.

      Sie dankte mit einem leichten Lachen, wich ihm aber sofort aus, was er als einen Wink aufnahm, das zweite Mal eine voreilige Hilfe zu unterlassen.

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